Entwicklungsmethoden

Komplexe Mechatronik agil konstruiert

Agile Entwicklung hat sich bei der Softwareentwicklung auf breiter Basis etabliert. Doch lassen sich so auch komplexe mechatronische Produkte entwickeln?

Bild: ©Ollyy/Shutterstock.com
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Agile Projektsteuerung gilt vielen als Antwort auf die Forderung nach immer schnelleren Markteinführungszeiten. Der Fokus auf das Produkt, eine flexible Steuerung der Entwicklung und arbeiten in kurzen Zyklen hilft dabei, wechselnde Anforderungen zügig umzusetzen. Der Markt und die Kunden können heutzutage nur schwer sagen, wie ein Produkt in fünf Jahren aussehen soll. Budget und Termine werden ein gewisser Freiheitsgrad eingeräumt. Die Voraussetzung für agiles Projektmanagement ist die Modifizierbarkeit des Produktes zu jedem Zeitpunkt und das zeitnahe Testen von zumindest Teilergebnissen. Bildlich gesprochen kann das zu entwickelnde Produkt jederzeit neu geknetet und getestet werden. Die frei formbare Masse passt sich sofort an sich ändernde Anforderungen an. Die Begriffe inkrementell und iterativ charakterisieren agiles Projektmanagement. Es wird näher am Kunden entwickelt. Schnelle Reaktionen auf Veränderungen sind möglich und die Projektmitglieder agieren mit großem Gestaltungsfreiraum.

Fünf Gates für die mechatronische Entwicklung

Gerade bei der Entwicklung von Software überwiegen die Vorteile einer agilen Projektplanung. Vorhaben können schneller erfolgreich umgesetzt werden. Doch lässt sich dieser Ansatz auch auf die Entwicklung von mechatronischen Produkten übertragen? Auch hier ist eine iterative Planung oft möglich und sinnvoll. Ausgehend von dem Produktentwicklungsprozess nach VDI und der Strukturierung sinnvoller Aufgaben sind innerhalb der von der Richtlinie empfohlenen fünf Gates (Planen und Konzipieren, Entwerfen, Ausarbeiten und Testen) drei Schleifen sinnvoll. Innerhalb dieser Schleifen ist eine agile Vorgehensweise nützlich, um die Ergebnisse zu überprüfen und wenn notwendig kurzfristig anzupassen. Hierbei sollten die Gates fest definiert sein und sich die Iterationsschleifen daran orientieren. „Die inkrementale Vorgehensweise, in der das Produkt zerlegt und stückweise entwickelt wird, ist in der Entwicklung von mechatronischen Produkten bedingt anwendbar“, sagt Birgit Platzek, Projektmanager bei Techniciency Consulting. In der Praxis lässt sich die Produktentwicklung immer weniger beeinflussen, je weiter fortgeschritten ein Projekt ist. Die Kosten und Durchlaufzeiten stehen fest. Zudem werden die Ausarbeitung alternativer Produktteile im Projektverlauf immer kostenintensiver. Bei einer Softwareentwicklung werden meist ausschließlich die Aufwände für die Arbeitszeit als Kosten deklariert. Dagegen fallen bei der Entwicklung von mechatronischen Produkten auch immer Materialkosten an. Diese können Budget stark belasten, wenn zum Beispiel zwei Motorvarianten entwickelt und gebaut werden. Der möglichst frühe Griff zu technischen Möglichkeiten wie 3D-Druck und Simulation hilft hierbei. „Oftmals werden heute bereits die zur Verfügung stehenden Mittel, Systeme und Tools eingesetzt. In diesem Zusammenhang ist es zu empfehlen, kritische Teile des Produktes frühzeitig zu erkennen und dort mehrere Varianten auszuarbeiten und Szenarien zu planen. Aus unseren Erfahrungen sind es oftmals Bauteile im Bereich der Ergonomie und Antriebe“ sagt Platzek.

Machbarkeitsnachweis zuverlässig erbringen

Auch in einer agilen Entwicklung von mechatronischen Produkten muss im Rahmen eines flexiblen und dynamischen Konzeptes, entsprechend der Gates Planen und Konzipieren, über die Machbarkeit entschieden werden. Diese Entscheidung sollte sich – wenn möglich – am geschätzten Marktbedarf orientieren. Zusammen mit der Eruierung notweniger Funktionalitäten und dem Schätzwert des realistischen Verkaufspreises bringt das oft wichtige Erkenntnisse zur Produktplatzierung. Das schafft mehr Entwicklungssicherheit. Zudem kostet der Machbarkeitsbeleg nur einen Bruchteil der Vorfinanzierung, die bei der Entwicklung von mechatronischen Produkten anfallen. Darauf aufbauend können im Gate Entwerfen agile Prinziplösungen erarbeitet und durch Simulation getestet werden. Am Ende steht hier eine Investitionsfreigabe. Dies ist der Zeitpunkt, an dem der Entschluss getroffen wird, Ausrüstung und teure Prototypenteilen umzusetzen. Spätere Anpassungen sind in der Regel mit hohen Kosten- und Zeitaufwänden verbunden. Daher sollten in der folgenden Ausarbeitungs- und Testphase ausschließlich die Optimierung von Detaillösungen agil gestalten werden.

Eigenverantwortung oft unerwünscht

In der traditionellen Projektplanung bekommen die Teammitglieder oft eine Rolle mit wenig Eigenverantwortung zugeordnet. Durch eine strenge Kontrolle, zum Beispiel das mehrfache Vorlegen von Investitionsanträgen, werden Mitarbeiter in Ihrer Motivation, Kreativität und Effektivität gebremst. Agile Entwicklungsansätze wirken diesen Effekten entgegen. Etwa indem Unternehmensbereiche wie Entwicklung, Produktion, Service und Einkauf in den Entwicklungsprozess einbezogen werden und Teams mit hoher Eigenverantwortung agieren können. Hier werden Produkte bis zum Zyklusende beobachtet. Auch Aspekte der Nachhaltigkeit werden bereits in der Entwicklung berücksichtigt. Summa summarum stellen die Arbeitsweise der Teammitglieder, das freie und schnelle Treffen von Entscheidungen, sowie die offenen Gestaltungsmöglichkeiten einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung neuer Produkte dar. Die iterative Vorgehensweise ist bereits im VDI-Stufenprozess berücksichtigt. Ein inkrementelles Vorgehen ist gerade in kritischen Situationen nützlich. In diesen Fällen hilft die Szenarienplanung mit entsprechendem Backup und gegebenenfalls, einzelne Komponenten parallel auszuarbeiten.