Ad-hoc-Bedarf genau bestimmen

Materialdisposition für den Notfall

Im Materialplanungslauf stellen Firmen sicher, ihren Materialbedarf zu decken. Aufgrund verschiedener Einflüsse errechnen die Systeme dabei oft größere Mengen, als benötigt werden – auch bei akutem Bedarf. Das neue Critical-Part-Information-System in der Dispositionssoftware von SCT soll das verhindern.

Bild: ©Sved Oliver/stock.adobe.com
Bild: ©Sved Oliver/stock.adobe.com

Disponenten stehen oft vor komplexen Problemen, die sie mit gängiger Planbedarfsermittlung nicht mehr lösen können. Auch durch den Krieg in der Ukraine greift in vielen Industriebetrieben zudem eine bisher nicht gekannte Materialknappheit um sich. Lieferanten können Vorprodukte oft nicht fristgerecht und in den gewünschten Mengen liefern. Sie sind aufgrund fehlender Ressourcen gezwungen, Bedarfe abzusagen oder nur in kleineren Losen oder deutlich teurer zu bedienen. Industrieunternehmen fehlen so Stücklistenkomponenten für Endprodukte, die dann ebenfalls nur in begrenzter Stückzahl ausgfeliefert werden können. Wissen Unternehmen jedoch, welche Komponenten sie in welchen Mengen benötigen, können sie zumindest den dringendsten Bedarf der eigenen Kunden bedienen und vor allem die zu geringen Mengen an Zukaufmaterialien für die Produktion der deckungsbeitragsstärksten Fertigprodukte verwenden.

Zu große Mengen

Die Aufgabe scheint einfach: So errechnet jeder MRP-Planungslauf (Material Requirement Planning) eines ERP-Systems genau diese Materialbedarfsmengen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die in einem MRP-Lauf ermittelten Mengen an Halbfertigartikeln, Rohmaterialien und Zukaufteilen größere sind, als die akut benötigten Mengen. Die Ursache dafür liegt in verschiedenen materialnummernspezifischen Dispositionsparametern und Dispositionseinstellungen, die bei einem MRP-Lauf berücksichtigt werden. Diese können dazu führen, dass die kurzfristig benötigten Materialmengen deutlich aufgeblasen werden. Anstatt des akuten Bedarfs von 4 Reifen und 28 Schrauben würde etwa eine normale Materialbedarfsrechnung 75 Reifen und 750 Schrauben als Bestellbedarf ermitteln. Der als vermeintlich notwendig ermittelte Bedarf an Komponenten kann sich noch weiter erhöhen, wenn in die Berechnung nicht nur vorhandene Kundenaufträge einfließen, sondern auch Planprimärbedarfe aus statistischen Absatzprognosen und Vertriebsplänen.

Manuelle Prüfung

Die ermittelten Mengen an zu bestellenden und zu fertigenden Artikeln sind also Ergebnis komplexer Kalkulationen, für die in der Regel mehrere tausend Materialnummern berücksichtigt werden. Solch hohe Abstraktionsgrade mit Regelwerken für hunderte von Dispositionsparametern und zahlreichen Optimierungsalgorithmen verschleiern den für den real bestehenden Auftragsbestand notwendigen reinen Materialbedarf erheblich. Je tiefer und breiter die Stücklisten und je mehr Fertigprodukte, desto schwerer und aufwändiger wird es, den echten Komponentenbedarf zu ermitteln. Und die Bedarfsmengen jeder Stücklistenstufe manuell zu überprüfen und dabei die zuvor beschriebenen Dispositionsparameter wegzurechnen, ist bei oftmals vielen tausenden zu disponierenden Artikeln nicht möglich.

Beispielhafter dispositiver Verschleierungseffekt: Anstatt des akuten Bedarfs von 4 Reifen und 28 Schrauben würde eine normale Materialbedarfsrechnung 75 Reifen und 750 Schrauben als Bestellbedarf ermitteln. (Bild: Felix Schoeller Supply Chain Technologies)
Beispielhafter dispositiver Verschleierungseffekt: Anstatt des akuten Bedarfs von 4 Reifen und 28 Schrauben würde eine normale Materialbedarfsrechnung 75 Reifen und 750 Schrauben als Bestellbedarf ermitteln. (Bild: Felix Schoeller Supply Chain Technologies)

Critical Part Information Systems

SCT Supply Chain Technologies hat sein Dispositionsmanagementsystem Diskover daher um die Funktionen des neuen Critical Part Information Systems (CPIS) erweitert. Damit kann der tatsächliche Komponentenbedarf – befreit von Verzerrungsgrößen wie Sicherheitsbestand, Mindestlosgrößen, Mindestbestellmengen und nicht kundenauftragsverursachten Planprimärbedarfen – ermittelt werden. „Auf Knopfdruck können Disponentinnen und Disponenten jeweils einzelne dieser Einflussgrößen deaktivieren oder aktivieren und damit einen präzisen Blick auf die sich so ändernden Rahmenbedingungen schaffen – bis hin zum Blick auf den nackten Bedarf für die real existierenden Auftragsvolumina – und das über alle Fertigungsstufen hinweg“, sagt Andreas Capellmann, Geschäftsführer bei SCT.

Randbedingungen automatisiert ausblenden

„Bislang war bei der Artikelbedarfsdisposition nicht die verfügbare Menge an Komponenten die kritische Größe, sondern vielmehr der Faktor Zeit. Früher ging es vornehmlich darum, den optimalen Zeitpunkt dafür zu bestimmen, wann was und wieviel davon bestellt oder gefertigt werden muss, damit die Lieferbereitschaft hoch und die Bestände gering sind. Heute hingegen ist die kritische Größe, überhaupt Material zu bekommen, um die bestehenden Aufträge bedienen zu können“, so Capellmann. Die CPIS-Funktion versetzt Unternehmen in die Lage, eine belastbare Grundlage für auftragsbezogene Disposition und Allokation kritischer Artikel zu schaffen. Sie können so schneller entscheiden, welchen realen Kundenbedarf sie erfüllen können und wollen und in welchem Endprodukt kritische Artikel den meisten Umsatz oder Deckungsbeitrag generieren.

Für den Notfall

Das Tool sollte jedoch nur für diese Notfällen zum Einsatz kommen. „Faktoren wie Sicherheitsbestände und Mindestlosgrößen sind einfach notwendig für einen sicheren Betriebsablauf. Das kann man nicht auf Dauer komplett ausblenden“, so Capellmann.