Cyber-physische Matrixproduktionssysteme

Auf Marktveränderungen reagieren

In einer neuen Expertise haben Experten des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und des Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU untersucht, wie cyber-physische Matrixproduktionssysteme Unternehmen bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen helfen können.

(Bild: ©yoh4nn/Getty Images/iStockphoto / Valerie Frenzel, Christian Hermeling/Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU)
(Bild: ©yoh4nn/Getty Images/iStockphoto / Valerie Frenzel, Christian Hermeling/Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU)

Wie können Hersteller schneller auf globale Krisen reagieren, mit Lieferengpässen zurechtkommen und gleichzeitig auf individuelle Kundenwünsche reagieren? Antworten darauf soll die neue Expertise ‚Umsetzung von cyber-physischen Matrixproduktionssystemen‘ des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0 liefern. Darin untersuchen das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, inwieweit cyber-physische Matrixproduktionssysteme Unternehmen helfen können, diese Herausforderungen zu bewältigen.

Der Begriff Matrix stammt aus der Mathematik und beschreibt eine rechteckige Anordnung von Objekten in Zeilen und Spalten. Produktionstechniker verstehen unter einer Matrix eine schachbrettförmige Anordnung von Fertigungsmodulen: Warenlager, Fertigungsmaschinen und Transportsysteme beispielsweise arbeiten unabhängig voneinander. Gleichzeitig sind sie jedoch cyber-physisch vernetzt: Im virtuellen Raum gibt es einen digitalen Zwilling, der die Produktionsprozesse und Fertigungsmodule abbildet. Durch ihn lassen sich Stoffströme und Maschinenauslastungen optimieren. Mithilfe der Ergebnisse werden dann die realen – physischen – Module gesteuert.

Produktiver und flexibler

„Cyber-physische Matrixproduktionssysteme bieten eine Antwort auf Marktveränderungen, wie sinkende Stückzahlen, steigende Variantenvielfalt und schlechte Prognostizierbarkeit von Kundenbedarfen“, so Thomas Bauernhansl (Fraunhofer IPA), Mitglied des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0. „Die Matrixproduktion bietet die Chance die gegenläufigen Ziele Flexibilität und Produktivität auf ganz neue Art zu versöhnen.“

Können cyber-physische Matrixproduktionssysteme die Werkstattfertigung produktiver und die Linienproduktion flexibler machen? Um diese Frage zu beantworten, haben die Fraunhofer-Teams 28 Unternehmen befragt, Ergebnisse zusammengetragen und ausgewertet.

Cyber-physische Matrixproduktionssysteme gelten unter Experten als Schlüssel zu einer sowohl flexiblen als auch produktiven Fertigung, die Unternehmen hilft, ihre Resilienz zu steigern und damit auch in turbulenten Zeiten zu bestehen. „Unser Ziel war es, den Stand der Technik zu untersuchen und herauszufinden, inwieweit die neuen Systeme in der Praxis schon genutzt werden und dort tatsächlich Flexibilität und Produktivität erhöhen“, erklärt Petra Foith-Förster, die Leiterin der Studie am Fraunhofer IPA. Dass die Ingenieurinnen und Ingenieure sich besonders für Flexibilität und Produktivität interessieren, hat einen guten Grund. Die beiden Größen gelten bisher in der Produktion als Gegenpole: Die klassische Werkstattfertigung, bei der Bauteile wie etwa Bleche, mit verschiedenen Werkzeugen schrittweise bearbeitet werden, ist wenig automatisiert. Das macht sie sehr flexibel, aber zumindest ab mittleren Stückzahlen auch ineffizient. Die hochautomatisierte Linienproduktion hingegen ist dank starrer Verkettung hochproduktiv, aber unflexibel – wenn beispielsweise ein Bauteil fehlt, steht das Band still.

Kriterienkatalog erarbeitet

„Vor allem Großunternehmen, aber auch größere Mittelständler nutzen bereits Matrixproduktionssysteme“, berichtet Arvid Hellmich, der die Expertise am Fraunhofer IWU geleitet hat. Vorreiter bei der Einführung der neuen Systeme ist die Halbleiter-Industrie, aber auch größere Hersteller von Automobilen oder Elektrogeräten setzen modulare Strukturen ein, die digital optimiert und gesteuert werden. „Erfreut waren wir, dass die Technologien in vielen der Unternehmen, die Matrixproduktionssysteme einsetzen, bereits einen hohen Reifegrad besitzen“, betont der Forscher. Für die Bewertung des Reifegrads der cyber-physischen Matrixproduktionssysteme wurde ein Katalog von Kriterien erarbeitet. Zu diesen zählen unter anderem der modulare Aufbau der Produktionseinheiten, der Umsetzungsgrad eines digitalen Zwillings, der Einsatz automatisierter Transportsysteme sowie die Rekonfigurierbarkeit des Ablaufs, die eine schnelle Anpassung der Produktion an veränderte Anforderungen des Markts erlaubt.

„Das Ergebnis der Expertise zeigt, dass Matrixproduktionssysteme eine wirtschaftliche Produktion bei herausfordernden Marktanforderungen ermöglichen und dass Unternehmen mit verschiedenen Produktionsprozessen aus unterschiedlichen Branchen diese bereits teilweise oder auch schon vollständig umsetzen“, resümiert Hellmich.

Was bisher fehlt, sind marktreife Komplettlösungen: „Überraschend war für uns, dass zwar Einzellösungen für Matrixproduktionssysteme angeboten werden, jedoch keine Gesamtpakete inklusive Anlagentechnik und Prozessautomatisierung“, betont Foith-Förster. „Die Unternehmen, die bereits mit den neuen, modularen Systemen arbeiten, haben diese selbst entwickelt. Kleine und mittlere Unternehmen, die sich eine eigene Technologieentwicklung nicht leisten können, haben das Nachsehen.“ Hier müsse dringend eine bessere Vernetzung zwischen den Technologieanbietern und den potenziellen Kunden stattfinden, so Foith-Förster.