PTC zwischen Shopfloor und Cloud

„Weg von den großen Monoliten“

Immer mehr Industriebetriebe fordern durchgängige IT-Lösungen von der Werkhalle bis in die Cloud. Für die Anbieter industrieller Software heißt das, Silodenken aufzugeben und Brücken zu schlagen. Michael Bauerhaus und Roland Riedel von PTC schildern, wie das beim Engineering-Spezialisten über Partnerschaften und das IoT gelingen soll.

Bilder: PTC Parametric Technology GmbH

Das Produktportfolio von PTC hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. In der letzten Zeit haben wir von vielen neuen Partnerschaften gelesen, etwa die Milliardeninvestition des amerikanischen Automatisierers Rockwell Automation. Was passiert bei PTC?

Roland Riedel: Letztlich ist alles, auch die Partnerschaften mit Rockwell, Microsoft und Ansys, eng mit der digitalen Transformation verbunden. Um das zu verdeutlichen, möchte ich die wesentlichen Ebenen ansprechen, auf denen sich diese Transformation auswirkt. Die erste ist schon länger bekannt und betrifft die gängige Unternehmenssoftware. Sie hilft Firmen dabei, Abläufe effizienter, schlanker, transparenter zu gestalten. Die Digitalisierung geschieht aber längst nicht nur auf der Ebene von ERP, PLM und MES. Technologien wie Edge Computing, künstliche Intelligenz, Augmented Reality und IoT schaffen neue Handlungsfelder. Das verändert, wie Menschen mit Produkten aller Art umgehen. Maschinen oder Consumer Devices senden oder konsumieren Daten, sie werden Teil des IT- und OT-Netzwerkes. Auch hier findet digitale Transformation statt. Daher kommt unsere Ausrichtung auf das IoT. Sie können einen Produktlebenszyklus nicht mehr alleine aus Sicht der eigenen vier Wände betrachten, denn er geht im Feld weiter. Mit unserer ThingWorx-Produktfamilie haben wir dafür gesorgt, mit Produkten bis runter auf die Maschinenebene sprechen zu können.

Seit wann verfolgt PTC diese Strategie?

Riedel: Genau kann man das wohl nicht sagen. Vor fünf Jahren haben wir verstärkt beobachtet, wie unsere Kunden – oft recht hemdsärmlig mit Individualprogrammierungen – versucht haben, an Maschinen- und Produktdaten ranzukommen. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen haben wir damals nicht nur ThingWorx als Technologiebaustein erworben, sondern auch die Firma Axeda. Diese Firma war zu dem Zeitpunkt der Marktführer im Bereich Remote Monitoring und brachte viele Jahre Erfahrung mit, Maschinendaten auszulesen, aber auch Daten auf diese Maschinen zu bringen. Ein weiterer Grund war schlicht die Verfügbarkeit an Computing Power, Sensortechnologie und Edge-Computing-Leistung. Das war sicherlich die Initialzündung.

Mit Vuforia hat PTC auch eine Augmented-Reality-Lösung ins Portfolio aufgenommen. Welche Bedeutung messen Sie dieser Technologie bei?

Riedel: Hier geht es um die Frage, wie wir Menschen helfen können, im Zeitalter der Digitalisierung ihre Leistung zu erbringen. Wie sie Daten in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter integrieren. Wenn sie heute mit einem PC oder Handy interagieren, müssen sie immer zwischen dem abstrahieren, was sie gerade tun und der Art, wie sie Daten konsumieren. Sie müssen quasi selbst übersetzen. Wenn ich mir jetzt einen Servicetechniker im Feld vorstelle, der vielleicht noch recht neu ist und einen komplexen Job zu erledigen hat, ist diese Arbeitsweise im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Er verliert Zeit, Daten zu suchen und mit der Maschinenapplikation zu hantieren. Hier hilft Augmented Reality immens, indem sie diese Abstraktion nimmt. Sie stellt Daten im Arbeitsablauf kontextabhängig und abhängig vom realen Umfeld dar. So ist unserer Auffassung nach die digitale Transformation über alle Glieder in der Kette abbildbar, also über Menschen, Produkte und Unternehmensprozesse. Mittlerweile sind für Vuforia über 65.000 Augmented-Reality-Apps verfügbar. Die große Entwicklercommunity dahinter zeigt, wie akzeptiert diese Technologie ist und wieviele damit arbeiten und Dinge ausprobieren wollen.

Mit PTC Chalk können Anwender aus der Ferne auf Livebilder realer Objekte zeichnen. (Bild: Parametric Technology GmbH)
Mit PTC Chalk können Anwender aus der Ferne auf Livebilder realer Objekte zeichnen. (Bild: Parametric Technology GmbH)

Wie weit ist die Industrie, solche Anwendungen weitreichend zu integrieren?

Riedel: Noch beobachten wir oft einfache, wenig datenlastige Use Cases mit Standardgeräten. Aber die Entwicklung hin zu komplexen datenintensiven Projekten zeichnet sich bereits ab. Mit dem Produkt Chalk in unserem Vuforia-Portfolio wollen wir das weiter beschleunigen. Mit Chalk können sich User über eine normale Telefonverbindung, also eine IP-Verbindung, einladen, an ihrer jeweiligen physischen Umgebung teilzuhaben. Sie können interagieren, zum Bespiel, um Arbeitsschritte zu kommentieren. Sie können auf die reale Umgebung zeichnen, den Anrufer Schritt für Schritt etwa durch einen Serviceprozess führen. Der Integrationsaufwand für diese Lösung ist sehr gering. Sie müssen keine Unternehmensdaten anzapfen, sie brauchen keine Produktdaten, keine Userdaten – und führen ihre Mitarbeiter sanft an Augmented-Reality-Technik heran. Viele Unternehmen nehmen sich zuerst Use Cases mit geringem Integrationsaufwand vor, die für sich genommen einen Wert schaffen. Das ist mit unserer Software Vuforia Chalk gewiss zu erreichen. Wir wollen aber einen Schritt weiter gehen: Stellen Sie sich vor, Sie könnten 3D-Informationen wie Explosionszeichnungen anzeigen. Also keine schnell angefertigten Skizzen, sondern konkrete Handlungsanweisungen in 3D, basierend auf echten 3D-Daten. Das wäre sicherlich ein Schritt in Richtung Integration, denn ohne eine Anbindung anderer Systeme funktioniert dieses Szenario nicht. Hier kommt unsere ThingWorx-Technologie ins Spiel, die genau diese Verbindung herstellt. Im Schritt darauf ließen sich dann definierte Abläufe für bestimmte Aufgaben in die Augmented-Reality-Anwendung integrieren.

Wann kommt der Punkt, ab dem der Servicetechniker so selbstverständlich sein Virtual- und Augmented-Reality-Equipment einsetzt, wie seine Kollegen im Büro die Software zur Textverarbeitung?

Riedel: Wir sind selbst erstaunt, wie viele Unternehmen sich bereits mit Augmented Reality beschäftigen. Viele Use Cases sind in der Analyse, erste Anwendungen sind schon produktiv. Während die Datenverfügbarkeit und die Software einer flächendeckenden Verbreitung nicht mehr im Wege stehen, lässt sich das bei der Hardware nicht beobachten. Die erste Hololens-Generation von Microsoft konnte sicher keine große Benutzergemeinde für sich gewinnen. Mit der Hololens 2 sieht es schon anders aus. Sie ist kleiner, bringt ein Stück KI mit, hat viel mehr Rechenpower sowie Funktionen und ein größeres Sichtfeld. Mit einem Preis über 3.000 Dollar, wird zwar nicht jeder Mitarbeiter mit einem solchen Gerät ausgestattet werden. Aber bei komplexen Aufgaben im Feld spielt das Gerät sein Potenzial voll aus.

Eine PTC Chalk-Lösung bei einem Autobauer. (Bild: Parametric Technology GmbH)

Noch einmal zurück zur Produktstrategie von PTC. Klassische MES-Software haben Sie nicht im Portfolio – die offene Flanke?

Riedel: Deswegen haben wir uns mit Rockwell zusammengetan. Wenn wir eine Prozesssicht ermöglichen wollen, die über das Engineering hinaus ins Manufacturing reicht, brauchen wir einen Partner, der genau dort seine Stärken hat und das ist die Firma Rockwell mit ihren MES-Lösungen.

Michael Bauerhaus: Wir haben natürlich Applikationen, die sich mit klassischen MES-Aufgaben überschneiden. Wenn wir aber über die Rockwell-Partnerschaft reden, geht es im Kern um die Frage, wie das IoT in eine werksnahe IT-Architektur nach ISA-95 hineinpasst.


Wir gehen mit Rockwell gewiss einen Schritt in die serviceorientierte Orchestrierung von Dingen.
Michael Bauerhaus, PTC

Und wie passt es dazu?

Bauerhaus: Im deutschen Markt wissen viele leider nicht, das Rockwell ein sehr ausgeprägtes und gutes Software-Portfolio hat: die Factory Talk-Familie etwa mit ihrer MES-Lösung Production Center, der EMI-Lösung Vantage Point und einem hervorragenden Historian. Rockwell hat fast entlang der gesamten Automatisierungspyramide sehr ausgefeilte Lösungen. Wir hingegen bieten eine hervorragende IT-Technologie wie Augmented Reality, Machine Learning und Predictive Analytics. Zudem sind wir mit unserer ThingWorx-Plattform in der Lage, Dinge innerhalb einer Architektur schnell zu verändern oder hinzuzufügen. Das ist etwas, denke ich, was der klassischen ISA-95-Architektur im Moment fehlt.

Microservices für den Shopfloor?

Bauerhaus: Wir gehen mit Rockwell gewiss einen Schritt in die serviceorientierte Orchestrierung von Dingen. Und zwar mit dem gemeinsamen Produkt Factory Talk Innovation Suite. Sie besteht aus MES-Komponenten, aus ThingWorx, Vuforia und CAD-Ware. Darin wird das komplette MES-Datenmodell als Objektmodell dargestellt, im ThingWorx-Jargon heißt es ‚ThingModel out of the Box‘. Dadurch haben sie eine bidirektionale Schnittstelle zwischen der IoT-Plattform und dem Production Center von Rockwell. Und damit können sie ihre ISA-95-Architektur über Rapid Application Development einfach und schnell durch IoT-Applikationen ergänzen. Hinzu kommen in näherer Zukunft gewiss noch weitere fertige Applikationen von Rockwell auf Basis von ThingWorx. Schritt für Schritt werden dann Architekturen entstehen, die auf einem Plattformkonzept aufsetzen.

Riedel: Auf der anderen Seite verschieben sich aktuell auch die Betriebskonzepte der IT. In diesem Bereich ist Microsoft ein sehr wichtiger Partner für uns, um moderne Cloud-Technologien inklusive Hybridarchitekturen abzubilden. Wir müssen also in der Lage sein, bis hinunter auf den Shopfloor durchzugreifen, aber auch hinauf bis in die Cloud. Und zwar unabhängig davon, ob sie eine Brownfield-Anlage haben, eine reine Rockwell- oder Siemenswelt. Microsoft vertritt auf der Cloud-Ebene im Grunde eine sehr ähnliche offene Strategie wie wir. Daher ist diese Partnerschaft für uns auch sehr wichtig, damit wir in Richtung IT-Landschaft und Architektur vielfältige Deployments anbieten können.

In der Fertigung gibt es einen Trend zu leichtgewichtigen IT-Architekturen, die sich schnell und flexibel auf neue Anforderungen anpassen lassen. (Bild: GE)

Was wäre denn, wenn ein produzierendes Unternehmen ohne MES-Installation ThingWorx-IoT implementiert und Sie fragt, quasi nebenbei ein paar klassische MES-Funktionen auszurollen?

Riedel: Diesen Trend, den Sie beschreiben, gibt es. Es geht weg von den großen Monoliten ERP-, PLM-System und MES-Lösung hin zu einer leichtgewichtigen Architektur. Es zählt eher, welche funktionalen Komponenten gebraucht werden und das die Technologien verfügbar sind, um mit den Geschäftsanforderungen wachsen zu können. Genau diese leichtgewichtige Architektur erarbeiten wir hier zusammen mit Rockwell.

(ppr)