Eine der modernsten Messwarten Europas

Steuern und wachen unter eigenem Himmel

Jährlich verarbeitet die PCK Raffinerie GmbH etwa zwölf Millionen Tonnen Rohöl zu Mineralöl- und petrochemischen Produkten. Als es in der alten Messwarte der Anlage zunehmend enger wurde, sollte sie durch einen 1.000 Quadratmeter großen Kontrollraum ersetzt werden. Sechs Fahrstände mit 25 Bedienplätzen, 78 Monitore sowie Großbildwände mit 100 Displays erlauben den Mitarbeitern die Steuerung der Anlagen nach dem MultiConsoling-Konzept.

Jungman installierte neben sechs Fahrständen mit insgesamt 25 Bedienplätzen und 78 Monitoren auch Großbildwände mit mehr als 100 Displays, die für die Steuerung der Anlagen eingesetzt werden. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)
Jungman installierte neben sechs Fahrständen mit insgesamt 25 Bedienplätzen und 78 Monitoren auch Großbildwände mit mehr als 100 Displays, die für die Steuerung der Anlagen eingesetzt werden. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)

Das Konzept für die neue Messwarte entstand im eigenen Haus, für die Inneneinrichtung und technische Ausstattung wurde Jungmann Systemtechnik beauftragt. Seit Mai 2019 ist die neue zentrale Messwarte, die aus Sicherheitsgründen eigens in einem druck- und explosionsgeschützten Neubau untergebracht wurde, komplett in Betrieb. „PCK bemüht sich bereits seit den 1990ern um eine Zentralisierung der Messwarten. Damals haben wir elf Satellitenwarten im bisherigen alten zentralen Kontrollraum zusammengefasst. Jetzt gehen wir gerade den nächsten Schritt, indem wir diese Warte durch eine neue, modernere ablösen“, erläutert Thomas Taube, Bereichsingenieur Instandhaltungsservice und Projektkoordinator bei PCK. Aktuell gibt es im Unternehmen noch insgesamt sieben Messwarten – einschließlich des neuen 1.000 Quadratmeter großen Hauptkontrollraums, das Herzstück der Raffinerie. Hier wird die gesamte Prozesskette überwacht und gesteuert – vom Eingang des Rohöls mittels Pipeline aus Russland über die Schritte in den Produktionsanlagen bis hin zum auszuliefernden Fertigprodukt, sei es Diesel, Benzin oder Kerosin für Flugzeuge. Die Messwarte besteht aus sechs Fahrständen, die durch entspiegelte Glaswände akustisch voneinander getrennt und für den regulären Betrieb mit jeweils drei Bedienplätzen sowie einem Reservebedienplatz ausgestattet sind. Ist die gesamte Messwarte voll besetzt, arbeiten dort insgesamt 24 Mitarbeiter. Da PCK im 4-Schicht-Betrieb operiert, kommen somit regulär – inklusive Reservepersonal – 125 Anlagenfahrer zum Einsatz.

Bedienung am Großbildschirm

Das Konzept für diese zentrale Messwarte hat PCK selbst erarbeitet und anschließend zusammen mit Partnern umgesetzt. „Wir hatten beispielsweise von Anfang an eine recht klare Vorstellung darüber, wie die Steuerung der Produktionsanlagen zukünftig erfolgen sollte“, so Taube. „Die grundlegende Anforderung war, dass die Anlagenbedienung über die Großbildwand realisiert wird, und zwar in Kombination mit kleineren Monitoren.“ Zudem sollte die Zahl der Bediengeräte pro Arbeitsplatz reduziert werden. Das Ziel war, die Arbeit in der Leitwarte nicht nur besonders effizient zu gestalten, sondern auch möglichst angenehm für die Mitarbeiter. Darüber hinaus musste das gesamte System eine extrem hohe Verfügbarkeit aufweisen, die Ausfallwahrscheinlichkeit war daher auf das absolute Minimum zu senken. Auf der Suche nach einer passenden Lösung wurde eine ausführliche Recherche und Marktanalyse durchgeführt. „PCK ist mit JST erstmals 2014 im Zuge des ‚ko:mon – Kongress für Kontrollraumtechnik und Monitoring-Systeme‘ in Kontakt getreten. Nach einem anschließenden Besuch in unserem Kontrollraum-Simulator in Buxtehude erprobte die Raffinerie zunächst ausführlich einen von uns erstellten Testarbeitsplatz aus Leitwartenpult, Großbildsegment und zugehöriger MultiConsoling-Hard- und -Software. Nach der erfolgreichen Abnahme des Testarbeitsplatzes hat sich PCK dann für eine ganzheitliche Lösung von JST entschieden“, schildert Carsten Jungmann, Geschäftsführer von JST. Dazu zählen Grundrisskonzeption, Möblierung, Großbildsysteme sowie MultiConsoling-Hard- und -Software.

Bis April 2016 wurden alle Produktionsanlagen über eine zentrale Messwarte aus dem Jahr 1993 überwacht und gesteuert, die im Laufe der Zeit jedoch zu klein geworden war. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)
Bis April 2016 wurden alle Produktionsanlagen über eine zentrale Messwarte aus dem Jahr 1993 überwacht und gesteuert, die im Laufe der Zeit jedoch zu klein geworden war. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)

Virtueller Himmel statt Fenster

Die neue Leitwarteneinrichtung ist in einem neuen fensterlosen Bunkergebäude, für das 3.200m³ Beton sowie 520 Tonnen Stahl verbaut wurden und das – etwa durch 45cm dicke Stahlbetonwände – druck- sowie explosionsgeschützt ist. Da in diesem Zusammenhang auf Fenster im Kontrollraum verzichtet werden musste, wurde stattdessen der Virtual Sky installiert – eine 105 Quadratmeter-Lichtdecke, die PCK zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Stuttgart entwickelt hat. Sie simuliert den Himmel zur jeweiligen Tages- und Nachtzeit, um ein angenehmes Arbeitsklima herzustellen. „Wie wir anfangs bei der Konzepterstellung vermutet hatten, bedeuten allerdings schon allein die Glaswände eine deutliche Verbesserung zur vorherigen zentralen Messwarte“, so Projektkoordinator Taube. In den alten Räumlichkeiten waren die Fahrstände relativ abgeschottet und kaum einsehbar. Nun bilden sie Inseln im Raum, in die sich die Operatoren zurückziehen können. Gleichzeitig besteht jedoch Sicht auf die Bildschirme der Nachbarn, so dass auch von weitem ein kurzer Blick auf deren Prozesse möglich ist – ohne an die Kollegen herantreten zu müssen.

Aus Sicherheitsgründen gibt es keine Fenster im Kontrollraum. Stattdessen verbessert eine 105 Quadratmeter große Lichtdecke das Arbeitsklima für die rund 125 Anlagenbediener. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)
Aus Sicherheitsgründen gibt es keine Fenster im Kontrollraum. Stattdessen verbessert eine 105 Quadratmeter große Lichtdecke das Arbeitsklima für die rund 125 Anlagenbediener. (Bild: Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG)

Flexibles Anzeigekonzept

„Außerdem war für uns wesentlich, dass wir die Verfügbarkeit der Prozesstechnik erhöhen konnten und bei der Nutzung des Leitsystems eine hohe Flexibilität erreichen“, so Taube. „Das Ziel war es ja auch, dass möglichst von jedem Platz aus auf jede Stelle in den Anlagen zugegriffen werden kann.“ Neben der Prozessleittechnik ist dafür vor allem eine von JST entwickelte Hard- und Software zur Steuerung von Arbeitsplätzen und Großbildsystemen verantwortlich: „MultiConsoling korreliert Monitore, das heißt, der Anlagenfahrer holt sich immer die Anzeige auf einen der eigenen Bildschirme, die er gerade braucht“, erklärt Jungmann. „An einem Arbeitsplatz können auf diese Weise bis zu 1.000 verschiedene Prozessbilder aufgeschaltet werden.“ So lässt sich gleichzeitig die Zahl der Monitore am Arbeitsplatz reduzieren: In der alten zentralen Messwarte mussten die Anlagenfahrer bis zu vier kleine Monitore am Arbeitsplatz und eine Videowall überwachen. Nun finden sich dort noch drei, die mit vier Displays auf der zugehörigen Großbildwand kombiniert werden. Das sorgt für eine deutlich bessere Übersicht und eine aufgeräumtere elektronische Arbeitsplatzumgebung. Gleichzeitig konnte auf diese Weise die Visualisierungsfläche, über die eine Anlage wahrgenommen werden kann, insgesamt verfünffacht werden. „Früher lag diese Fläche bei etwa 0,7 Quadratmeter, jetzt stehen vier Quadratmeter zur Verfügung“, erläutert Taube.