Systemanforderungen im Wandel

MES als Werkzeug zur datengetriebenen Steuerung

Vor wenigen Jahren galt MES-Software vielen noch als Spezialsoftware mit nur aufwendig erschließbarem Nutzen. Inzwischen ist sie fester Bestandteil der meisten prozessnahen IT-Architekturen in der Prozess- und gerade der Pharmaindustrie. Insbesondere wenn viele Systemfunktionen auf die Prozessführung nach ISA95 entfallen und chargenorientiert produziert wird.

Bild:©Andrei Merkulov/stock.adobe.com
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MES-Systeme ermöglichen viele Aspekte der Digitalisierung direkt und indirekt. Denn Voraussetzung für die Einführung eines MES sind gut beschriebene Prozessabläufe, die darüber hinaus in geeigneten Datenmodellen abgebildet sein müssen. Von diesen Modellen, die Prozessdaten mit Metainformationen anreichern können, profitieren auch die angeschlossenen Systeme und Schnittstellen, wenn Industriestandards verwendet werden. Die Systeme leisten einen Beitrag, indem sie Integration über die Ebenen des ISA-Modells hinweg fördern und insofern als Kopplungsglied zwischen IT und OT angesehen werden können. Zusammengenommen bilden die Systeme eine notwendige Voraussetzung für eine im Sinne der Digitalisierung vollständig integrierte Produktionsanlage. Mit fortschreitender Digitalisierung wandeln sich aber auch die Anforderungen, die an MES-Systeme gestellt werden. Viele der Anwendungsfälle, die derzeit in der Konzeptphase oder in Machbarkeitsstudien untersucht werden, könnten bald zum Stand der Technik werden. Zwei davon erläutert dieser Artikel genauer.

Datengetriebene Steuerung

Durch die vertikale Integration wurde in den vergangenen Jahren eine Datenwelt geschaffen, die fertigungsrelevante Informationen aus unterschiedlichen Systemen (PLS, LIMS, PIMS, ERP etc.) miteinander in Verbindung bringt. Für eine Produktionsoptimierung können diese Informationen im Sinne eines datengesteuerten Ansatzes (Data-driven Operations) für Echtzeitauswertungen und Produktionssimulationen verwendet werden. Heutige OT-Systemarchitekturen bilden die Basis für einen datengesteuerten und zugleich serviceorientierten Ansatz, der zudem den Einsatz von KI-Anwendungen ermöglicht. Ein geschlossener Regelkreis zwischen dem MES als Produktionsführungssystem und fertigungsnahen Systemen entsteht. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Anreicherung der Rohdaten zu Informationen, was ein systemübergreifendes, konsistentes Datenmodell erfordert, das notwendigerweise auch unterschiedliche Kontextzusammenhänge herstellen können muss. Zudem müssen die beteiligten Systeme – also auch das MES – auch zukünftig Öffnung und Standardisierung erfahren und sollten stets als Teilnehmer eines Systemverbundes verstanden werden, der Quelle und Senke zugleich ist, also Dienste anbietet und konsumiert.

Modulare und mobile Automation

In den vergangenen Jahren ist die Komplexität von ­Produktionsabläufen und der Bedarf an deren Auto­matisierung stetig gestiegen. Das liegt vor allem an ­folgenden Rahmenbedingungen:

  • Hohe Marktdynamik und damit hohe Änderungsgeschwindigkeit, kürzere Produkteinführungszeiten (time-to-market),
  • zunehmende Produktdiversifikation und hohe Variantenvielfalt,
  • kurze Lieferzeiten und schnelle Reaktionen auf Kundenwünsche.

Damit sind auch die Anforderungen an die Flexibilität von Produktionsanlagen und deren IT-Systemen weiter gestiegen. Diesen neuen Anforderungen begegnet man derzeit mit neuen Anlagenkonzepten wie der Modularisierung. Davon betroffen sind jedoch nicht nur die Anlagen selbst, sondern alle beteiligten Systeme des Informationsverbunds einer Produktion (mindestens ISA-95-Level 2 bis 4). Modulare Equipments (PEAs), die bereits ab Werk eigene Steuerelemente mitbringen und sich und ihre IT-Sicht nach außen bekannt machen können, lassen sich per Plug-and-Produce in übergeordnete Systeme (POL-fähige MES-Systeme) integrieren. Dadurch gewinnen Anlagen erheblich an Flexibilität. Zwar werden MES aus Sicht der Autoren ihre Aufgabe als führendes System in der Fertigungssteuerung behalten, doch werden sie ebenfalls modularer aufgebaut und vor allem mit mehr Funktionen im Sinne eines Process Orchestration Layers (POL) versehen sein müssen, inklusive der Unterstützung aller nötigen industriellen Schnittstellen. Im Sinne der Modularisierung werden in diesem Zusammenhang auch autonome Roboter als modulare, mobile Einheiten innerhalb der Fertigungsanlagen verstanden. Diese können zahlreiche Aktivitäten rund um die Produktion ausführen. Einige dieser Aktivitäten sind entweder Teil der MES-gesteuerten Fertigungsabläufe oder sind so eng mit diesen verzahnt, dass sie über MES orchestriert werden müssen. Auch hier ergeben sich also neue Anforderungen an die MES-Schnittstellen. In Zukunft wird ein MES beispielsweise mit einem oder mehreren Fleet-Control-Systemen (FCS) kommunizieren, um Transportaufträge an heterogene Roboterflotten zu übermitteln und entsprechende Rückmeldungen erhalten zu können.

Zusammenfassung

Die hier beschriebenen Konzepte und Technologien können helfen, den neuen Anforderungen an die Fertigungs-IT zu begegnen, zeigen aber auch, dass die Systemlandschaften noch flexibler werden müssen und IT-Projekte im produktionsnahen Umfeld auch weiterhin vor allem Schnittstellen- und Integrationsprojekte sein werden. MES-Software kann dabei einen wesentlichen Beitrag leisten, wenn sie die hier beschriebenen nötigen Weiterentwicklungen erfahren.