MES-Funktionalitäten zur Montageplanung und -steuerung

Gut geplant ist halb gesteuert

In vielen Branchen müssen Manufacturing Execution Systeme spezifische Herausforderungen besonders gut bewältigen. Soll ein System etwa die Montage abbilden, muss es meist eine äußerst leistungsstarke Planung des Personalseinsatzes unterstützen.

 (Bild: ©industrieblick/Fotolia.com)
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Manufacturing Execution Systeme (MES) sind aus dem Wunsch nach einer detaillierten Planung, Steuerung und Kontrolle der betrieblichen Produktionsprozesse entstanden. Im Brennpunkt stand dabei ursprünglich die Notwendigkeit, komplexe Regeln zur Kapazitätsterminierung in der Teilefertigung zu beherrschen. Viele der aktuell auf dem Markt befindlichen ME-Systeme erfüllen diese Aufgabe mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Neben der Planung und Steuerung der Teilefertigung steht in vielen Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus die Montage des Produkts im Mittelpunkt des planerischen Interesses, wie beispielsweise größere Hersteller von Kunststoffspritzmaschinen, Holzverarbeitungsmaschinen oder Bearbeitungszentren, deren Montage eine größere Komplexität und eine höhere Stückzahl erreicht sowie weitgehend frei von Taktvorgaben ist. Bei der Suche nach einem geeigneten MES für ein Montagesystem sind eine Reihe von Besonderheiten zu beachten, die eine erfolgreiche Auswahl zu einer Herausforderung machen. Diese Besonderheiten lassen sich quer durch die in der VDI-Richtlinie 5600 beschriebenen Aufgabenbereiche eines ME-Systems verfolgen.

Woher kommen die Auftragsdaten?

Die für die Montage zur Verplanung stehenden relevanten Aufträge und Arbeitsgänge stammen typischerweise aus einem übergeordneten System, z.B. einem ERP-System (Enterprise Resource Planning). Die Kundenaufträge werden in Produktionsaufträge umgewandelt und anschließend nach bestimmten Regeln durch Freigabe an das ME-System übertragen. Eine Herausforderung ergibt sich durch die Abgrenzung von gegebenenfalls bereits auf Ebene des ERPs angelegten Projekten, wie sie sich für Montagen insbesondere von kundenspezifischen Sonderausstattungen anbieten. Die Schnittstellen zum ME-System müssen in diesen Fällen unter Umständen Elemente verschiedenen Ursprungs zu einem Montageauftrag zusammenführen können.

Werker sind wichtigste Ressource

Eine Besonderheit in der Planung und Steuerung von Montagen besteht darin, dass vorwiegend die Personalressourcen als Planungsobjekte relevant sind. Daraus ergibt sich gleichzeitig die Notwendigkeit, entsprechende Qualifikationen im System zu verwalten und in geeigneter Form zum Gegenstand der Planung zu machen. Praxisgerecht sind hier Modelle, die mindestens die grundlegenden Personalstammdaten inklusive der Schichtmodelle und der Arbeitszeitkalender aus dem übergeordneten System übernehmen und verwalten können. Dazu gehört eine Sicht, die die resultierende beplanbare Kapazität quantitativ darstellt, ohne den Planer zu nötigen, auf Personenebene namentlich zu planen, solange dies nicht gewünscht ist. Die Erfassung der geleisteten Arbeitsinhalte erfolgt in der Regel in einfacher Form in geleisteten Stunden. Einige Ansätze ermöglichen die Rückmeldung des Arbeitsfortschritts, wobei dieser in der Regel vom Montagepersonal nur geschätzt werden kann. Ein direkter Zusammenhang ergibt sich zwischen der Erfassung der Personalzeitdaten und den Betriebsdaten zum Montageauftrag. Eine Geht-Meldung unterbricht selbstverständlich die auf den Auftrag erfasste Zeit; eine Kommt-Meldung kann den am Vortag unterbrochenen Auftrag automatisch wieder anmelden, solange dieser noch nicht als abgeschlossen gemeldet wurde.

Gesetze der Arbeitsgangreihenfolge

Die aus dem übergeordneten System stammenden Montageaufträge sollten in ihrer Struktur mindestens in Vormontage(n), Endmontage und Inbetriebnahme unterscheiden. Werden diese als Dispositionsstufen geführt, stellt sich die Frage, ob das ME-System das gesamte Auftragsnetz verplanen soll, oder ob die gegenseitigen Abhängigkeiten über einen MRP-Lauf des übergeordneten Systems ausreichend abbildbar sind. Die Verplanung der darunterliegenden Arbeitsgänge folgt umfangreicheren Regeln als bei der Teilefertigung. In letzterer stellt Technologie und Materialfluss im Wesentlichen eine zwangsweise Vorgänger-Nachfolger-Beziehung zwischen den Arbeitsgängen. Im Montageablauf jedoch muss das Planungssystem mit vielfältigen Anordnungsbeziehungen umgehen können. Vorgänger-Nachfolgerbeziehungen zwischen den Arbeitsgängen können die Komplexität eines Netzwerks besitzen. Verschiedene Beziehungen zwischen Anfang und Ende beliebiger Arbeitsgänge, bestimmte oder wahlfreie Parallelitäten, ja sogar die völlige planerische Unabhängigkeit einzelner Arbeitsgänge können Gegenstand der Planungsregeln sein. Arbeitsgänge können zudem mehrere Vorgänger oder mehrere Nachfolger besitzen. Hier wird offenbar, dass das auszuwählende ME-System an dieser Stelle besonderen Anforderungen genügen muss.

Macht Platz

Neben der Verplanung der Personal- beziehungsweise Qualifikationsressourcen offenbart sich in vielen Unternehmen das Problem limitierter Montageflächen, aus welchem der Wunsch resultiert, auch diese als Ressourcen verplanen und für die Montage optimieren zu können. Es stellt sich also im einzelnen Auswahlfall die Frage, welche Ressource eigentlich die für die Verplanung führende ist. Einige Systeme auf dem Markt besitzen bereits Ansätze zur Verplanung der Montagefläche. Diese Ansätze beschränken sich jedoch meist auf eine einfache Flächenprüfung im Vergleich zur zu montierenden Maschine. Flexiblere Planungen, z.B. die Montage von zwei Maschinen auf einer Montagefläche, erfordern nicht nur das Wissen des Planers, sondern auch die entsprechende Freiheit im Planungssystem. Eine systemgestützte Optimierung der Montageflächen in der Art eines Zuschnittoptimierers wäre aus Sicht vieler Anwenderbetriebe wünschenswert, dürfte aber aufgrund vieler denkbarer zusätzlicher Randbedingungen den Planungsalltag stark überspannen. Die Planung der Belegungsreihenfolge der Montageflächen sollte zumindest mit Hilfestellung des Systems optimierbar sein. Dabei ist im Vorfeld ein möglicher Zielkonflikt mit der Optimierung der Personalauslastung oder der Optimierung der Termintreue zu prüfen. Viele ME-Systeme bieten den Ansatz, die Montagefläche als Parallelressource zu beplanen. Dabei ist jedoch zu prüfen, ob und welche Optimierungsparameter auch für diese Ressourcenart zur Verfügung stehen. Zudem weist die Montagefläche als Ressource die Besonderheit auf, dass sie bei Unterbrechung oder Fertigmeldung eines Arbeitsgangs oder Auftrags natürlich nicht ohne weiteres direkt für alternative Belegungen verfügbar ist.

Daten zum Montageplatz

Obwohl die Betriebsdatenkommunikation vielfach durch spezielle Subsysteme realisiert wird, gehört dieser Aufgabenbereich zwingend zur Planung und Steuerung durch ein ME-System. Die Aktualität des Auftragsvorrats und die entsprechende Ausstattung mit begleitenden Dokumenten am Montageplatz ist Voraussetzung einer verzugsfreien Planung und die möglichst fehlerfreie Umsetzung der Arbeitsinhalte. Der Auftragsvorrat stellt die durchzuführenden Arbeitsgänge in einer sinnvollen Reihenfolge zur Verfügung. Der Monteur muss die wesentlichen Zusatzinformationen auf einfache Weise abfragen können. Dazu gehören insbesondere Zeichnungen, Darstellungen und Hinweise, die dem jeweils für den Auftrag gültigen Revisionsstand entsprechen müssen. Dazu kann auch die Erfassung von Seriennummern gehören, die erst bei Einbau in die Maschine aufgenommen werden. Während die Erfassung der Montagezeiten bereits weit mit der Erfassung der Personalzeiten verbunden ist, gehört die Erfassung der bei der Inbetriebnahme ermittelten Daten und Messwerte zu den weiteren Voraussetzungen eines für die Montage geeigneten ME-Systems. Diese Art der Erfassung ist typischerweise nicht an andere Zustandsmeldungen (Start, Unterbrechung, Ende) geknüpft. Auch müssen beliebig viele Datensets definierbar sein, die im Laufe der Inbetriebnahme erfasst werden sollen. Eine große Rolle spielt hier die Möglichkeit, diese Erfassung mobil zu gestalten und weitestgehend kunden- und produktspezifisch konfigurieren zu können. An einigen Stellen müssen ganze Messwertreihen aufgenommen und zu der produzierten Maschine oder einer ihrer Komponenten gespeichert werden können.

Wohin die Daten gehen

Die Planungs- und Steuerungslösung wird durch den Rücklauf an das übergeordnete System abgerundet. Dabei müssen die auch für die Unternehmensebene erforderlichen Daten zurückgereicht beziehungsweise durchgereicht werden. Im Planungsstadium sind dies die auf Ebene des MES ermittelten Details bezüglich Auftrag und Arbeitsgängen, um etwa Informationen für den Vertrieb zurückzuschreiben. Dabei muss sichergestellt sein, dass das ERP-System mit seinen Funktionalitäten zum MRP-Lauf nicht zu einer Endlosschleife beiträgt. Es ist also empfehlenswert, hierfür zusätzliche Felder zu bemühen, die keine weiteren Prozesse auslösen. Es ist allerdings in diesem Fall zu klären, wie mit Materialbedarfen umzugehen ist, die arbeitsgangbezogen am Montageplatz zur Verfügung gestellt werden sollen. In jeder Hinsicht muss das übergeordnete System alle Informationen erhalten, die eine zweifelsfreie Materialverfügbarkeit am Montageplatz ermöglichen. Die erfassten Betriebs- und Personalzeitdaten werden an das übergeordnete System weitergegeben. Dort benötigt man sie nicht nur für die Dokumentation, sondern auch für die weiterführende Kostenrechnung im Sinn einer Nachkalkulation. Die während der Inbetriebnahme erfassten Messdaten sollten wahlweise auf Ebene und mit Mitteln des MES auswertbar sein oder in den entsprechenden Bereich der Qualitätssicherung des ERP-Systems bzw. eines angeschlossenen QM-Systems gespielt werden. Alle ermittelten Daten müssen für alle Beteiligten auswertbar und nachvollziehbar sein, damit die an der Montage beteiligten Personen ihre Erfahrung bestmöglich einbringen und austauschen können.


Christian Müller ist Senior Consultant im Trovarit Competence Center MES.