Interview mit Bernd Liepert, Kuka

„Wir denken Wege in die Zukunft“

Der Markt für industrielle Robotik wächst vielerorts rasant und Kuka gilt vielen als einer der großen Innovatoren der Branche. Dr. Bernd Liepert, Chief Innovation Officer bei Kuka, hat mit unserer Schwesterzeitschrift ROBOTIK UND PRODUKTION darüber gesprochen, welche Trends beim Augsburger Roboterhersteller besonders intensiv diskutiert werden.

Der studierte Mathematiker Dr. Bernd Liepert arbeitet seit 1990 beim Augsburger Roboterhersteller Kuka, erst als Entwicklungsingenieur, Entwicklungsleiter und später auch CEO der Robotersparte von Kuka. Er war Chief Technology Officer der Muttergesellschaft und arbeitet heute als Chief Innovation Officer an Innovationen bei Kuka.

"Wir denken Wege in die Zukunft" - Interview mit Bernd Liepert, Kuka
Bild: Kuka AG

Herr Dr. Liepert, welche Aufgaben haben Sie als Chief Innovation Officer bei Kuka?

Bernd Liepert: Meine Aufgaben und die meiner Mitarbeiter lassen sich wohl am besten in einem Satz beschreiben: Wir denken Wege in die Zukunft. Dabei motivieren wir Mitarbeiter, in diesem Sinne mitzudenken, wir schärfen deren Blick für gebotene Neuerungen und Veränderungen, initiieren Projekte und Prozesse.

Wie generieren Sie und Ihre Mitarbeiter denn Erkenntnisse, Zahlen, Daten, Fakten über innovative Trends, Technologien, Applikationen und Märkte?

Liepert: Grundsätzlich kommen Innovationen in der Industrie nicht als Big Bang daher. Nahezu alle Neuerungen resultieren aus kleinen und kleinsten Verbesserungen. Bei Kuka beispielsweise ist jeder unserer weltweit 14.000 Mitarbeiter dazu eingeladen, sich Gedanken über Verbesserungen in seinem eigenen Arbeitsumfeld zu machen. Die Ergebnisse werden gesammelt und verifiziert und können Anregungen geben, Prozesse und Produkte zu optimieren. Ebenso unterstützen wir die Neu- und Weiterentwicklung von Robotern, Peripheriegeräten, Fertigungsanlagen und Technologien. Und dann gibt es die sogenannten Megatrends wie die Digitalisierung, Überalterung der Bevölkerung, Individualisierung der Produkte und so weiter. Zu all diesen Trends gibt es Studien, die wir unter dem Aspekt analysieren, was jeder einzelne dieser Trends für die Robotik und Automation bedeutet. Schließlich prüfen wir, inwieweit Anwendungen und Applikationen in neue Bereiche übertragbar sind. Das alles sind sehr facettenreiche Themen, die wir sehr genau verfolgen. Um all das mit Zahlen, Daten und Fakten zu unterfüttern, nutzen wir sowohl unsere eigenen Studien und Informationen als auch externe Quellen.

Welchen Facettenreichtum meinen Sie konkret?

Liepert: Bei Industrie 4.0 sprechen wir beispielsweise von mobilen, vernetzten Robotern und sich selbst optimierenden flexiblen Produktionssystemen, die über Cloudplattformen miteinander kommunizieren und Daten in Echtzeit austauschen und so weiter. Bei Elderly Care ist Medical Care nicht weit. Denken wir diesen Aspekt weiter, dann sind wir bei Rehasystemen. Das wiederum bringt uns zu Cobots, zur Mensch/Maschine-Interaktion, zur Service- und zur mobilen Robotik, zu Leichtbaurobotern, zum Consumer-Bereich. Und schon sind wir beim Thema Sicherheit für Mensch, Maschine, Prozess und Aktionsumfeld. Das alles zeigt doch, wie eng die Megatrends miteinander verzahnt sind.

Wie trennt man kurzfristig Interessantes von nachhaltig Zukunftsfähigem? Und was passiert bei der Kuka mit solchen Erkenntnissen?

Liepert: Innovationsmanagement an sich ist schon nichts Kurzfristiges. Alles, was Kuka gegenwärtig den Kunden an Produkten, Leistungen, Automatisierungs- und Fertigungslösungen bietet, hat vor zehn und mehr Jahren seinen gedanklichen Anfang genommen. Und wir arbeiten aktuell an Antworten auf die Frage, was Kuka den Kunden in zehn oder fünfzehn Jahren bieten muss. Natürlich beobachten wir auch plötzlich aufkommende Hypes.

Wie sehr und in welcher Weise profitieren Sie bei Ihrer Arbeit von den beruflichen Erfahrungen, die Sie in fast 30 Jahren bei Kuka gesammelt haben?

Liepert: In das Innovationsmanagement war ich in allen meinen Positionen bei Kuka eingebunden. Die Erfahrung hilft mir vor allem bei der Einschätzung, welche Trends Potential haben und welche nicht. Ich habe früh begonnen, die Dinge langfristig zu betrachten. Einer meiner früheren Chefs hat mich vor vielen Jahren gelehrt: „Wenn Du in einem Prozess den nächsten Schritt noch nicht kennst, dann denke an den übernächsten Schritt. Und wenn Dir dieser klar ist, dann weißt Du automatisch, wie der Schritt davor aussehen muss.“ Und das Tolle ist: Das funktioniert tatsächlich.

Viele der Anfangs erwähnten Trends basieren auf der Verfügbarkeit von mobilen, autonomen, leichtgebauten, sichereren und sensitiv kollaborierenden Robotern. Warum eigentlich bleiben diese Trends hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück?

Liepert: Dafür gibt es verschiedenste Gründe. Beispiel Servicerobotik: Klammern wir mal Consumer-Produkte wie rasenmähende und staubsaugende Geräte aus, sind wir beim Kernthema der Servicerobotik: mobile Roboterassistenten, die Menschen in der Industrie, in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Haushalten oder wo auch immer Arbeit abnehmen und sie unterstützen. Das ist aber kein Großseriengeschäft. Deshalb amortisieren sich die doch sehr hohen Entwicklungskosten nur über angemessen realistische Verkaufspreise, die wiederum Investoren vielfach noch abschrecken. Außerdem scheuen Systemintegratoren vor den technischen und finanziellen Risiken, die sie bei derartigen Projekten eingehen könnten, zurück, denn Servicerobotik ist immer noch Neuland. Bei Industrie 4.0 wiederum bremsen weder hochpreisige Roboterlösungen noch in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkte Roboter. Die Initiatoren von Industrie 4.0 haben deren Inhalte ziemlich frei interpretierbar gestaltet. In mittelständischen und kleinen Unternehmen, die das Gros der deutschen Industrie ausmachen, herrscht ziemliche Unklarheit über diese Themen, über Digitalisierung, über die Sicherheit von Daten, die da in einer Wolke scheinbar verschwinden. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir von Kuka praktikable Industrie-4.0-Lösungen auch für den Mittelstand entwickeln. Und dabei sind wir schon auf einem recht guten Weg. Nicht ändern können wir jedoch, dass es mit Blick auf IoT in Deutschland flächendeckend überhaupt kein schnelles Internet gibt, damit Produktionssysteme in Echtzeit Daten austauschen und miteinander kommunizieren. Hemmnisse gibt es auch bei der mobilen Robotik, und zwar z.B. durch die unterschiedliche Normenlage bei Robotern und mobilen Plattformen, die den Einsatz der mobilen Roboter noch ziemlich einschränken. Als weiteres Hemmnis gilt immer noch die Programmierung und Inbetriebnahme von Robotern. Beides ist zwar schon recht einfach und komfortabel, aber offenbar noch nicht einfach genug.

Würden Sie sagen, dass Roboter hinsichtlich ihrer Mechanik weitestgehend ausgereizt und echte Innovationen nur noch aus dem Steuerungs- und Software-Bereich zu erwarten sind?

Liepert: Nein. Es gibt – getrieben durch MRK, mobiler Robotik, Care Robots und ähnliche Themen – einen erkennbaren Trend zu Leichtbaurobotern. Das macht auch Sinn, denn einen Cobot, der eine halbe Tonne wiegt, den kann ich mir noch recht gut in einer Fabrikhalle vorstellen, aber beispielsweise nicht in einem Wohnhaus, in dem sein Gewicht womöglich die zulässige Traglast einer Geschossdecke übersteigt. Die Kehrseite der Medaille ist: Man kann nicht über einen Leichtbauroboter mit 15 oder 20kg Eigengewicht nachdenken, solange Komponenten wie z.B. am Markt verfügbare Präzisionsgetriebe noch viel zu schwer sind. Da muss man sich andere Antriebslösungen einfallen lassen; bzw. führende Unternehmen aus dem Bereich Antriebstechnik einladen, um gemeinsam solche leichter bauende Lösungen zu entwickeln; am besten solche mit unbegrenzter Lebensdauer.

Geht der Trend in der Robotik eher zu multifunktionalen Alleskönnern oder doch eher zu Geräten, die daraufhin entwickelt worden sind, eine spezielle Aufgabe bestmöglich zu erledigen?

Liepert: Diese Frage wird wahrscheinlich bei allen Roboterherstellern diskutiert, wobei ich der Meinung bin, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Es wird für industrielle Anwendungen solche Spezialisten geben müssen – denken wir nur mal an den Themenkomplex ‚Picken, Packen, Palettieren‘ oder an Applikationen für Schwerlastroboter. Dagegen sehe ich unsere Leichtbauroboter Iiwa und Iisy durchaus als multifunktionale Helferlein, und zwar sowohl in der Industrie als auch in der Servicerobotik, im Reha- und im Pflegebereich und so weiter.

Sie befürworten namens Kuka eine Robotic Governance. Was heißt das konkret?

Liepert: Robotic Governance definiert, simpel formuliert, einen Ordnungsrahmen für den verantwortungsvollen Umgang mit Maschinen – und damit auch Robotern – die infolge der Fortschritte im Bereich künstlicher Intelligenz in der Lage sind, selbständig Entscheidungen zu treffen und autonom zu handeln. Im Vordergrund stehen bei Robotic Governance ethische und moralische Aspekte, ähnlich wie bei Corporate Governance. Wir haben zu diesem Thema eine Erklärung formuliert, deren Tenor der Schutz von Menschen ist, die mit Maschinen bzw. Robotern zusammenarbeiten. Die in dieser Erklärung formulierten Maßgaben der Gefahrenvermeidung sind für uns weltweit bindend. Gerade der Aspekt der künstlichen Intelligenz spielt bei der Robotic Governance eine ganz entscheidende Rolle. Es gibt dieses Bild des akribisch an der Kernspaltung arbeitenden Wissenschaftlers, der nach dem Abwurf der ersten Atombombe darüber sinniert, dass seine Arbeiten Vorschub geleistet hätten, die Büchse der Pandora zu öffnen, in welcher – der griechischen Überlieferung nach – alle Übel dieser Welt verschlossen sind. Genau deshalb muss man die Entwicklungen im Bereich künstliche Intelligenz sehr intensiv beobachten. Nicht alles, was möglich ist, ist auch sinnvoll. Ein Beispiel: Ein mobiler Roboter, der einen Pflegepatienten ins Bad, in die Küche, zu einem Arzttermin oder bei Spaziergängen begleitet, macht durchaus Sinn. Er kann die Medikamente, die ein Arzt verschrieben hat, auch entsprechend portionieren und an den Patienten übergeben. Der Roboter sollte immer der Assistent des Menschen sein. Aber der Patient entscheidet, ob er die Medikamente einnimmt oder, wenn er es nicht kann, eben der Angehörige. (mli)