Werkstücke identifizieren

Reif für die Inseln

Verkettete Produktionsprozesse in Sondermaschinen haben Nachteile: Ein Stopp an einer Station sorgt fast unmittelbar für den Stillstand der gesamten Maschine. Intelligente Pufferstrecken können für einen stetigen Produktionsfluss sorgen, lassen sich aber meist erst mit der Identifikation der Werkstücke sinnvoll realisieren. Der Automobilzulieferer Euwe Eugen Wexler GmbH & Co. KG hat dies in einer neuen Produktionsanlage für Heckentlüftungen entsprechend umgesetzt.



Bild: Hans Turck GmbH & Co. KG

Die Referenzkundenliste der Euwe-Gruppe liest sich wie das Who is Who der Automobilbranche: General Motors, VW, BMW, Mercedes-Benz und Porsche sind dort beispielsweise aufgeführt. Wer die anspruchsvollsten Kunden in einer so wettbewerbsgetriebenen Branche wie der Automobilindustrie beliefert, muss im Lauf der Firmengeschichte einiges richtig gemacht haben. Die Qualität muss stimmen, die Preise müssen es ebenso. Und nicht zuletzt müssen Produktions- und andere interne Prozesse so aufgestellt sein, dass sie die Anforderungen der ISO/TS 16949:2009 erfüllen, die Automobilhersteller fordern.

Die Unternehmensgruppe beliefert Automobilhersteller und -zulieferer weltweit mit Hightech-Kunststoffprodukten. Das sind Innenraumverkleidungselemente, Mittelkonsolen, Kofferraumverkleidungen oder auch funktionale Bauteile. Dazu zählen zum Beispiel Heckentlüftungen, die dafür sorgen, dass der Überdruck, der beim Schließen einer Tür oder dem Auslösen eines Airbags entsteht, kontrolliert aus dem Auto entweichen kann. Die Bauteile sind mit Lamellen versehen, die den Luftdruck bei Überdruck ablassen, sonst jedoch geschlossen bleiben und keine Außenluft einlassen.

Produktion erweitert

2014 begann das Unternehmen, die bestehende Produktion um eine weitere Sondermaschine zur Herstellung von Heckentlüftungen für BMW zu erweitern. Inselfertigung nennt sich diese Anlage, weil sie sich aus einzelnen Fertigungsstationen zusammensetzt. Am Anfang des Prozesses steht eine Spritzgussmaschine zur Produktion der Rohlinge. Ein Roboter hebt jeweils vier Rohlinge auf einen Werkstückträger, der auf einem Förderband zur ersten Bearbeitungsstation fährt. Dort legt ein Roboter je vier Lamellen auf jeden der vier Rohlinge auf, die anschließend mittels Ultraschallschweißen am Halbartikel fixiert werden.

An der folgenden Station prüft eine Kamera auf Schweißfehler, bevor die vier Rohlinge gewendet werden. Fehlerhafte Teile werden hier direkt ausgeworfen und durch Gutteile ersetzt. Beim letzten Prozessschritt trägt ein Roboter auf die gedrehten Lüftungen Dichtungsschaum auf. Dazu wird aus der einspurigen Materialträgerführung kurzzeitig eine zweispurige, um hier keine Stauzeit zu verursachen. Im letzten Prozessschritt folgt dann eine aufwendige optische Kontrolle der geschäumten Dichtung. Eine Kamera mit spezieller Beleuchtung am Roboterarm überprüft dabei Form, Konsistenz und Volumen des Dichtungsschaums.

Nachteile der Verkettung

Im Rahmen der Anlagenplanung stellte sich auch die Frage nach der geeigneten Identifikation der Werkstückträger im Prozess. Automatisierungstechniker Robert Ullmann hatte schon an einer bestehenden Anlage Erfahrungen mit der Erkennung von Werkstückträgern gesammelt. In der älteren Anlage hat der Automobilzulieferer dazu eine Verkettung über klassische Näherungsschalter genutzt. Wenn Fehler dokumentiert werden müssen, zählt die Steuerung quasi mit, ordnet die Information über fehlerhafte Produkte den einzelnen Werkstückträgern zu und wirft fehlerhafte Produkte aus. Die Kette der Werkstückträger darf dabei allerdings nicht unterbrochen werden.

Darin liegt auch der große Nachteil verketteter Systeme. Eine Pufferstrecke, die Verzögerungen im Prozess abfangen kann, ist nicht möglich. Wenn ein Produktionsschritt stockt, dann staut sich die Produktion vor dieser Station. Produktionsinseln hinter dem Stau müssen pausieren, da die benötigten Teile fehlen. Auch aufgrund dieser Erfahrungen empfahl Ullmann, bei der zweiten Produktionsanlage für Heckentlüftungen eine Werkstückträger-Identifikation mit RFID zu realisieren. „Wir haben uns überlegt, was können wir besser machen als beim letzten Mal. An der bestehenden Maschine haben wir gesehen, welche Vorteile uns ein RFID-System bringt. Die neue Maschine produziert schneller und verlangt zudem seltener manuelle Eingriffe durch Mitarbeiter.“

Kompakte Bauform

Euwe setzt einen sehr kompakten RFID-Schreiblesekopf von Turck ein: Der quaderförmige Schreiblesekopf TN-Q14-0.15-RS4.47T lässt sich in der Mitte der Fixierungen an den Produktionsinseln montieren. Ein Zylinder hätte hier nicht verwendet werden können, da sich an dem Platz schon ein Metallzylinder befindet. Die Positionierung an einer anderen Stelle der Materialträgers wäre aufwendiger gewesen. Am Materialträger hat man mittig die kreisförmigen Datenträger des Typs TW-R50-B128 montiert.

Einfache Integration



Robert Ullmann ist von RFID überzeugt: „Die neue Maschine produziert schneller und verlangt zudem seltener manuelle Eingriffe durch Mitarbeiter.“
Bild: Hans Turck GmbH & Co. KG

„Die Integration des RFID-Systems in der Steuerung war sehr einfach. Wir mussten keine Sonderbausteine in der SPS-Software hinterlegen, die die RFID-Sprache in die Sprache der Steuerung übersetzen. Ich konnte die Schnittstelle der Steuerung direkt bedienen. Die Information wird einfach auf den Ausgang der Steuerung geschrieben und landet so auf dem Werkstückträger“, sagt Ullmann über die Integration in der S7-Steuerung von Siemens. Der Automatisierungstechniker weiß, dass andere Systeme solche Programmierungsbausteine verlangen. Das RFID-System identifiziert jeden Werkstückträger im Prozess acht Mal.

Fehlerhafte Bearbeitungsschritte schreibt die Steuerung in eine Datenbank, die den Eintrag mit dem entsprechenden Werkstückträger und der Position der Heckentlüftung auf dem Träger verknüpft. Die Daten gelangen über Turcks BL20-Multiprotokoll-Gateway über Profinet zur S7-Steuerung. Wenn ein Prozess fehlerhaft läuft, wird das während des Prozesses oder in einer nachgelagerten Prüfung erkannt und dokumentiert. Beim Ultraschallschweißen erkennen beispielsweise die Schweißmaschinen selbst, ob die nötige Tiefe zum optimalen Schweißen erreicht wurde. Anschließend folgt eine optische Prüfung, deren Ergebnisse genauso dokumentiert werden wie die der finalen Prüfung nach dem Aufspritzen der Dichtung.

Effizienz durch RFID

Das Ergebnis der durchgängigen Identifikation der Werkstückträger ist eine flexible Anlage, die schneller produziert und zudem weniger manuelle Eingriffe durch Facharbeiter benötigt als ohne Identifikation. „Mit der neuen Anlage könnten wir auch fliegende Variantenwechsel einfacher vollziehen. Das ist bis jetzt zwar nicht geplant, mit der entsprechenden Änderung der Werkzeuge wäre es aber vom RFID-System her einfach zu realisieren“, so Ullmann. Auf dem Bedienerinterface der S7-Steurung lassen sich alle Stationen und die entsprechenden Werkstückträger anzeigen. Treten an einer Station gehäuft Fehler auf, lässt sich das über die Visualisierung nachvollziehen.

Derzeit verfolgt Euwe nicht, ob bestimmte Werkstückträger häufig Fehler produzieren. Robert Ullmann kann sich aber vorstellen, diese Option bei der nächsten Maschine dieser Art zu integrieren. Dass demnächst erneut eine solche Inselfertigung gebaut werden muss, ist durchaus möglich. Schließlich ist Lauf an der Pegnitz die zentrale Sondermaschinenfertigung für die gesamte Firmengruppe. So profitieren auch die Werke in Tschechien, Mexiko und ab 2017 auch das neu gebaute Werk in den USA von der Erfahrung im Bau von Sondermaschinen, die die Kollegen in Lauf haben.







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