Einführungsmethodik

Schritt für Schritt zum
digitalen Shop Floor

Ein Manufacturing Execution System muss auch in Zeiten der digitalen Transformation aufzeigen, dass es sein Geld wert ist. Zumal die Ziele bei der Einführung einer produktionsnahen Software noch immer meist mehr Produktivität und niedrigere Kosten sind. Gute Planung schon vor dem Projektstart trägt dazu bei, keine Beteiligten mit dem technischen Wandel zu überfordern.

Bild: © Kzenon/fotolia.com
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Vor der Einführung einer produktionsnahen Software wie eines Manufacturing Execution Systems gilt es, die betrieblichen Abläufe kritisch zu prüfen. Die Bedeutung von Pflichtenheften, Anforderungsdefinitionen oder Sollkonzepten sind mittlerweile meist bekannt. In der Praxis findet sich darin jedoch oft kein Sollzustand, sondern eher eine Auflistung von Problemen und unrealistischen Wüschen. Denn geschrieben wird ein Pflichtenheft im Allgemeinen von Praktikern ohne viel Erfahrung mit einem MES. Es fehlt meist am Wissen, um realistisch und visionär zugleich ein ‚rundes‘ Pflichtenheft für die Systemauswahl zu erstellen. Im Idealfall beginnt eine Systemeinführung daher immer mit einer gemeinsamen Konzeption oder zumindest einem intensiven Workshop. Hier lernen Mitarbeiter des Fertigungsbetriebes die Möglichkeiten und Grenzen einer MES-Lösung kennen. Für den Softwarehersteller ist es deutlich aufwendiger, eine Anwendung zu entwickeln, die auf Individualisierungswünsche vorbereitet ist, als eine oder zwei Buchungsvarianten zu ermöglichen. Wie schnell und wie handhabbar solche Anpassungen mit einer Software durchzuführen sind, ist für den Anwender in Spe nur schwer festzustellen. Aber Rückschlüsse lassen sich in der Konzeptionsphase dennoch ziehen. Wenn der IT-Partner offen für Individualität ist, etwa bei der Konzeption der Schnittstellen oder Buchungsmasken, können die Vertreter des produzierenden Unternehmens darauf schließen, dass sich die Software auch später an veränderte Abläufe in der Produktion anpassen lässt. Vordefinierte Parameter zur Individualisierung einer Software bergen die Gefahr, dass diese die Variationsmöglichkeiten sogar einschränken. Am Ende bieten nur Skripte eine detaillierte Anpassungsmöglichkeit. Wenn aber Anpassungen mithilfe von Skripten durch eine vernünftige Entwicklungsumgebung mit Syntaxprüfung und Onlinehilfe unterstützt werden, können Fertigungsbetriebe mit der Zeit Anpassungen selbst vornehmen – und sind damit für künftige Prozessveränderungen gerüstet.

Aus Erfahrungen schöpfen

Der Softwareanbieter kann auf Basis seiner Erfahrung aus anderen Projekten Optimierungspotenzial und bisher nicht bedachte Möglichkeiten aufzeigen. Während dieser gemeinsamen Arbeit muss noch lange nicht jedes Detail festgelegt werden, aber am Ende kennen sich beide Beteiligten besser und können gemeinsam Ziele, Projektstufen und Vorgehensweise abstimmen. Auch fällt dem Softwareanbieter nun eine Angebotserstellung leichter. Dieser Ansatz setzt allerdings voraus, dass das Projekt einen gewissen Rahmen aufweist: Ziel bei der Einführung einer Software sollte sein, nicht die Abläufe in der Produktion an die Software anpassen zu müssen, sondern die Software an die Prozesse der Produktion anzupassen. Trotzdem bietet die Einführungsphase einer Software die Chance, die internen Prozesse nicht nur zu hinterfragen, sondern neu zu strukturieren und allein dadurch die Prozesse zu verbessern. Hier zeigt sich häufig ein großer Vorteil von Standardsoftware, da länger am Markt agierende Softwareunternehmen über die Jahre die Masken und Vorgehensweisen im System stetig weiterentwickelt haben. Wenn also die Abläufe in der eigenen Produktion überhaupt nicht in die Erfassungsmuster einer Software passen, lohnt es sich darüber nachzudenken, ob die eigenen Abläufe noch zeitgemäß sind. Gleichzeitig sind es ja vielleicht diese individuellen Produktionsabläufe, die das eigene Produkt am Markt so wertvoll machen.

Prozesse im Projektplan

Die Abwägung zwischen Prozessoptimierung hin zu einer Best Practice-Lösung und Aufgabe von individuellen Abläufen, um die Produktion in Software abbilden zu können, muss sorgfältig erfolgen. Softwareanbieter können hier Möglichkeiten aufzeigen. Leider wird der Aufwand für die Prozessoptimierung vor der Auswahl einer neuen Software nur selten in Projektplänen abgebildet und die Chance damit vergeben. Gute Software erlaubt auch nach der Einführung noch Anpassungen der Abläufe. Aber viele individuelle Lösungen, in denen sich auch die ungewöhnlichsten Abläufe ohne Schwierigkeiten buchen lassen, geben häufig wenig Anlass zum Aufbrechen gewohnter – aber überholter – Strukturen. Hier besteht sogar das Risiko, veraltete Abläufe mit einer neuen Software weiter zu zementieren.

Mut zur Lücke

Stephan Birkmann ist Kundenberater MES bei der Gfos mbH.
Stephan Birkmann ist Kundenberater MES bei der Gfos mbH.

Meist ist es zu Beginn eines Projektes wenig sinnvoll, alle Details der einzuführenden Software zu definieren. Im Projektverlauf kommt zu oft das reale Leben dazwischen und auch der Lernprozess auf beiden Seiten führt oft zu Änderungen. Hier hilft es, die Software modulweise einzuführen und jede Einführung schrittweise auszurollen. Das muss die Softwarearchitektur allerdings unterstützen. Beginnen lässt sich zum Beispiel mit der BDE in einem einfachen Produktionsbereich, bevor komplexe Themen wie Planung oder Qualitätsmanagement umgesetzt werden. Nach der Einführung bietet Standardsoftware oft den Vorteil, dass viele Anwenderunternehmen die Software mit ihren Ideen und Anforderungen verbessern helfen. Mit einer agilen Arbeitsweise lässt sich laufend sicherstellen, von diesen Erweiterungen zu profitieren.