Attraktive Oberfläche als Differenzierungsmerkmal

Aus diesem Grund haben viele Maschinen- und Anlagenbauer erkannt, dass Funktionalität nicht alles ist. Sie muss auch beim Benutzer ‚ankommen‘. Deshalb kümmern sich immer mehr Hersteller verstärkt um das Thema ‚Usability‘. Hinter diesem Begriff verbirgt sich das Ziel, die Bedienung interaktiver Produkte intuitiv, leicht erlernbar und damit effizient zu gestalten. Doch inzwischen gehen erste Hersteller sogar weiter: Auch die Maschinenbedienung (Human Machine Interface, HMI) soll Spaß machen, den Benutzer motivieren und ein positives Gefühl vermitteln. Der Fachausdruck hierfür lautet ‚User Experience‘ und beschreibt ein positive Nutzungserlebnis, das der Anwender bei der Bedienung eines Produkts erfährt. Häufig wird User Experience auch mit attraktivem Design gleichgesetzt. Auch bei der Messe SPS/IPC/Drive 2010 in Nürnberg zeigte sich dieser Trend. Nahezu alle Anbieter von HMI- und Scada-Systemen stellten grafisch aufgepeppte Bedienoberflächen vor. „Wir machen das, weil es für die Maschinen- und Anlagenbauer eine Möglichkeit ist, sich am Markt zu differenzieren“, lautet die einhellige Auskunft bei den Anbietern. Jedoch ist Design kein Selbstzweck: Die Bedienoberfläche muss einfache Kontrolle gestatten und zur Identität des Anbieters passen. Denn nur das Zusammenspiel von guter Gestaltung und guter Bedienung verspricht nachhaltigen Einfluss auf die User Experience. Klaus Bauer, Leiter der Systementwicklung MMI bei Trumpf, formulierte es so: „Die Bedienoberfläche ist unsere Visitenkarte.“ Der Kunde arbeitet täglich damit, sein Eindruck von der Bedienung prägt auch sein Bild vom Anbieter. Ein schlechter Eindruck bei der Bedienung lässt sich nur schwer durch Vertriebs-, Service- oder Schulungspersonal ausgleichen. Die Bedienoberfläche trägt also viel zum Markenimage bei. Doch bislang scheinen nur wenige Maschinen- und Anlagenbauern dieses Potenzial richtig einzuschätzen.

Kostensenkung durch gelungene Interface-Gestaltung

Neben der Wirkung auf das Image des Herstellers gibt es auch handfeste Vorteile für die Käufer. Klaus Bauer berichtet etwa von signifikant reduzierten Schulungs- und Einarbeitungsaufwänden, nachdem im Unternehmen eine neue Generation der Touch-Bedienung eingeführt wurde. Dr. Erhard Tellbüscher, Vorstandsvorsitzender der Lenze AG, nennt verringerte Inbetriebnahmezeiten und verminderten Aufwand bei Service-Einsätzen für die Antriebstechnik als weitere Vorteile einer gelungenen Bedienerführung. Viele Maschinen- und Anlagenbauer schildern aber auch, dass sich ihre eigene Arbeitsweise in der Produktentwicklung verändert und verbessert hat, seitdem sie sich mit dem Thema Oberflächengestaltung auseinandersetzen. Peter Holzkämper von SIG Combibloc Systems etwa hebt in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit in einem Team aus Ergonomie-Experten, Designern und Ingenieuren hervor.

Positive Auswirkungen auf Entwicklungszeiten

Viele Hersteller gehen inzwischen sehr strukturiert bei der Gestaltung der Bedienoberflächen vor. Sie analysieren Nutzer und Nutzungsszenarien, entwerfen Informationsarchitekturen und Interaktionskonzepte, erstellen Interface-Prototypen, führen Akzeptanztests mit Endbenutzern durch und dokumentieren erarbeitete Standards in einem Firmen-Styleguide. Der Trumpf-Styleguide und die zugehörige Programmierbibliothek reduzierten beispielsweise den Aufwand für die Erstellung der Bedienoberfläche deutlich. Eine solche Standardisierung bietet zudem Sparpotenzial für Maschinen- und Anlagenbauern, die normalerweise in jedem Projekt große Teile der Bedienung neu und individuell implementieren. Denn Firmenstandards sind ein wesentlicher Schritt hin zu Standard-Software, bei der nur noch begrenzte Teile kundenspezifisch projektiert werden müssen. Das verringert Entwicklungskosten und -zeiten, und kommt damit letztlich auch den Käufern zugute.

Auf dem Weg zu nächsten HMI-Generationen

Allerdings kostet die Erstellung eines Firmenstandards Hersteller im ersten Schritt Geld und Zeit. Der Nutzen stellt sich erst später ein. Entsprechende Investitionen sollten gut vorbereitet sein. Dabei zählt die interne Vermarktung zu den zentralen Erfolgsfaktoren, etwa durch das systematische Einbinden interner Stakeholder oder das regelmäßige Präsentieren des Projektfortschrittes auf Betriebsveranstaltungen. Inbetriebnehmer, Monteure, Service, Hotline- und Vertriebsmitarbeiter müssen intensiv auf die neue Bedienung und ihre Mehrwerte geschult werden. Doch ungeachtet solcher Hürden sind die ersten neuen Bedienkonzepte bereits in der Praxis angekommen. Ob komplexe Maschinen-Terminals den Komfort eines Apple- oder Android-Smartphones erreichen, bleibt abzuwarten. Von einfacheren, strukturierten Bedienoberflächen profitieren Fertigungsunternehmen in Zukunft aber in jedem Fall.

 


Bild: User Interface Design GmbH

VDMA-Hilfestellungen zu Usability und User Experience

Der Fachverband Software des VDMA betreut die Themen ‚Usability‘ und ‚User Experience‘ bereits seit dem Jahr 2004. In diesem Jahr veröffentlichte die Organisation den Leitfaden „Software-Ergonomie“, begleitet durch Informationsveranstaltungen und Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften. Seit dieser Zeit stieg die Zahl der Nachfragen der Verbandsmitglieder zu diesem Thema rasant an. Das hat die Organisation dazu bewogen, das Thema als festen Bestandteil des Fachverbandes Software zu verankern und entsprechend weiter zu entwickeln. In Jahr 2009 erschien ein ergänzender Leitfaden mit dem Titel „Software-Internationalisierung“, der Wege beschreibt, aus den Anforderungen der Software-Lokalisierung die Architektur für neue Produkte in frühen Entwicklungsphasen zu bestimmen. Auch dies ist eine notwendige Voraussetzung, um in Zukunft mit Sicht auf die Entwicklungskosten das Thema ‚Usability‘ und ‚User Experience‘ weltweit erfolgreich zu agieren.