Maschinen- und produktbezogene IT-Strukturen

Aus historischen Daten lernen

Entscheider in Entwicklung und Produktion werden von heterogenen IT-Systemen unterstützt, die vielfach nur einen spezifischen Ausschnitt aus dem Produktlebenszyklus fokussieren. Um übergreifende Lösungen umsetzen zu können, lassen sich die anfallenden Daten mit Hilfe von Business-Intelligence-Konzepten sammeln, aufbereiten und analysieren. Die so ermittelten historischen Daten können die Grundlage für zukünftige Entscheidungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus bilden.

Wandlungsfähigkeit und Ressourceneffizienz von Industrieunternehmen sind aufgrund herausfordernder globaler Konkurrenzsituationen und knapper werdenden Ressourcen in den letzten Jahren wichtige Forschungs- und Handlungsfelder im Umfeld der Ingenieurdisziplinen geworden. Hierbei hat das Konzept der ‚Digitalen Fabrik‘ besondere Beachtung gefunden, das auf der Basis einer konsequenten Digitalisierung neue Lösungen für aktuelle Herausforderungen in Produktion und Entwicklung anbieten möchte. Als Ziel steht nicht zuletzt im Raum, durch den Einsatz geeigneter Konzepte und IT-Systeme einen besseren Überblick zum Produktentstehungsprozess zu erhalten, um bereits im Vorfeld von Entscheidungen Handlungsalternativen auf Basis historischer Daten evaluieren zu können.

Gezielte Unterstützung für operative Prozesse

Technische Produkte sind in der Regel komplex; an ihrer Entstehung sind Aufgabenträger aus verschiedenen Bereichen beteiligt. Zur Unterstützung werden häufig verschiedene IT-Systeme eingesetzt, die spezifische fachliche Anforderungen abdecken. Um in diesen Strukturen Produktentwicklungsprozesse umfassend steuern zu können, werden im Ingenieursbereich zunehmend Product Data Management-Systeme (PDM) eingesetzt. Diese schaffen eine gemeinsame Datenbasis. Dazu wird eine mit Metadaten versehene, zentrale Verzeichnisstruktur im Sinne eines Dokumentenmanagement-Systems eingesetzt. Eine Erweiterung klassischer PDM-Systeme stellen Product-Lifecycle-Management-Systeme (PLM) dar, die vielfach zusätzlich die Abbildung von Prozessen und Workflows im Produktlebenszyklus ermöglichen. Der Einsatz von PDM/PLM-Systemen kann zu erheblichen Verbesserungen der betrieblichen Abläufe führen: Da alle Beteiligten Zugriff auf konsistentes Datenmaterial haben, entfallen Abstimmungszeiten und Versionsabgleiche, beispielsweise eines Produktmodells.

Informationen aus vielfältigen IT-Systemen beziehen

Obwohl diese Systeme im operativen Kontext zu Prozessverbesserungen führen können, bieten sie in dispositiven Bereichen eines Unternehmens allerdings eher geringe Unterstützung. Aufgrund der Tendenz zur Dezentralisierung und Modularisierung in Industrieunternehmen arbeiten einzelne Aufgabenträger häufig gleichzeitig im operativen und dispositiven Kontext. So kann die Wahl einer bestimmten Materialart in der Konstruktion beispielsweise zu hohen Produktionskosten oder Reklamationszahlen in späteren Phasen des Produktlebenszyklus führen. Einzelne operative Systeme sind selten darauf ausgelegt, ein vollständiges Bild möglicher Konsequenzen zu liefern: Die verwendete Materialarten können in der PDM/PLM-Lösung, die Produktionskosten aber im Enterprise Ressource Planning-System (ERP) abgelegt sein. Die IT-Infrastrukturen sind in der Regel nicht darauf ausgelegt, eine Integration zwischen den verschiedenen Systemen zu ermöglichen. Zur Lösung dieses Problems bietet sich ein erweiterter Business Intelligence-Ansatz (BI) an, der auch als ‚Industrial Intelligence Framework‘ bezeichnet wird.

Betrieblicher Gesamtansatz zur Entscheidungsunterstützung

Business Intelligence beschreibt einen integrierten, unternehmensspezifischen und IT-basierten Gesamtansatz zur betrieblichen Entscheidungsunterstützung. Somit umfasst BI die Extraktion relevanter Daten aus operativen und externen Quellsystemen, die Generierung relevanter Informationen aus den Daten mit Hilfe von Analysewerkzeugen sowie die Darstellung der Ergebnisse in BI-Portalen. Die Bereitstellung der Informationen in Data Warehouses (DWH) als betriebswirtschaftlich orientiertem Datenpool kann eine harmonisierte Grundlage für Entscheidungen schaffen, die im Unternehmen getroffen werden. Neben den informationstechnischen Aspekten sind organisatorische Aspekte Teil von BI.

Dazu gehören beispielsweise Zuständigkeiten und Richtlinien zur Entwicklung, zum Einsatz und Betrieb der BI-Werkzeuge, sowie die Mitarbeiter, welche die BI-Systeme nutzen oder weiterentwickeln. Der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik I der Universität Stuttgart arbeitet im Rahmen eines BMBF-geförderten Projekts daran, das generische BI-Konzept für die Belange von Industrieunternehmen anzupassen. Betriebe haben typischerweise neben den betriebswirtschaftlichen Systemen eine getrennte Engineering-IT, bestehend aus PDM/PLM-Lösung sowie verschiedenen Systemen, die in Produktentwicklung und Produktion eingesetzt werden.

In diesen werden durch Konstruktion und Simulation Daten zu technischen Merkmalen von Produkten, digitale Produktmodelle, aber auch Maschinendaten zur Prozess- und Layoutplanung erstellt oder verarbeitet. Vielversprechend ist der Ansatz, diese beiden Welten zu kombinieren: So lassen sich in einem Industrial Intelligence Framework Computer-Aided-Design-Software (CAD) und PDM/PLM-Lösungen genauso wie ERP- und Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM) als Quellsysteme heranziehen. Aus diesen operativen Systemen lassen sich relevante Daten extrahieren, integrieren und in maschinen- und produktorientierten Data Warehouses ablegen. So lassen sich Analysen durchführen, um ein möglichst vollständiges Bild über Produkte, Maschinen und Produktionsabläufe zu erhalten.

Maschinenbezogene Informationen zusammenführen

Stamm- und Bewegungsdaten der im Unternehmen vorhandenen Maschinen werden dazu in einem maschinenorientierten Data Warehouse (mDWH) gesammelt. Auf Basis dieser Daten können Kombinationen möglicher Technologieparameter – etwa Toleranzen – ausgewertet und verglichen werden. Die im mDWH zusammengeführten Daten über Maschinen, Prozesse und Werkzeuge können im zeitlichen Verlauf – beispielsweise auftrags- oder kundenbezogen – ausgewertet werden. Anhand dieser Informationen lassen sich genauere Aussagen über Machbarkeit, Qualitätsmerkmale und Kosten eines neuen Produktes tätigen. Dem technischen Einkauf stehen damit die notwendigen produktionsbezogenen Informationen zur Verfügung, um einen Kundenauftrag adäquat verhandeln zu können. Auch dem technischen Vertrieb wird so ermöglicht, eigenständige Entscheidungen über die Annahme von Kundenaufträgen zu treffen.

Zugriff auf Produktdaten für Ursache-Wirkungs-Analysen

Folglich sind neben der Kenntnis der Maschinen – und damit des technologischen Potenzials einer Fertigung – auch Kenntnisse über die herzustellenden Produkte unabdingbar. Dies wiederum macht die zentrale Speicherung relevanter Informationen in einem produktorientierten Data Warehouse (pDWH) erforderlich. Dort werden Produktdaten aus PDM/PLM-Systemen mit Geschäftsdaten aus dem ERP-System kombiniert. Dadurch wird die Begrenzung zahlreicher traditioneller PDM/PLM-Systeme auf den Bereich der Speicherung technischer Daten überwunden und eine vollständig integrierte, produktlebenszyklusübergreifende Betrachtung ermöglicht. Mit Hilfe von Ursache-Wirkungs-Analysen können Zusammenhänge zwischen technischen Produkteigenschaften und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht werden. Beispielsweise kann von häufig vorkommenden Reklamationen auf eventuell problematische Produkteigenschaften geschlossen werden.

Schwachstellen im Produktenstehungsprozess vermeiden

Nutzen aus einer solchen Analyse ziehen unter anderem das Qualitätsmanagement, die Produktentwicklung sowie die Produktion. Aber auch Vertrieb und Technik können das System nutzen, denn sie liefern wiederum Input in Form von Serviceberichten über defekte Komponenten oder Schwachstellen von Produkten, die erst im Laufe des Betriebs oder der Wartung auffallen.

Die ermittelten Beziehungen zwischen Fertigungsverfahren, Produkteigenschaften und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen können als Basis für die Entscheidungsfindung verwendet werden: Mit Hilfe einer Historie über Produkte und Phasen im Lebenszyklus lassen sich beispielsweise problematische Materialien oder Kombinationen von Produkten und Maschinen vermeiden und dieses Wissen den Produktentwicklern als Richtlinien zur Verfügung stellen. Auch wird auf Basis einer Historie ähnlicher Produkte eine Vorhersage von Produktionskosten oder -zeiten für neue, geplante Produkte möglich.

Zusätzlich kann die Konstruktion beschleunigt werden, indem bereits vorhandene Produkte und das damit verbundene Wissen als Basis herangezogen werden. Industrial Intelligence kann so helfen, die Auswirkungen von Entscheidungen auf Basis historischer Daten zu prognostizieren und dabei potenzielle Schwachstellen im Produktentstehungsprozess aufzudecken und zu vermeiden.