IT&Production: Ist eine derart vernetzte Produktionsanlage bereits realisiert, oder existieren die Möglichkeiten bislang nur auf dem Papier?

Grindstaff: Es läuft bereits in Amberg, ja. Wir betreiben außerdem eine Schwester-Fabrik in Chengdu, in China, mit der identischen Integration. Zusätzlich haben wir Kunden, die die integrierte Lösung bereits benutzen, beispielsweise Rolls Royce. Dort nehmen sie sich die Informationen aus Teamcenter und Simatic IT-Strukturen und verschmelzen diese für die Steuerung ihrer Motorenproduktion. Davon ist immer mehr zu sehen, wenn sie zu verschiedenen Produktions-Umgebungen gehen. Ob es nun die Automotive-Branche ist, wo die Produktionsanforderungen sehr elaboriert sind, aber auch Industrien wie dem Schiffsbau, der Luft- und Raumfahrt – die mit völlig verschiedenen Anforderungen umgehen müssen. Im Automotive-Umfeld müssen die Hersteller etwa in Hinblick auf die funktionale Sicherheit Normen wie die ISO 26262 umsetzen. Die Hersteller müssen nachweisen können, das alle sicherheitsrelevanten Forderungen berücksichtigt wurden – und zwar bereits bei der Herstellung der Komponenten. Dieser gesamte Regelkreis ist in unserer Teamcenter ISO 26262-Lösung implementiert und knüpft direkt an Simatic IT an. Was ich Ihnen damit sagen möchte ist, dass wir das Gefühl haben, schon sehr weit zu sein. Es gibt zwar im Bereich der Industrie-Semantik noch viel zu tun, oder bei der kontinuierlichen Verbesserung der Informationsflüsse zwischen den Systemen. Dennoch mögen wir unsere aktuelle Wettbewerbsposition. Damit meine ich, was wir verglichen mit dem, was mit anderen Technologien derzeit möglich ist, die am tiefsten integrierte Systemlösung im Portfolio zu haben.

IT&Production: Sie sprachen über die Bandbreite der Industrien, die Ihre Systeme einsetzen. Die Implementierungen erledigt Siemens nicht immer alleine. Welche Rolle spielen Ihre Partner für das Geschäft von Siemens?

Grindstaff: Das ‚eco-system‘ ist entscheidend für unseren Erfolg. Das lässt sich gut am Beispiel Service Lifecycle Management festmachen. Teamcenter hat ein breites Funktionsspektrum über alle Nutzungsphasen von Produkten. Dennoch haben beispielsweise unsere Partner von CAD-IT die Lösung genommen und um Funktionen für Service Execution Records ergänzt. Das Servicegeschäft kann sich von Branche zu Branche deutlich unterscheiden. Wenn man zum Beispiel im Bereich der Luft- und Raumfahrt eine hydraulische Pumpe ausbaut, verläuft das grundlegend anders, als der Austausch des Motors einer Produktionsmaschine. Die Hydraulikpumpe ist serialisiert, der Reparaturprozess reguliert und dokumentiert. Damit soll sichergestellt werden, dass die Pumpe nach Abschluss der Arbeiten wirklich wieder für den Flugbetrieb bereit ist.

Für die Reparatur des Motors gibt es hingegen in der Regel keine regulativen Eingriffe, den alten Motor können sie theoretisch in den Mülleimer werfen. Das ist ein Beispiel für die Unterschiede, die unsere Partner abbilden können. Sie können die Semantik für Branchen wie Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik oder Automotive auf den Kerndaten unserer Systeme aufsetzen und damit spezifische Anforderungen erfüllen. Ein weiteres Beispiel liefert die Nuklearindustrie, die nicht zu unseren Kernbranchen zählt. Anders als bei unseren Freunden von Accenture. Sie wissen genau über die Anforderungen, die etwa die Behörden in Japan an Bau und Betrieb einer solchen Anlage stellen. Für ein Projekt in Japan arbeiten wir also eng mit Accenture zusammen, um unseren Kunden letztlich eine Anlage zur Verfügung zu stellen, die den geforderten Anforderungen genau entspricht.

IT&Production: Bei der Weiterentwicklung Ihrer Anwendungen reagieren Sie auch auf Kundenanforderungen. Mit welchen Forderungen richtet sich Ihre Nutzergemeinschaft derzeit an Sie?

Grindstaff: Wir wollen unsere Technologie für die Nutzer zugänglicher machen. Ein einfacheres User Interface, eine intuitive Navigation. Zudem arbeiten wir derzeit an der ‚deploy ability‘ unserer Anwendungen, also den anfallenden IT-Kosten, unsere Systeme immer auf der Basis neuster Technologie nutzen zu können. Es gibt viele Anwender, die alte Versionen von Software betreiben. Dafür gibt es zwei Gründe: Ein Grund dafür ist das Change Management in diesen Unternehmen, der andere sind die IT-Ausgaben, die mit einem Systemupgrade verbunden sind. Wir arbeiten intensiv daran, diese Kosten für unsere Nutzer zu senken. Die Unternehmen müssen hingegen ihren Mitarbeitern Wege aufzeigen, das Potenzial neuer Technologien auszuschöpfen. Tun sie dies nicht, hat die Einführung neuer Software auch meistens keinen Zweck. Wir sagen außerdem gerne ‚we never let a customer fail‘. Wenn bei einem Anwender ein Problem auftritt, fahren wir dorthin und lösen es. Es gibt natürlich auch eine große Zahl an kleinen Features und Funktionen in unseren Lösungen, aber am Ende des Tages machen sie keinen großen Unterschied mehr aus. Was heute wirklich zählt, ist die Prozessfähigkeit: Wenn wir dieselbe Steuerung, den selben Zugriff, die gleiche Zertifizierung, Verifizierung und Validation in fünf Schritten bereitstellen, die vorher 30 Schritte gebraucht hat, dann können wir unserem Kunden wirklich eine Menge Geld einsparen.

IT&Production: In Deutschland wird der Weg zur Industrie 4.0 und die damit verknüpften Technologien auf breiter Basis diskutiert. Wie sieht denn Ihr Engagement im Bereich Internet of Things aus und gibt es Projekte?

Grindstaff: Für mich ist das vielversprechendste Ziel die Entwicklung eines Industrial Internet of Things. Dazu heben wir die Koordination von Produktionsmaschinen, Förderanlagen, Sensoren und Aktoren sowie Robotern auf ein höheres Niveau im Sinn verteilter Produktionsintelligenz. Auf diesem Feld liegt der Fokus unserer Entwicklung und Forschung. Wir haben mit der Implementierung von Technologien wie ‚advanced path planning‘ und ‚distributed logic‘ in komplexe Multiachsen-Geräten wie Roboter schon einige Beispiele gezeigt. Also ja, dass ist eines der zentralen Themen für uns. Tatsächlich wird jedoch niemand ein Release 4.0 veröffentlichen, welches alle Probleme löst. Es ist eine niemals endende Reise und nach Industrie 4.0 kommt 4.1.