Je nach Product Lifecyle Management-Konzept eines Fertigungsunternehmens kann IT-Unterstützung auf verschiedenen Dimensionen sinnvoll sein. Bringen die implementierten Lösungen die erforderlichen Funktionalitäten nicht mit, führt an zeitintensiven und kostspieligen Customizings meist kein Weg vorbei. Bild: Aras

Product Lifecycle Management ‚out of the box‘ gibt es kaum

Viele Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass es sich bei PLM-Software nicht um ein ‚Out Of The Box‘-System handeln kann, sondern immer um eine den betrieblichen Funktions- und Prozessanforderungen angepasste Lösung. In diesem Zusammenhang ist es umso bemerkenswerter, dass bei sogenannten PLM-Benchmarks meist mit großem Aufwand der Funktionsumfang des Systems getestet wird, nicht aber seine Adaptierbarkeit an die unternehmerischen Randbedingungen. Für die Anpassung beziehungsweise Adaption der Lösung wird häufig der englische Begriff ‚Customizing‘ verwendet. Den meisten PLM-Einführungen ist dabei ein Problem gemein: Auf einen Euro Investition werden zwei bis drei Euro Customizing und Implementierungskosten dazugerechnet. Nach Angaben der Managementberatung Unity AG werden nur je zwei Prozent der Einführungskosten für PLM-Systeme für Hardware ausgegeben, 25 Prozent für die Software und 71 Prozent der Kosten für das Customizing. Davon entfallen statistisch circa 75 Prozent auf funktionale Erweiterungen und 13 Prozent auf Integrationen und Schnittstellen. Die häufigsten Faktoren des Customizing betreffen:

  • die Funktionserweiterung des PLM-Systems, die sich in neuen Klassen, Attributen und Methoden und deren Einbindung in die Basisfunktionalität des zugrunde liegenden PLM-Systems niederschlägt,
  • die Einbindung und Erweiterung der typischen Produktlebenszyklus-orientierten Prozesse wie Freigabe-, Änderungs- sowie das Konfigurationsmanagement – um eine durchgängige Integration zu erreichen, müssen die neuen Objekte aus den Funktionserweiterungen entlang des Produktlebenszyklus in diese Prozesse integriert werden,
  • die systemtechnische Integration der verschiedenen IT-Lösungen auf den internen Architekturebenen sowie die Integration der Systeme und der daraus resultierenden Daten von Zulieferern und Kunden. Hier kommt es vor allem auf die Offenheit der Schnittstellen, der vom Systemlieferanten garantierten Aufwärtskompatibilität und der Verwendung von internationalen Standards an.

Erweiterungen auf funktionaler Ebene

Bei einer strategischen PLM-Gesamtplanung lassen sich die Anforderungen an ein PLM-System recht präzise ermitteln. Sofern die erforderlichen Funktionen nicht im Basisumfang eines PLM-Systems vorhanden sind, verläuft die Integration über meist kostspielige Customizing-Maßnahmen. Dafür muss etwa das Datenmodell der Lösung durch Erzeugung neuer Klassen ergänzt werden, zum Beispiel bei Anforderungen, Funktionen, Verhalten und in den Bereichen Requirement, Function, Behavior und Logical Elements (MBSE). Andere Anwendungen benötigen eine Attributerweiterung existierender Objektklassen. Dies kann zum Beispiel notwendig werden bei der Integration von CAD zu CAM beziehungsweise zur ‚digitalen Fabrik‘, wenn die PLM-Stammdaten durch fertigungstechnische und montagerelevante Informationen angereichert werden. Ein anderer Fall der Attributerweiterung der existierenden PLM-Stammdaten ist die Anbindung von CAD und PLM an die internationalen Ökologie-Datenbanken, um ein Lifecycle Assessment (LCA) durchzuführen. Die Erweiterungen führen meist auch zu neuen Methoden, die möglichst einfach zu programmieren und in das PLM-System integrierbar sein sollten. Zudem müssen adaptierte und erweiterte Klassen, Attribute und Methoden bei Upgrades des Basissystems erkannt und mit der aktualisierten Anwendung wieder verbunden werden.

Erweiterungen auf prozessualer Ebene

Bei der Prozessgestaltung im Umfeld von PLM sind viele Kriterien zu beachten und im Vorfeld zu definieren, damit bei der technischen Umsetzung eine eindeutige Lösung implementiert werden kann. Dazu zählen die Fragen, wie sich das Verhältnis vom PLM-System zum Produktionsplanungssystem (PPS) in Bezug auf die Aufteilung der Daten und Prozesse verhalten und wie ein durchgängiger Freigabe-, Änderungs- und Konfigurationsprozess gestaltet werden kann. Wenn verschiedene Produktstrukturen existieren – zum Beispiel im Elektro-BOM und Mechanik-BOM – sind Differenzanalysen möglich und besteht ein Mapping zwischen verschiedenen Strukturen, um durchgängige Freigabe- und Änderungsprozesse sicherzustellen? Außerdem gilt es zu klären, wie sich Integrationsprozesse der Autorensysteme auf der Architekturebene abbilden lassen und welche Rolle zum Beispiel TDM-Systeme übernehmen sollen. Darüber hinaus ist es immer wieder eine betriebliche Herausforderung, die Datenmodellerweiterungen in die existierende Prozesslandschaft zu integrieren. Dabei gilt es auch zu beachten, welche Möglichkeiten der Prozessgestaltung das PLM-System überhaupt liefert in Hinblick auf Verzweigungen, Merge, manuelle Eingriffe und Entscheidungsfindung.

Der zweite Teil des Artikels adressiert weitere Herausforderungen bei Customizing-Maßnahmen. Im Mittelpunkt stehen aber auch Ansätze, wie sich durch den Rückgriff auf PLM-Lösungen mit modellbasierter Software-Architektur Systemanpassungen vergleichsweise effizient vornehmen lassen.