Technikwandel in der EDI-Welt

Datentausch ohne ISDN

Trotz Web-Services und IoT bilden klassische EDI-Prozesse für die Automobilindustrie und deren Zulieferer das Rückgrat für den Datenaustausch.
Mit der Abschaltung von ISDN durch die Telekom bis Ende 2018 steht ein Technikwechsel an, der oft tiefe Eingriffe in die Organisation der Lieferketten erfordert.

 Bild: cbs Corporate Business Solutions GmbH
Bild: cbs Corporate Business Solutions GmbH

In der Automobilindustrie tauschen viele Unternehmen ihre EDI-Daten noch immer vollautomatisiert via ISDN mit ihren Großkunden aus – quer durch die Republik, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Diese Prozesse funktionieren seit mehr als 20 Jahren weitgehend reibungslos. Nun plant die Deutsche Telekom bis Ende 2018 ihren gesamten Telefon- und Datenverkehr auf Internetprotokoll (IP) umzustellen und das Angebot für ISDN endgültig einzustellen. Dabei ist die Telekom auch vom Markt getrieben, denn immer weniger Hersteller bieten noch ISDN-Equipment oder klassische Vermittlungstechnik an. Schon jetzt gibt es häufig keine Ersatzteile mehr. Auf lange Sicht ist es einfach unwirtschaftlich, ein analoges und ein digitales Netz aufrecht zu erhalten. Ein Parallelbetrieb von zwei unterschiedlichen Netzen verursacht doppelte Personal- und Betriebskosten. Außerdem ist der Energieverbrauch der alten ISDN-Technik gegenüber der IP-basierten Übertragung um ein Vielfaches höher.

Das digitale Netz kommt

Das Zauberwort lautet All-IP. Das gesamte Kommunikationsnetz wird durchgehend digitalisiert. Unter der Bezeichnung Next Generation Network, kurz NGN, soll eine IP-basierte, einheitliche paketvermittelnde Netzinfrastruktur entstehen. Die Umstellung der ISDN-Infrastruktur auf Internetkommunikation via IP hat für die Unternehmen weitreichende Auswirkungen. Logistik-Abläufe, Prozess-Schnittstellen, ERP-Systeme, Middleware – fast alles kann betroffen sein. Viele Anwendungen, Geräte und Kommunikationseinrichtungen müssen auf den Prüfstand. Gerade im B2B- und EDI-Umfeld stellt das die IT-Abteilungen vor Herausforderungen. Besonderes Augenmerk ist auf die eigene Hardware wie Telefonanlagen und Endeinrichtungen zu legen sowie deren Fähigkeit, im World Wide Web zu kommunizieren. Zu prüfen ist im ersten Schritt, ob das vorhandene EDI-System überhaupt internet-basierte Protokolle unterstützt. Gerade für die Automobilindustrie kann es kompliziert werden, denn die Anforderungen an die eingesetzten EDI-Systeme verändern sich deutlich. Mit der Umstellung auf das internet-basierte Netzwerk-Protokoll OFTP2 (Odette File Transfer Protocol) ist auch der Einsatz verschiedener Verschlüsselungs- und Signaturmethoden verbunden. Sofern dies in den Unternehmen noch nicht etabliert ist, entsteht zudem durch die strukturierte Beschaffung, Ausstellung und Verwaltung von Zertifikaten ein neues Aufgabenfeld. Ein weiteres Problem ist der noch stockende Breitbandausbau in der Fläche. OFTP2 verlangt schließlich eine stabile Internetverbindung. Ballungsräume wie Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und München sind längst mit dem Highspeed-Netz der Zukunft versorgt. In ländlicheren Regionen sieht es jedoch schlechter aus. Somit kann die noch immer nicht flächendeckende Versorgung mit dem schnellen Internet zu einer weiteren Herausforderung für die Industrie werden.

Globale VDA-Standards in der Automobilindustrie

Auf Grund veränderter Geschäftsprozesse gibt es im EDI-Bereich durch die Ablösung der bestehenden alten VDA-Datenformate eine weitere Baustelle. Fahrzeughersteller wie VW, MAN, Volvo und Daimler stecken mitten in der Implementierung der globalen VDA-Standards und führen diese nach einem straffen Zeitplan flächendeckend ein. Dazu gehören die Nachrichtenarten VDA4938 (Global Invoice), VDA4987 (Lieferavis) und VDA4984 (Lieferabruf). Im Zuge der Formatumstellung wird auch das Portfolio der genutzten EDI-Nachrichten gestrafft, harmonisiert und standardisiert. Alte Formate außerhalb Europas wie etwa das Odette-Format werden ebenfalls nach und nach abgelöst. Die Zulieferer müssen daraufhin ihre relevanten Geschäftsprozesse betrachten und überprüfen. Dazu gehört auch die Abbildung der betroffenen Prozesse im ERP-System bis hin zur Umsetzung der Formate und technischen Übertragung der Nachrichten. Neben der Abstimmung der Prozesse erfordert auf technischer Seite die Umsetzung der neuen Formate eine enge Absprache mit dem jeweiligen OEM. Dabei geht es um Einführungstermine der neuen Standards, die Gestaltung von Testszenarien und den Go-Live. Zudem sind möglicherweise auch Absprachen mit externen EDI-Dienstleistern zu treffen. Ein Vorteil dabei ist, dass der anstehende Formatwechsel den Zulieferfirmen gewisse Einsparpotenziale in puncto Wartung, Überwachung und Betrieb der EDI-Lösungen bietet.

Strategische Weichen für elektronische Rechnung stellen

Eine weitere Neuerung gibt es bei der elektronischen Rechnungsstellung gemäß der ‘Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014’. Dabei handelt es sich um die europaweite Einführung einer standardisierten digitalen Rechnung, hierzulande auch unter dem Stichwort Zentraler User Guide des Forums elektronische Rechnung Deutschland (ZUGFeRD) bekannt. Die elektronische Rechnung dürfte insbesondere in der Kommunikation mit Behörden und bei halbautomatisierten Übertragungsprozessen stark an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus existieren in vielen Ländern spezifische e-Invoicing-Anforderungen (etwa in Spanien, Mexiko, Brasilien, Peru und Chile), die bei der Kommunikation mit lokalen Partnern und Behörden zu berücksichtigen sind. In Südamerika ist grundsätzlich die Steuerbehörde Empfänger der e-Invoice. Es handelt sich also um einen Business-to-Government-Prozess (B2G). Dafür müssen frühzeitig die richtigen organisatorischen und technischen Weichen gestellt werden.

Die Umstellung wird kommen

Unternehmen müssen sich die Frage beantworten, ob sie für den bevorstehenden Technologiewechsel bereit sind. Es ist ratsam, sich frühzeitig mit den Veränderungen vertraut zu machen. Die anstehenden technischen Neuerungen gilt es, ganzheitlich und im Rahmen der B2B-Strategie zu bewerten. Dazu ist es sinnvoll, Lieferanten und Kunden, verschiedene interne Abteilungen wie Finanzen, Vertrieb und IT sowie gegebenenfalls externe EDI-Dienstleister mit ins Boot zu holen.


Beratungshaus mit EDI-Expertise

Die Unternehmensberatung Corporate Business Solutions unterstützt produzierende Unternehmen mit Strategie-Workshops und Best Practices. Dabei fließt die Erfahrung aus ihren globalen B2B- und EDI-Migrationsprojekten und SAP-Implementierungen ein. Zum Portfolio gehört auch die Beratung zu Cloud- und IoT-Anforderungen. Für die technischen Szenarien wie OFTP2, Global VDA und e-Invoicing zeigen die Berater verschiedene Lösungswege auf. Die reichen von einer neuen EDI-fähigen Integrationsplattform wie SAP Process Orchestration oder Lobster bis hin zu einer skalierbaren Cloudlösung. Jede Lösung wird dabei einzeln geprüft und vor dem Hintergrund der individuellen Ausgangssituation bewertet. Neben der punktuellen Erweiterung der bereits bestehenden Lösung kann es von Vorteil sein, auch alternative Plattformen, Betriebsformen und Prozesse in die Entscheidung mit einzubeziehen.