Automobile: Riesiges Marktpotenzial für vernetzte Mobilität

Mit der Studie ‚Connected C@r 2016‘ untersuchen die Analysten von Strategy& die Konsequenzen von Vernetzung und Digitalisierung in Automobilen. Demnach wächst der Umsatzanteil des Massenmarktes bei vernetzten Diensten in den nächsten sechs Jahren auf über 50 Prozent.

Die Vernetzung und Digitalisierung des Autos sorgt weiterhin für Umbrüche in der Automobilindustrie und weist rasant wachsendes Marktpotenzial auf. Bei einer jährlichen Zuwachsrate von 24,3 Prozent wird sich das Umsatzvolumen im Bereich der vernetzten Mobilität weltweit von 47,2 Milliarden Euro in 2017 auf 140 Milliarden Euro in 2022 erhöhen und damit innerhalb von fünf Jahren knapp verdreifachen. Das sind einige zentrale Ergebnisse der ‚Connected C@r 2016‘-Studie von Strategy&, der Strategieberatung von PWC.

Jedoch ist davon auszugehen, dass die Durchschnittspreise pro Fahrzeug stagnieren werden. Vernetzte Dienste dienen demnach primär dem Ersatz von Umsätzen aus älteren Funktionalitäten, für die der Kunde nicht länger bezahlen möchte. Um das Marktpotenzial auszuschöpfen, müssen die Automobilhersteller (OEMs) bis 2022 320 Millionen Connected-Car-Pakete verkaufen – eine enorme Herausforderung für bestehende Vertriebskanäle.

Kunden begeistern

Das heutige Geschäftsmodell der Branche basiert auf komplexer Preisgestaltung, geringen Innovationsfrequenzen und dem einmaligen Produktverkauf. In der neuen Welt braucht es einfache Lösungen, die den Kunden auch nach dem Autokauf über digitale Dienste weiterhin begeistern. Zudem verlagern sich mit hoher Geschwindigkeit signifikante Teile der Wertschöpfung auf Mobilitätsdienstleister, neue Technologieanbieter sowie Zulieferer.

Der Anteil der OEMs am Gewinn der gesamten Mobilitätsbranche wird bis 2030 von 70 Prozent (2015) auf 50 Prozent fallen. „Mobilität wird durch neue Angebote wie autonom fahrende Robo-Taxis verfügbarer, flexibler und günstiger. Zusätzlich zu dem dadurch entstehenden Preisdruck müssen die Hersteller steigende Entwicklungs- und Produktionskosten für die hochtechnisierten Autos der Zukunft schultern, insbesondere für die Themen Vernetzung, Automatisierung, Elektrifizierung und Mobilität. Dies führt zu strukturellen Veränderungen und hohem Investitionsbedarf. Gleichzeitig verlagern sich Erlöspotenziale hin zu neuen Mobilitätsanbietern“, sagt Dr. Richard Viereckl, Senior Vice President bei Strategy& und Koautor der Studie.

„Kurz- und mittelfristig profitieren die Technologiezulieferer am stärksten von den stark wachsenden Volumenzahlen der vernetzten Automobile. Es ist davon auszugehen, dass hohe Margen insbesondere in den Automatisierungsalgorithmen und in der Analyse von Nutzungsdaten entstehen“, so Viereckl.

Massenmarkt wächst massiv

Während sich die vernetzte Mobilität heute noch größtenteils im Premiumsegment abspielt, erfährt der Massenmarkt innerhalb der nächsten fünf Jahre einen massiven Bedeutungszuwachs und stellt die Hersteller damit auch strategisch vor immense Herausforderungen. Der globale Umsatzanteil des Massenmarkts bei vernetzten Diensten wird von 35,4 Prozent (16,7 Milliarden Euro) 2017 auf 50,1 Prozent (70,1 Milliarden Euro) 2022 anwachsen, wodurch er erstmals mit dem Premiumsegment gleichzieht.

Besonders interessant ist hier ein Blick auf den Anteil, den die Connected-Car-Pakete am Verkaufspreis der Autos haben: 2022 wird die vernetzte Technik im Premiumsegment 14 Prozent des Kaufpreises eines Autos ausmachen (etwa 6.750 Euro), bei einem Durchschnittswagen jedoch nur sieben Prozent des Kaufpreises und damit lediglich etwa 1.600 Euro. „Bereits heute haben die großen Hersteller ihre Entwicklungsbudgets um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr aufgestockt und inhaltlich teilweise neu ausgerichtet – und werden trotzdem in unserem Innovationsranking durch Newcomer wie Tesla überholt“, sagt Alex Koster, Vice President und Auto-Digitalexperte bei Strategy& sowie Koautor der Studie.

Intensiver Preis- und Margenrückgang

Im Volumensegment erwarten die Verfasser, dass bis 2022 weltweit zwei von drei Autos mit Connected-Car-Paketen ausgerüstet sind. Dieses starke Mengenwachstum werde mit einem intensiven Preis- und Margenrückgang verbunden sein. Hersteller würden sich nur sehr begrenzt über vernetzte Dienste differenzieren und müssten nach Möglichkeiten suchen, die entsprechenden Technologien kostengünstig bereitzustellen. Es sei davon auszugehen, dass mittelfristig neue Anbieter, auch aus China, eine starke Rolle einnehmen werden, so Koster.

„Es muss den Herstellern in der Übergangsphase gelingen, die Vernetzungs-Features und -Pakete über eine einfache Preisgestaltung hochpreisig zu vermarkten, bevor diese vom Kunden als Standardausstattung erwartet werden oder im Drittmarkt als einfache Einstecklösung billig zu haben sein werden.“

Kunden haben Interesse

Interesse besteht seitens der Endkunden in jedem Fall: Im Hauptwachstumsmarkt China würden 85 Prozent der Kunden ein Fahrzeug mit besserer vernetzter Technik sogar bei zehn Prozent höherem Anschaffungspreis bevorzugen. Zudem sind die Kunden dazu bereit, zum Zeitpunkt des Autokaufs zehn bis 15 Prozent des Listenpreises in digitale Services zu investieren.

Bis 2022 werden die vernetzten Fahrzeuge den Markt weitgehend durchdrungen haben. Den größten Anteil am Umsatz wird mit einem Volumen von 52,3 Milliarden Euro (37 Prozent) auch 2022 noch der Bereich der Sicherheitsanwendungen generieren (2017: 15,8 Milliarden Euro, 33 Prozent). Das Umsatzpotenzial des autonomen Fahrens steigt von 27 Prozent und einem Volumen von 12,8 Milliarden Euro 2017 bis 2022 auf 35 Prozent (49,3 Milliarden Euro) an.

Das Marktvolumen im Bereich der Connected Services wie Entertainment oder Integration mit anderen vernetzten Endgeräten steigt von 18,6 Milliarden Euro 2017 auf 38,4 Milliarden Euro 2022, verliert aber anteilig an Bedeutung (39 Prozent 2017 versus 27 Prozent 2022). 40 Prozent des Marktvolumens werden in der Basisausstattung der Neuwagen verbaut sein, der größte Teil wird auch 2022 noch als kostspielige und margenstarke Zusatzausstattung verkauft werden.

Enormer Druck auf Hersteller und Zulieferer

Der radikale Übergang von produkt- zu dienstorientierten Geschäftsmodellen sowie der schnelle Übergang von Hardware zu Software erzeugen für die Hersteller und klassischen Zulieferer einen enormen Druck, ihre Organisationen und Fähigkeiten umzustellen. So investieren zahlreiche Anbieter neunstellige Beträge in Beteiligungen an Start-ups. Die digitale Veränderung in anderen Branchen hat klar gezeigt, dass eine Neuausrichtung aus dem Bestandsgeschäft heraus nicht erfolgreich ist. Vielmehr müssen neue Kompetenzen zentral angelegt werden – sowohl über den schnellen Aufbau von Entwicklern als auch über selektive Akquisitionen. Reine Beteiligungen hingegen tragen zum Kompetenzumbau wenig bei, sondern dienen bestenfalls als Diversifikation aus dem Kerngeschäft.

Durch die Verfügbarkeit exakter Daten über das Fahrverhalten, Interessen und Prioritäten der Fahrer stehen den Marktteilnehmern ungeahnte Möglichkeiten zur Verfügung, Dienste nach Wunsch, aber auch passgenaue Mobilitätsleistungen, anzubieten. „Vor allem für traditionelle Hersteller ist es essentiell zu begreifen, dass vernetzte Mobilität kein reines Produkt, sondern ein Technologie-Ökosystem ist, das ihr Geschäftsmodell im Kern verändert. Vor allem die Verknüpfung aus Dienstleistungen und Daten führt zu unzähligen neuen Angeboten im Bereich der Mobilität“, so das Fazit von Professor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management, ebenfalls Koautor der Studie.

„Neue Marktteilnehmer und Start-ups sichern sich bereits heute Marktanteile, weil sie die Daten strukturierter nutzen und vor allem auch das Potenzial des ständigen Kontakts zum Kunden erkannt haben. Dabei spielen Größenvorteile eine entscheidende Rolle. OEMs müssen deswegen dringend darüber nachdenken, ob sie mit eigenen Lösungen konkurrenzfähig sein werden oder auf plattformbasierte Lösungen mit Drittanbietern setzen.“ Durch eine offenere Entwicklungsumgebung für neue Dienste profitieren alle Beteiligten von innovativeren Ansätzen sowie kürzeren Zyklen bis zur Marktreife, was angesichts der rasanten Marktentwicklung im Connected-Car-Segment entscheidende strategische Vorteile bewirken kann.

(Quelle:Strategy&/Bild:Strategy&)