Automatisierungspyramide im Wandel
Das Interesse an Cloud-Anwendungen im industriellen Umfeld steigt mit fortschreitender Digitalisierung bei Industrie und der IT-Branche. Denn Programme und Daten auf Cloud-Dienste auszulagern, verspricht handfeste Vorteile: Daten werden zentral auf Servern vorgehalten und Nutzer können diese jederzeit und an jedem Ort abrufen. Die Chancen und Herausforderungen für die Nutzung von Cloud-Diensten in der Fabrik der Zukunft stehen bereits fest.
Viele private Nutzer haben Cloud Computing – Rechnen in der Wolke – längst für sich entdeckt. Sei es für das Speichern und Teilen von Musik und Bildern oder für E-Mails. Informationen sind auf diese Weise an jedem Ort und zu jederzeit verfügbar, eine Internet-Verbindung vorausgesetzt. Von diesen Vorteilen einer zentralen Datenhaltung und effizienten Nutzung von Speicher- und Rechenkapazitäten könnte künftig auch die Industrie auf der Automatisierungsebene profitieren. Das Lemgoer Forschungsinstitut inIT – Institut für industrielle Informationstechnik der Hochschule Ostwestfalen-Lippe – arbeitet gemeinsam mit der Industrie an der Umsetzung einer ‚Automation Cloud‘.
Steuerungsprogramme in die Cloud verlagern
Lösungen für Diagnose- oder Condition Monitoring zählen derzeit zu den häufigsten Anwendungsfällen von Cloud Computing in der Industrie. Durch entsprechende Vernetzung können große Datenmengen verarbeitet und neue Dienstleistungsmodelle realisiert werden. Die ‚Automation Cloud‘ der Forschungseinrichtung geht einen anderen Weg: Sie setzt direkt auf der Ebene der Steuerungen an. Die Steuerungsprogramme und Software von Produktionssystemen laufen dabei nicht mehr auf speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPSen) oder speziellen Rechnern, sondern werden auf zentralen Rechnern in der Cloud virtualisiert. Steuerungsfunktionen, bisher durch Hardwarekomponenten direkt an den Maschinen und Anlagen erbracht, stehen in der Internet-Umgebung als Service zur Verfügung. Dafür richtet ein produzierendes Unternehmen eine private Cloud ein, also eine von öffentlichen Netzwerken abgekoppelte IT-Infrastruktur, und programmiert die Steuerungslogik in gewohnter Art und Weise, zum Beispiel in IEC 61131-3. Das Laufzeitsystem für die Steuerung läuft somit nicht mehr in den SPSen an der Anlage, sondern in einem Serverraum. Dieser ist per Ethernet – bei Bedarf hochverfügbar – mit den Sensoren und Aktoren des technischen Prozesses verbunden. Die Server erlauben aufgrund ihrer skalierbaren Speicher- und Rechenkapazitäten eine große Anzahl von parallelen Instanzen.
Programme und Projektdaten zentral ablegen
Das Laufzeitsystem für die Steuerung der Anlage lässt sich mit dieser Technologie virtuell betreiben und vervielfältigen. Ein Großteil der hardware-basierten Steuerungen kann so ersetzt werden, was die Anschaffungskosten für Hardware deutlich senken kann. Zudem lassen sich Zeit und Kosten einsparen, wenn Programme und Projektdaten an einem zentralen Speicherort abliegen – und nicht wie derzeit üblich, in der Anlage verteilt. Insbesondere Planung, Inbetriebnahme, Erweiterung oder die Umstellung von Produktionsanlagen könnten so künftig einfacher werden.
Entwicklungsarbeit an mobilen Endgeräten
Auch das Engineering dürfte sich mithilfe einer ‚Automation Cloud‘ flexibler gestalten: Über mobile Endgeräte wie Notebooks kann orts- und zeitunabhängig auf Software und Daten zugegriffen werden, ohne dass auf diesen Geräten zuvor spezielle Software installiert sein muss.
Verbindungsstabilität und IT-Sicherheit
Viele Vertreter aus der Industrie äußern zum Thema Cloud Computing Bedenken zu Fragen der IT-Sicherheit und Stabilität der Kommunikationsverbindungen. Dieses Bild bestätigt eine 2013 durchgeführte Umfrage der VDI/VDE Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) unter ihren Mitgliedern. Die Befragung ergab, dass die Industrie beim Thema Sicherheit keine Kompromisse eingehen möchte. Den Bedenken wollen die Projektträger am Institut Rechnung tragen, indem sie die sensiblen Daten der ‚Automation Cloud‘ ausschließlich auf einer privaten Cloud ablegen, die Kontrolle über die Datenzugriffe bleibt beim Unternehmen. Stabile Kommunikationsverbindungen sind eine wesentliche Voraussetzung für Cloud-Dienste und für die Digitalisierung der Produktion allgemein. Ausfälle der Kommunikationsverbindungen würden die Verfügbarkeit des technischen Prozesses stark vermindern. Um dem vorzubeugen, können Server redundant an die Feldebene angebunden werden.
Der Echtzeitfähigkeit sind Grenzen gesetzt
Auch unter Verwendung aktueller Ethernet-Netzwerktechnologie ist nicht jeder technische Prozess für die Auslagerung in eine ‚Automation Cloud‘ geeignet. Es gibt Anforderungen an die Echtzeitfähigkeit des geschlossenen Wirkungskreises vom Sensor über Steuerung zum Aktor, die nicht von heutigen Cloud-Plattformen erfüllt werden können. So erfordern die funktionalen Sicherheitsanforderungen einer Maschine oder Anlage häufig eine lokale Verarbeitung. Anders sieht es bei zentralen Steuerungsarchitekturen aus: Hier sind Cloud-basierte Lösungen im Sinne der ‚Automation Cloud‘ bereits mit aktueller Technologie durchaus im Bereich des Möglichen. Auch hybride Formen – Mischformen aus dezentraler Steuerungstechnik und Cloud-Diensten – sind denkbar. Der Übergang heutiger Steuerungstechnik-Architekturen hin zur ‚Automation Cloud‘ in einer ‚Fabrik der Zukunft‘ wird voraussichtlich schrittweise erfolgen. Erste Anwendungsbeispiele einer ‚Automation Cloud‘ wurden bereits mit Profinet und einer instanziierbaren IEC 61131-Laufzeitumgebung realisiert. Für das Konzept wurde das inIT mit dem 1. Preis des Cloud Innovation World Cup 2013/2014 in der Kategorie ‚Industrie 4.0‘ ausgezeichnet. Dieser Erfolg zeigt, dass sich der Aufwand lohnen kann, eine Cloud-basierte Lösung in der Produktion einzurichten.