Zum ersten Mal nach dem Regierungswechsel in den USA findet ein EU-China-Gipfel statt. Chinas Regierungschef Li Keqiang, der zuvor in Deutschland um eine engere Wirtschaftszusammenarbeit geworben hatte, wird am 1. und 2. Juni 2017 auch in Brüssel mit der EU über engere Kooperation verhandeln. Geplant ist Berichten zufolge erstmalig eine gemeinsame Erklärung zu Klimaschutz und sauberen Energien. Jan Gaspers (Bild) ist Leiter der European-China Policy Unit am Merics, dem Mercator Institute for China Studies, und verortet im Interview das aktuelle Gipfeltreffen zwischen Trump, Protektionismus und der ‚Neuen Seidenstraße‘.

Nach seinem Besuch in Berlin wird Chinas Regierungschef Li Keqiang in den kommenden zwei Tagen bei der EU in Brüssel für mehr Zusammenarbeit werben. Nähern sich angesichts des isolationistischen Kurses der neuen US-Regierung beide Seiten nun an?

Jan Gaspers: Europa und China haben derzeit in einigen Politikbereichen mehr Gemeinsamkeiten, als es innerhalb des transatlantischen Bündnisses der Fall ist. Diese zeigen sich besonders in der globalen Klima- und Handelspolitik. Vieles verbleibt allerdings momentan noch auf der Ebene von Erklärungen und Absichtsbekundungen. Die Tatsache, dass ein ergebnisorientierterer Austausch zwischen europäischen und chinesischen Politikerin stattfindet, ist sicher aber auch auf die unberechenbare Außenpolitik Washingtons zurückzuführen. Diese wird in Peking wie auch in wichtigen europäischen Hauptstädten als viel zu flatterhaft und letztlich kurzsichtig wahrgenommen.

Dadurch, dass US-Präsident Donald Trump nun das Pariser Klimaschutzabkommen kündigen will, eröffnen sich neue Räume für Kooperation zwischen Europa und China. Die Absicht, eine deutliche Erklärung zu Klimaschutz und sauberen Energien zu verabschieden, unterstreicht das. Auch was die Stärkung der internationalen Handelsordnung oder Verhandlungen über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm angeht, können beide Seiten enger zusammenarbeiten. Strategisch sollte die EU dennoch Autonomie bewahren, denn grundsätzliche Differenzen mit China bleiben bestehen. China kann bei bestimmten Interessen ein Partner sein, bei anderen nicht. Trotz der derzeitigen Spannungen mit der Regierung Trump teilen die EU und die USA letztlich mehr gemeinsame Interessen.

Ganz einfach waren die EU-chinesischen Beziehungen zuletzt nicht, es gab Streit um Preisdumping bei Stahlprodukten und den Marktwirtschaftsstatus, den China unter Berufung auf WHO-Statuten einfordert. Welche Themen werden den kommenden Gipfel prägen? 

Gaspers: In den beiderseitigen Beziehungen gibt es weiter Konfliktstoff: China wird seine Forderung, als Marktwirtschaft anerkannt zu werden, in Brüssel nachdrücklich bekräftigen. Die von der EU vorgeschlagene Lösung, die Handelsschutz-Instrumente zu modernisieren und in Zukunft nicht mehr zwischen Marktwirtschaft und Nicht-Marktwirtschaft zu unterscheiden, ist für China unbefriedigend. Peking besteht auf die formale Anerkennung und verknüpft das Thema auch mit einer Lockerung der geplanten E-Automobilitätsquoten, die in der derzeit geplanten Form vor allem deutsche Hersteller hart treffen würden. Es ist auch fraglich, ob die in der EU diskutierte Lösung, in Zukunft Marktverzerrungen in Drittländern wie China zu ermitteln und gegebenenfalls Schutzzölle zu verhängen, im Einklang mit WTO-Recht ist.

Wie ist der Stand bei dem Investitionsabkommen, über das bereits in 13 Runden vergeblich verhandelt wurde?
Gaspers: Die EU-Seite wird bei dem Gipfel Druck machen, was den Abschluss des Investitionsabkommens angeht. Die letzte Runde fand im Mai in Peking statt, trotz der verbesserten politischen Großwetterlage konnten aber keine wesentlichen Fortschritte erzielt werden. Aus europäischer Sicht hat sich die chinesische Seite bei zentralen Streitthemen immer noch nicht genug bewegt. Die EU-Kommissarin für Handel, Cecilia Malmström, hatte zuletzt auch in Peking angemahnt, dass die Kommunistische Partei ihre Einflussnahme auf die Wirtschaft weiter verringern und echten Wettbewerb in China ermöglichen muss. Ein weiteres Streitthema sind die bürokratischen Auflagen und fragwürdigen Betriebsprüfungen, mit denen europäische Firmen in China konfrontiert sind.

Vom EU-China-Gipfel könnten neue Impulse für die Verhandlungen über das Investitionsabkommen ausgehen, wenn sich Peking tatsächlich an seinen jüngsten Bekenntnissen zu freien Märkte messen lassen will. China hat signalisiert, dass bestimmte Märkte weiter für ausländische Investoren geöffnet werden. Hier müssen aber auch Taten folgen.

Uneins sind die EU und China auch bei der Bewertung von Pekings ‚Neuer Seidenstraße‘, dem riesigen Infrastrukturprojekt, dass den eurasischen Kontinent und auch die Seewege von Asien bis Afrika und Europa einschließt. Die EU hat Forderungen formuliert, die sie für ein Gelingen des Projekts für unabdingbar hält. Wird diese kritische Haltung ein Problem für die Beziehungen EU-China?

Gaspers: Peking ist an einer politischen Anerkennung der Initiative durch Europa interessiert. Li Keqiang und seine Delegation dürften in Brüssel deutlich machen, dass dies eine Bedingung für die Unterstützung wichtiger europäischer Interessen ist. Die Initiative hat Potenzial, neue Wirtschaftsräume zu erschließen und wichtige Entwicklungsimpulse gerade im eurasischen Raum zu setzen. Davon kann auch Europa profitieren: Viele Projekte, die im Rahmen der neuen Seidenstraße angedacht sind, benötigen spezifisches technisches Knowhow, das in dieser Form nur europäische Unternehmen mitbringen. Deutschlands Automobilindustrie profitiert bereits heute massiv von den neuen Güterzugverbindungen, die im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative aus der Taufe gehoben wurden.

Aus europäischer Sicht ist es aber richtig, der Initiative mit konstruktiver Skepsis zu begegnen. Viele der geplanten Seidenstraßen-Projekte sind mit großen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Risiken für Peking, aber vor allem auch für die Länder entlang der Seidenstraße verbunden. Die Finanzierung ist nicht immer durchdacht, vielerorts gibt es die konkrete Gefahr, dass von China vergebene Großkredite ausfallen, die verschuldeten Länder in Haushaltskrisen geraten. Auch könnten die oft nicht sehr nachhaltig angelegten Projekte politische und sicherheitspolitische Instabilitäten, etwa in Zentralasien, noch befeuern.

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Jan Gaspers, Leiter der European China Policy Unit (ECPU)

Die Forschungsschwerpunkte von Jan Gaspers sind europäisch-chinesische Sicherheitsbeziehungen, transatlantische Chinapolitik und Cyber-Diplomatie. Vor seinem Wechsel zu Merics war Gaspers als politischer Analyst bei der Rand Corporation für die Umsetzung von Forschungsprojekten für EU-Behörden und -Mitgliedsstaaten zu Themen der europäischen und transatlantischen Außen- und Sicherheitspolitik verantwortlich. Im Rahmen seiner beruflichen Laufbahn war er in Verwaltungs- und Forschungspositionen bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato, der OSZE, der EU-Delegation bei den Internationalen Organisationen in Wien, dem European Union Institute for Security Studies, und dem European Centre for Development Policy Management tätig. Gaspers absolvierte Bachelorstudiengänge in European Studies an der University of Maastricht und in International Relations and Politics an der University of Sussex sowie MPhil-Studien in Internationalen Beziehungen an der University of Cambridge.