Domänenwissen absichern

Fachkräftemangel mit Digitalisierung begegnen

Die Boomer-Generation geht in die Rente, neues Personal ist schwer zu finden – gerade im Umfeld von Produktion und Instandhaltung. Um den Abfluss von Wissen zu reduzieren, wollen Firmen die Erfahrungen ihrer Domänenexperten digitalisieren und dabei Routinetätigkeiten automatisieren.

(Bild: ©Goodvibes Photo/istockphoto.com)
(Bild: ©Goodvibes Photo/istockphoto.com)

Viele Menschen, die dreißig und mehr Jahre Erfahrung mit dem Betrieb von Maschinen haben und sie sozusagen mit verbundenen Augen bedienen können, werden sich bald aus dem Berufsleben verabschieden. Der Verlust ihres Domänenwissens wiegt schwer für Unternehmen. Das andere Problem besteht darin, dass häufig kaum jüngere Menschen nachrücken. Das gilt insbesondere im Maintenance-Umfeld. Spezialisierte Instandhaltungsanbieter tun sich besonders schwer, denn die Arbeitsbedingungen erfordern viel Flexibilität und Reisebereitschaft. Einer VDMA-Untersuchung zufolge lag 2022 beim Berufsbild ‚Technische Servicekraft Wartung, Instandhaltung‘ die Anzahl der offenen Stellen um 38 Prozent höher als im Vorjahr. Sie ist damit im Maschinenbau auf dem höchsten Niveau innerhalb der letzten 15 Jahre. Über alle Bereiche hinweg gaben drei von vier Unternehmen spürbare oder gravierende Engpässe bei den Fachkräften an. Ein besonders starker Mangel zeichnet sich laut einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts aus dem Sommer 2022 bei Ingenieuren, CNC-Fräsern und -Drehern ab.

Datenbasierte Instandhaltung

Mit vorausschauender Wartung auf Basis von Maschinendaten können nicht nur viele Probleme und Stillstände vermieden und so die OEE deutlich verbessert werden. Die Datenanalytik bildet auch für Instandhalter eine wichtige Grundlage, um die Reiserouten der Serviceeinsätze besser zu planen und zu koordinieren. Oft haben die Unternehmen es mit einer Flut von Ad-hoc-Anfragen zu tun, die bei knappen Personalressourcen Probleme und Wartezeiten mit sich bringen. Vorhersagbarkeit macht hier einen großen Unterschied. IoT-Sensorik kann zudem einen großen Beitrag zur Automatisierung leisten. Insbesondere in der Prozessindustrie tragen Smart Assets dazu bei, gerade in großen Produktionsanlagen oder auf Chemiebaustellen Routinetätigkeiten zu reduzieren. So melden beispielsweise mit IoT-Funksensoren aufgerüstete Flanschverbindungen im Condition Monitoring automatisch, wenn es zu einer Leckage kommt. Das spart manuelle Kontrollen. Dienste und Apps tragen auf digitalen Plattformen dazu bei, effizienter mit Partnern oder smarten Assets zu interagieren. Dazu gehört die rollenbasierte Bereitstellung von Information auf Site-Portalen mit mobilen Apps wie Sicherheits- und Arbeitseinweisung, Besucheranmeldung, mobiler Lageplan, Rückmeldung oder Gasfreigabe.

Feldservice entlasten

Gleichzeitig können Produzenten mit den richtigen Daten viele Wartungsaufgaben selbst übernehmen, wenn etwa CAD-Zeichnungen und Wartungsanleitungen digital zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen eines Full-Service-Vertrags mit datenbasierter Maintenance könnten proaktiv die Teile bestellt und an den Anlagenbetreiber geschickt werden, wenn ein Ausfall vorhergesagt wird. Ein wichtiges Thema ist die Fernwartung. Augmented Reality-Anwendungen (AR) auf Smartphones und Datenbrillen führen Mitarbeitende durch Reparatur- oder Austauschprozesse, wobei im Problemfall ein externer Servicetechniker helfen kann.

Produzenten können viele Wartungsaufgaben übernehmen, wenn ihnen etwa CAD-Zeichnungen und Wartungsanleitungen digital zur Verfügung stehen. (Bild: ©Khakimullin Aleksandr/shutterstock.com)
Produzenten können viele Wartungsaufgaben übernehmen, wenn ihnen etwa CAD-Zeichnungen und Wartungsanleitungen digital zur Verfügung stehen. (Bild: ©Khakimullin Aleksandr/shutterstock.com)

Sprachbarrieren senken

Oft sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Das gilt insbesondere dort, wo Sprachkenntnisse fehlen. Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung geht davon aus, dass der deutsche Arbeitsmarkt ohne Zuwanderung bis 2030 rund fünf Millionen Arbeitskräfte verlieren würde. Die Bundesregierung arbeitet derzeit weiter an einem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ganz klar geht es perspektivisch darum, die Einstiegshürden aufgrund der Sprachbarriere abzusenken – auch bei dieser wichtigen Aufgabe kann die Digitalisierung helfen, wenn etwa Bildschirme in der Produktion Montageanleitungen anzeigen. Immer bessere Übersetzungs-Tools vereinfachen die Auswahl unter mehreren Sprachen. So können leichter auch vergleichsweise ungelernte Mitarbeitende eingesetzt werden.

Digitalisierte Erfahrung

Komplexe Industriemaschinen verfügen über viele Parameter. Ihre Einrichtung und das Handling beispielsweise beim Werkzeugwechsel sollten bei der digitalen Unterstützung im Vordergrund stehen. Dialoganwendungen können dabei helfen, diese Aufgaben zu vereinfachen. In einem intelligenten Fragenantwortdialog, in den z.B. bereits Auftragsdaten aus dem ERP-System einfließen, könnten Mitarbeitende durch die Schritte geführt werden, um die Maschine einzustellen: Was soll gefertigt werden, welche Stückzahlen, welches Rohmaterial von welchem Lieferanten wird verarbeitet? Welche Hintergrundinfos wurden in der Vergangenheit zu den Materialeigenschaften der unterschiedlichen Lieferanten gesammelt, worauf ist besonders zu achten, wo könnte es typischerweise Schwierigkeiten geben? Dafür ist es nötig, das Wissen der Menschen, die jetzt noch in der Produktion tätig sind, konsequent zu erfragen und in Algorithmen zu überführen. Das gelingt besonders gut, wenn Menschen so eingebunden werden, dass sie nicht um den Verlust von Herrschaftswissen fürchten müssen. Stattdessen sollten sie in ihrer Beratungsfunktion wertgeschätzt werden. Der IT-Dienstleister Cosmo Consult setzt als Umsetzungspartner einerseits auf das Fachwissen der eigenen Datenwissenschaftler, andererseits auf einen begleitenden Kulturwandel. Die Erfahrung der IT-Spezialisten: Digitalisierung gelingt nur, wenn die Menschen mit an Bord sind.

Künstliche Intelligenz nutzen

Fachleute hören oft schon am Sound einer Maschine oder Anlage, dass etwas nicht rund läuft. Durch die Analyse von Audio-Files kann künstliche Intelligenz dazu beitragen, heraufziehende Probleme rechtzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Die Beschreibung muss jedoch wiederum von den Fachleuten kommen. Auch im Qualitätsmanagement kann KI die Teams entlasten, indem mit Bilderkennung die Qualität bewertet wird. Die Aufgabe im Vorfeld besteht darin, nicht nur genügend Bilder zur Verfügung zu haben, die Fehler veranschaulichen. Dafür sollte schon jetzt in Service und Wartung Dokumentation und Bildmaterial konsequent gesammelt werden. Es werden auch Bilder benötigt, die eine korrekte Qualität darstellen, einschließlich der Übergänge von Toleranzen. Die Bilder müssen von Fachleuten gelabelt – also als gute oder schlechte Qualität – gekennzeichnet werden. Im Prozess gleicht die KI dann die aktuelle Aufnahme mit den Lernerfahrungen aus dem Bildmaterial ab. Plattformen wie Microsoft Azure stellen dafür viele Cognitive Services bereit, die sich recht einfach an die individuellen Spezifika anpassen lassen.







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