Produktionsfehler erkennen und abstellen

Mit Daten-Integration auf dem Weg zur Null-Fehler-Produktion

Mit seiner ‚Mach’s gleich richtig‘-Philosophie hat Philip Bayard Crosby bereits in den 60er-Jahren die Vorteile der Fehlervermeidung gegenüber der Fehlerentdeckung in den Vordergrund gestellt. Ein halbes Jahrhundert später zeigen Produktrückrufe von Fahrzeugen wegen defekter Airbags, reißende Kletterseile, Faschingskostüme mit giftigen Farbstoffen und Babynahrung mit Glassplittern, dass Qualitätsmanagement in der Industrie noch Verbesserungspotenzial aufweist. Die enge Vernetzung der produktionsnahen IT-Systeme kann dazu beitragen, dieses Potenzial zu heben. Indem anfallende Informationen aus Qualitätsplanung, Qualitätssicherung, Reklamationen bis hin zur Fertigungssteuerung zentral verarbeitet werden, lässt sich Fehlern in der Produktion in einem Regelkreis gezielt auf den Grund gehen.

Mit der nahtlosen Integration produktionsnaher Anwendungen lassen sich über die Wertschöpfungskette hinweg entstehende Informationen umfassend analysieren, filtern und verteilen. Auf dieser Grundlage lassen sich viele Produktionsfehler vermeiden, früh erkennen und nachhaltig abstellen. Bild: Pickert & Partner GmbH

Die Innovationszyklen und die Zeit vom Konzept über die Herstellung bis zur Auslieferung der Produkte werden immer kürzer; die Individualisierung der Produkte steigt. Hervorragende Leistung und Qualität sowie günstige Preise werden von Industriebetrieben als selbstverständlich vorausgesetzt. Gleichzeitig steigen weiter die Anforderungen an Compliance, Zertifikate, Umweltschutz und Corporate Social Responsibility. Manufacturing Execution-Systeme (MES) werden schon lange als Hilfsmittel zur Bewältigung dieser Probleme angeboten. Fehlgeschlagene oder zu teure IT-Projekte haben allerdings vielerorts Vorbehalte gegenüber IT-Lösungen zur Produktionsoptimierung geschaffen. Angesichts 1,9 Millionen zurückgerufener Autos im Jahr 2014 sagt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft in Bergisch Gladbach, dass nach seinen Erkenntnissen vielerorts die Qualitätsmanagementsysteme der Hersteller den neuen globalen Produktentwicklungs- und Produktionsprozessen angepasst würden. Was dabei jedoch noch häufig unberücksichtigt bleibt, ist die Verzahnung zwischen Produktion und Qualität.

Ein Nebeneinander der Computer Aided Quality Assurance- (CAQ) und MES-Systeme führt in der Regel zu Effizienzverlusten und verhindert das Lernen aus Fehlern, um deren Wiederholung zu vermeiden. Um die Einbindung der CAQ-Systeme zu erleichtern, sollte eine MES-Software möglichst ohne Programmierung den Bedürfnissen der Anwender entsprechen, vorhandene Standards und Technologien unterstützen und Werkzeuge für die Integration anderer produktionsnaher Lösungen bieten. Daten aus der Qualitäts- und Produktionsplanung, Qualitätssicherung, Produktionssteuerung und anderen integrierten Funktionen ermöglichen erst im Zusammenspiel umfassende Erkenntnisse und somit Reaktionen auf Ereignisse. Bei der gezielten Versorgung der Systeme und Menschen mit Informationen zur Alarmierung und Entscheidungsfindung über Unternehmensgrenzen hinweg spielen drei Themen eine entscheidende Rolle:

1. Organisatorische Barrieren

Anwender auf allen Ebenen müssen zu Entscheidungen befähigt werden. Jeder muss das Gefühl haben, Prozesse beeinflussen und treiben zu können, anstatt von ihnen getrieben zu werden. Das hilft zudem, Vorurteile und Misstrauen gegenüber Fertigungs-IT abzubauen. Trotz steigender Komplexität dürfen Menschen nicht mit zu vielen und sinnlosen Informationen überhäuft werden, die intuitive und bedarfsgerechte Bedienung der Systeme trägt hierzu bei. Eine Einbindung der Organisationseinheiten wie IT und Betriebsrat sowie Kunden und Lieferanten gepaart mit transparenter Kommunikation und Darstellung der anstehenden Aufgaben und Ziele erleichtert die Umsetzung.

2. Informationsverteilung

In Produktion und Qualität fallen permanent Daten an. Diese müssen meistens bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens den Monitoring- und Analysesystemen zur Verfügung stehen, damit bekannte Fehler möglichst vor ihrem Auftreten abgestellt und unbekannte Fehler früh entdeckt werden können. Dafür sind Vorgaben zur Überwachung notwendig, die bei konsequenter Umsetzung bereits in der Fehlermöglichkeits- und einflussanalyse (FMEA) definiert wurden. Die zu erfassenden Daten müssen gezielt ausgewählt werden und die Frage nach Nutzen und Auswirkung von Veränderungen der Daten sollte immer wieder beantwortet werden. Stehen die Daten und die daraus abgeleiteten Kennzahlen und Auswertungen zur Verfügung, müssen die Informationen an die richtigen Mitarbeiter verteilt werden, um ihnen Entscheidungsgrundlagen für ihre Aufgaben zu liefern.

3. Integration

Die Technologien zur Sammlung der Daten und zum Datenaustausch sind bereits vorhanden: Kommunikationsprotokolle, Datenbanken sowie die Quasi-Standards verschiedener Datenformate. Doch die IT-Architektur im Unternehmen muss offen genug sein, diese Einbindung zu unterstützen. Probleme verursachen häufig gekapselte IT-Systeme oder Infrastrukturen, bei denen keiner im Unternehmen mehr weiß, wie an die Daten heranzukommen ist, weil die Systeme veraltet sind, vor langer Zeit einmal von einem Werksstudenten entwickelt wurden oder Excel-Makros enthalten, die mit einem unbekannten Passwort geschützt sind. Zudem ist nicht jeder IT-Anbieter zur Kooperation bereit, was eine sinnvolle Sammlung von Daten erheblich erschwert. Manchmal ist es nicht die mangelnde Kooperationsbereitschaft, sondern eine überzogene Darstellung der Komplexität und somit Kosten für eine Integration, was mitunter zur Abschreckung eingesetzt wird. Die Integration betrifft jedoch nicht nur die Technik: Interaktion und Integration muss vor allem zwischen Menschen stattfinden, und zwar hinweg über die zeitliche und räumliche Trennung, über Sprachbarrieren sowie kulturelle und technologische Unterschiede.



Im Bild: Autor Sven O. Rimmelspacher, geschäftsführender Gesellschafter der Pickert & Partner GmbH.

Zur Null-Fehler-Produktion

Ganzheitlich betrachtet, wird das Know-how zu Produkt und Prozess zunächst über die FMEA erarbeitet; Komponenten und Rohmaterialien kommen über den Wareneingang, Aufträge werden über die Feinplanung verteilt, in der Fertigung kommen Personalzeit, Betriebsdatenerfassung, Maschinendatenerfassung, statistische Prozesslenkung (SPC), Instandhaltung und Montagebegleitung zum Einsatz. Zusätzlich fallen Qualitätsplanung, Erstbemusterungen, Prüfmittel, Dokumente, Audits und mehr an. Überall entstehen Daten, die Auswirkungen auf andere Funktionen haben, überall entstehen Reklamationen, deren Erkenntnisse an verschiedenen Stellen im Prozess wieder eingeschleust werden müssen. So entsteht ein Regelkreis im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Drehscheibe und Kommunikationszentrale ist ein integriertes Maßnahmenmanagement, das von allen Prozessen genutzt wird und Ereignisse gemäß der obigen Anforderungen gezielt verteilt, überwacht und die Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen sicherstellt.

Werden die Informationen nun nicht nur gesammelt, sondern auch zur Steuerung der Prozesse verwendet, ergibt sich nicht nur eine Traceability, sondern auch die Möglichkeit, beim Auftreten eines Fehlers in Echtzeit zu reagieren. Dynamische Umplanungen werden ausgelöst, Maßnahmen oder Reklamationen erzeugt, Alarme ausgelöst. Bekannte Fehler werden strategisch vermieden, so dass es sich im Idealfall bei jedem auftretenden Fehler um einen unbekannten Fehler handelt, dessen Ursache durch systematische Analyse ermittelt und über einen Regelkreis in FMEA und Planung bekannt gemacht wird, so dass er zukünftig vermieden werden kann. Neben der Integration möglichst vieler Prozesse und Systeme, können zukünftig dank leistungsfähiger Kleinstcomputer, die in Objekte integriert werden, Produkte und Maschinen zusätzlich selbständig Informationen austauschen und so den Gesamtprozess weiter ergänzen. Hierbei den Überblick zu behalten, ist extrem individuell, dynamisch und anspruchsvoll und kann daher mit herkömmlichen Leitständen oder Hallenübersichten nicht mehr geleistet werden. Erst die Zusammenführung beliebiger gemischter Daten in Echtzeit in einer Oberfläche und mit dem Menschen im Mittelpunkt ermöglicht persönliche und rollenbasierte Dashboards, die vom Anwender ohne Programmierung einfach zusammengestellt und konfiguriert werden können. So bekommt jeder in Echtzeit nur die Informationen, die für ihn wirklich relevant sind.