Digitale Plattformen

Ein Begriff, viele Bedeutungen

Digitale Plattformen stehen branchenübergreifend auf der Liste der strategischen Top-Themen für Geschäftsführer und Vorstände. Inspiriert vom Erfolg der großen Internetplattformen und getrieben von Entwicklungen in der eigenen Branche stecken Unternehmen derzeit die Claims im Plattformwettbewerb ab. Betroffen sind alle Unternehmen.

Bild: Sopra Steria
Bild: Sopra Steria

Beispiele für digitale Plattformen finden sich in vielen Branchen. Die bekanntesten sind sicherlich Handelsplattformen wie Amazon oder Social-Media-Plattformen wie Facebook. Im öffentlichen Sektor sind solche Ansätze hingegen noch wenig verbreitet, wobei Mobilitätsplattformen – z.B. Carsharing – eine Ausnahme bilden. Wie aus einer Studie des Beratungsunternehmens Sopra Steria hervorgeht, ist die Bedeutung digitaler Plattformen allerdings in Unternehmen und Verwaltungen angekommen: 93 Prozent der Studienteilnehmer schätzen die Bedeutung digitaler Plattformen als ‚hoch‘ oder ’sehr hoch‘ ein, sieben Prozent messen der Thematik eine mittlere Bedeutung zu. Grundlage der Erhebung bildeten ein Experten-Workshop, Experteninteviews sowie eine Online-Befragung. Die Interviewpartner stammten dabei aus Großunternehmen, Startups und Behörden.

Ein besonderes Geschäftsmodell

Plattformen – unabhängig von ihren Ausprägungen – sind ein besonderes Geschäftsmodell. Es handelt sich nicht um einen traditionellen digitalen Kanal oder einen weiteren Service. Aus den Beispielen und Expertengesprächen, die im Rahmen der Studie durchgeführt wurden, gingen fünf Faktoren für den Erfolg von Plattformen hervor: Sie sind serviceorientiert, skalierbar, datengetrieben, offen und agil. Diese Erfolgsfaktoren müssen in alle Richtungen umgesetzt werden – Richtung Kunden, in Richtung der Partner, die die Plattform mit ihren Angeboten erweitern, sowie in Richtung des Unternehmens, das die Plattform betreibt. Letzteres ist besonders wichtig: Ein Plattformgeschäftsmodell kann in Konflikt oder sogar in Konkurrenz zu bestehenden Produkten und Dienstleistungen geraten. Daher ist die Umsetzung der Erfolgsfaktoren auch intern durchzusetzen.

Unterschiedliche Grundmuster

Trotz gemeinsamer Erfolgsfaktoren wird der Begriff ‚Plattform‘ in der Praxis sehr unterschiedlich verwendet. Erfolgreiche Plattformen sind oftmals komplexe Kombinationen von Dienstleistungen. In der Sopra-Steria-Studie wurden daher vier Grundmuster von Plattformen identifiziert, die jeweils eine Ausprägungsform beschreiben, in realen Plattformen aber durchaus kombiniert werden. Alle Grundmuster bauen auf den gleichen Erfolgsfaktoren auf, prägen aber unterschiedliche Produktvisionen für die Etablierung von Plattformen aus. Leistungsbezogene Grundmuster leben von der besonderen Dienstleistung, die eine Plattform bereitstellt und die sich vom Markt erfolgreich differenziert. Dazu zählen die mobilisierende Vermittlung und kombinierbare Bausteine. Die mobilisierende Vermittlung beschreibt, wie mit einem Marktplatz das Matchmaking, also das gegenseitige digitale Auffinden von Konsumenten und Anbietern, ermöglicht wird. Digitale Plattformen dieser Art unterstützen anschließend die Transaktionen und verlangen für die Vermittlung und die Unterstützung der Transaktion ein Entgelt. Ein Erfolgsfaktor für Plattformen als Vermittler ist die überlegene – und das heißt oftmals die extrem einfache – Umsetzung werthaltiger, digitalisierbarer Transaktionen. Amazon hat dies beispielsweise als Pionier der ‚1-Klick-Bestellung‘ vorgemacht. Ein zweiter Erfolgsfaktor ist die sehr große Wahlmöglichkeit für Kunden. Dafür ist es entscheidend, in hohem Maße externe Akteure zu mobilisieren, die ihre jeweiligen Angebote auf der Plattform verfügbar machen. Es zeigt sich, dass die Chancen für Plattformen als mobilisierende Vermittler dort liegen, wo große Heterogenität im Markt besteht, also die Angebotsseite von sehr vielen (möglichen) Anbietern gekennzeichnet und auch die Kundenseite ähnlich strukturiert ist. Typisch für dieses Plattformgrundmuster ist aber auch, dass die eigentliche Leistungserstellung nicht von der Plattform vollzogen wird. Dadurch werden einerseits Chancen für die Beteiligung externer Akteure geschaffen, aber gleichzeitig auch wesentliche Risiken der Leistungserstellung auf diese abgewälzt. Die Plattform selbst kann somit auf die digitalisierbaren und skalierbaren Teile der Wertschöpfung fokussiert werden. Innovation auf der Angebotsseite ist ein Kennzeichen neuerer Plattformen. Sie machen sich die Möglichkeit digitaler Kanäle für die Mobilisierung neuer Ressourcen und Akteure zunutze, die bislang nicht oder nur unzureichend in die Wertschöpfung einbezogen waren. Bekannte Beispiele sind Uber und Airbnb.

Nicht nur Angebotsvermittler

Angebote müssen dabei nicht ausschließlich von externen Partnern kommen. Die Anbieter einiger Marktplätze vermitteln nicht nur Leistungen und Produkte anderer, sie sind dort auch mit eigenen Angeboten präsent. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei aber eine nachvollziehbare Struktur, wie das Plattformmodell von den eigenen Angeboten abgegrenzt wird, sonst droht ein Verlust des Vertrauens in die Plattform auf Seiten der externen Partner.

Die Abbildung zeigt, wie sich Plattformen mit der Zeit entwickeln (Bild: Sopra Steria)
Die Abbildung zeigt, wie sich Plattformen mit der Zeit entwickeln. (Bild: Sopra Steria)

Bausteine kombinieren

Ein weiteres Grundmuster kennzeichnet Plattformen, die kombinierbare Bausteine bieten. Damit können Kunden eigene Produkte und Dienstleistungen auf den Komponenten der Plattform aufbauen. Dazu werden modulare digitale Dienstleistungen bereitgestellt, die die Realisierung von anderen Produkten und Dienstleistungen erleichtern. Dies ist beispielsweise typisch für Cloudplattformen, die ihren Kunden skalierbare Software und Basisdienste bereitstellen, wie dies z.B. durch Amazon Web Services oder Microsoft Azure geschieht. Ähnliche Ansätze entstehen gerade im Umfeld des Internets der Dinge, wo Anbieter wie Siemens mit der MindSphere-Plattform Bausteine für die Realisierung von vernetzten IoT-Lösungen bereitstellen. Wesentlicher Faktor ist hier, dass geschützte Bereiche für unterschiedliche Kunden realisiert werden (Mandantenfähigkeit). Die Plattformen differenzieren sich durch die Leistungsfähigkeit der Dienste, wettbewerbsfähige Preise und Vernetzungsmöglichkeiten.

Produkte erweitern

Zunehmend werden auch Produkte mit einer digitalen Plattform erweitert, um über diese Plattform Zugriff auf Dienstleistungen des Herstellers und weiterer Anbieter zu erhalten. Produkte, die über eine solche Plattform zusätzliche Möglichkeiten erhalten, sind zum Beispiel Fahrzeuge oder Maschinen. Eine Plattform stellt dabei die Verbindung zu Cloud-Diensten her oder ermöglicht den Zugang zu softwarebasierten Erweiterungen. Der wesentliche Treiber für den Erfolg liegt dabei in der Zahl der Produkte und Anlagen, die sich bei Kunden im Einsatz befinden. Eine große installierte Basis verschafft einer solchen Plattform eine entsprechend große Reichweite, wodurch die Entwicklung und der Betrieb der Plattform selbst, aber auch von Zusatzdiensten für den Plattformbetreiber wie auch für Partner attraktiv werden. Während im privaten und unternehmerischen Umfeld unter anderem Maschinen, Endgeräte, Autos oder LKWs durch eine Plattform erweitert werden können, besteht im öffentlichen Sektor die Möglichkeit, physische Infrastruktur durch die Anbindung an eine Plattform mit erweiterten Fähigkeiten auszustatten.

Kunden binden

Im Grundmuster Erweiterbare Konversation werden wiederum Bestrebungen zusammengefasst, durch Unterstützung alltäglicher Konversationsprozesse besonders intensiv genutzte Dienste zu etablieren und zum Scharnier für digitale Dienste auszubauen. Der Begriff Konversation Umfasst dabei Soziale Medien, Messenger sowie Sprachassistenten. Eine besonders interessante oder hilfreiche Konversation kann Zeit und Aufmerksamkeit von Nutzern binden. Zentraler Erfolgsfaktor ist dabei die Bindungskraft für Individuen. Je größer die Nutzerzahl und je besser die Bindungswirkung, umso mehr können konversationale Dienste Plattformcharakter bekommen und als Gatekeeper in andere Dienste hineinwirken.

Plattformaufbau

Unternehmen, die eine digitale Plattform aufbauen wollen, stehen häufig vor der Herausforderung, die Auswirkungen der Plattform auf das bisherige Kerngeschäft abzuschätzen. Finanziell ist abzuwägen, ob die zu erwartenden Provisionsgebühren für die Vermittlung an andere Dienstleister die Erträge aus dem Vertrieb des eigenen Angebots übersteigen. Ferner sind auch die Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung beim Kunden zu berücksichtigen. Die strategischen Ziele, die Unternehmen mit digitalen Plattformen verfolgen, sind durchaus unterschiedlich. Während einige darauf abzielen, ihr bestehendes Produktangebot durch den Aufbau einer Plattform und die Integration von Partnern auszubauen und aufzuwerten, steht bei anderen Unternehmen das Interesse an der ressourcenschonenden Einnahme von Transaktionsgeldern im Vordergrund. Darüber hinaus gibt es Beispiele bestehender Großunternehmen, die eine Transformation ihres gesamten Geschäftsmodells hin zu einem plattformbasierten Modell vollziehen. Während eine digitale Plattform für manche Unternehmen ein zusätzlicher Distributionskanal ist, sehen andere Unternehmen digitale Plattformen als Kern ihrer Gesamtunternehmensstrategie. Laut der Umfrage verstehen 57 Prozent der Befragten die digitale Plattform als Gesamtunternehmensstrategie oder als neues Geschäftsfeld. Für 23 Prozent ist die digitale Plattform ein neuer Service bzw. ein neues Produkt und für 14 Prozent ein zusätzlicher Distributionskanal.

97 Prozent der Befragten sehen die Geschäfts­modellentwicklung als wichtigste Kompetenz an, wenn es um den Aufbau digitaler Plattformen geht. (Bild: Sopra Steria)
97 Prozent der Befragten sehen die Geschäfts­modellentwicklung als wichtigste Kompetenz an, wenn es um den Aufbau digitaler Plattformen geht. (Bild: Sopra Steria)

Unternehmen als Plattformpartner

Wenn Unternehmen sich dagegen entscheiden, eine digitale Plattform selbst aufzubauen, sollten sie dennoch genau prüfen, wie sie sich strategisch als Partner auf anderen Plattformen einbringen und von diesen profitieren können. Denn auch Unternehmen, die nicht bewusst eine Entscheidung treffen, als Partner auf Plattformen aktiv zu werden, müssen sich oft damit auseinandersetzen, dass sie sich in dieser Rolle wiederfinden. Damit Unternehmen davon profitieren können, gilt es, relevante Plattformen zu identifizieren, auszuwählen und die eigenen Prozesse mit der bzw. den ausgewählten Plattformen bestmöglich zu verbinden. Als Partnerunternehmen muss man sich z.B. den Regeln des Plattformeigners unterwerfen, leistet mit seinen Produkten aber auch einen Beitrag zum Funktionieren der Plattform insgesamt. Beispiele dafür sind etwa der Apple App Store oder der Google Play Store.

Plattformwettbewerb

Folgt man der Literatur zu digitalen Plattformen, kann es im Falle eines erfolgreichen Aufbaus gelingen, eine Quasi-Monopolstellung zu erlangen. Wesentlicher Grund für diese Entwicklung sind die seit langem bekannten Netzwerkeffekte, die dazu führen, dass sich im digitalen Wettbewerb oft ein führendes Unternehmen herausbildet. Für Kunden, Partner und Service-Provider einer Plattform sind vor allem die führenden Plattformen attraktiv, da sie dort auf die größtmögliche Zahl an Kunden bzw. Anbietern von Leistungen treffen. Die mit einer Quasi-Monopolstellung verbundenen Möglichkeiten der Umsatz- und Gewinnerzielung sind derart verlockend, dass sie oft ein Antrieb sind, eine digitale Plattformstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Die Wettbewerbssituation ist derzeit je nach Branche und Art der Plattform sehr unterschiedlich. So ist es nicht verwunderlich, dass in vielen Branchen ein intensiver Wettbewerb um den erfolgreichen Aufbau digitaler Plattformen tobt bzw. zu erwarten ist. Während die Entwicklung indust-riespezifischer Plattformen in der Banken- und Versicherungsbranche noch am Anfang steht, haben Kunden im Bereich der IoT-Plattformen bereits eine große Angebotspalette, aus der sie auswählen können. Der Wettbewerb wird zudem durch weitere Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise Juristische Interventionen. Zusammenfassend zeigt sich, dass die grundlegenden Mechanismen digitaler Plattformen nach einer Wachstumsphase vielfach zu einer starken Konsolidierung geführt haben. In der Entstehungsphase ist oft ein intensives Ringen um Kunden und Anbieter zu beobachten, wobei teilweise erhebliche Summen für das Marketing aufgewendet werden. Selbst nach einer Konsolidierungsphase gibt es Möglichkeiten, bestehende Plattformen anzugreifen und ihre beherrschende Stellung infrage zu stellen. Zukünftig rechnen die Studienautoren sowohl innerhalb von Branchen als auch branchenübergreifend mit einem zunehmenden Wettbewerb unter Plattformanbietern.