Sabine Bendiek, Microsoft Deutschland:

„Wir brauchen eine Allianz
des digitalen Fortschritts“

Nach jedem wirtschaftlichen Hoch kommt das Tief. Soweit die Logik. Und wenn es zur Flaute kommt, wird die Innovationskraft zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor, findet Sabine Bendiek. Die Microsoft-Deutschland-Chefin schildert außerdem, warum starke Firmen starke Partner brauchen und wie es um das Thema künstliche Intelligenz im Land bestellt ist.

Sabine Bendiek ist seit Januar 2016 Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. (Bild: Microsoft Deutschland GmbH)
Sabine Bendiek ist seit Januar 2016 Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. (Bild: Microsoft Deutschland GmbH)

Mit ihrer im November 2018 vorgelegten KI-Strategie will die Bundesregierung Deutschland zu einem weltweit führenden Standort bei künstlicher Intelligenz machen. Bis 2025 sollten dafür drei Milliarden Euro investiert werden. Was auf den ersten Blick viel erscheint, schrumpft im internationalen Vergleich allerdings schnell zusammen. In China will allein die Stadt Tianjin fast 13 Milliarden Euro in die KI-Förderung stecken. Was vielleicht noch schlimmer ist: Die zugesagte Summe wurde nur wenige Monate später deutlich eingedampft, dann wieder etwas aufgestockt, es bleibt unklar, aus welchen Töpfen sie letztlich kommen soll. Dieses Hin und Her weckt ungute Assoziationen an den Digitalpakt Schule. Die bereits im Herbst 2016 versprochenen fünf Milliarden Euro Bundesmittel für den Ausbau der technischen Infrastruktur sind bis heute nicht in den Schulen angekommen. Solche Verzögerungen können wir uns nicht noch länger leisten. Schließlich hat Deutschland nach Jahren des Zögerns gerade erst zur digitalen Aufholjagd angesetzt. Wie weit wir damit gekommen sind, wird sich zeigen, wenn das Wirtschaftsklima weiter abkühlt. Die sich abzeichnende Konjunkturdelle wird zur Bewährungsprobe für die Digitalisierung in Deutschland – und leider gibt es jetzt schon einige Hinweise darauf, dass wir sie nicht mit Bravour bestehen werden: Gerade in schwierigen Zeiten wird die Innovationskraft von Unternehmen zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Doch die deutsche Wirtschaft liegt im Innovationsindikator des BDI nur noch auf dem neunten Platz und gerade mittelständische Unternehmen fallen im globalen Innovationswettbewerb immer weiter zurück. Das renommierte ‚Institute for Management Development'(IMD) hat Deutschland in seinem ‚World Competitiveness Ranking‘ seit 2014 vom 6. auf den 15. Platz herabgestuft. In punkto ‚digitale Leistungsfähigkeit‘ rangiert Deutschland sogar nur auf Platz 18.

Fuß von der Bremse

Das Problem: Deutsche Unternehmen setzen bei ihren Digitalisierungsvorhaben nach wie vor primär auf Effizienzgewinne und verschenken dabei das innovative Potential digitaler Produkte und Geschäftsmodelle. Das gilt auch für den Einsatz von KI. Deutschland liegt vorn, wenn es um Prozessautomatisierung geht, so eine aktuelle Untersuchung von Deloitte. Aber es fehlt der übergreifende strategische Ansatz: Während in den USA, China, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Australien bereits mehr als jedes dritte Unternehmen eine übergreifende KI-Strategie verfolgt, ist es hierzulande nur jedes Vierte. Das muss sich dringend ändern! Laut einer Studie im Auftrag des BMWI könnte der Einsatz von KI die Bruttowertschöpfung allein im produzierenden Gewerbe um rund ein Drittel steigern. Insgesamt könnte Deutschlands BIP durch den Einsatz von KI bis 2030 um rund 430 Milliarden Euro wachsen, so eine Prognose von PwC. Davon würden 40 Prozent Effizienzgewinne beisteuern, aber 60 Prozent dieses gewaltigen Potentials steckt in innovativen Produkten, Services und Geschäftsmodellen auf KI-Basis.

Engere Vernetzung gefordert

Um dieses Potential voll auszuschöpfen, müssen wir Wissenschaft und Wirtschaft besser vernetzen, um die starke deutsche Grundlagenforschung endlich in marktfähige Produkte zu übersetzen. Wir müssen endlich den Fuß von der Bremse nehmen und sowohl das Tempo der technologischen Umsetzung als auch die KI-Kompetenz in jedem einzelnen Unternehmen deutlich steigern. Und wir müssen uns noch mehr öffnen: für neue Technologien und Methoden, für neue Formen der Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb von Unternehmen, für neue Partnerschaften auch über Branchengrenzen hinweg. Viele Herausforderungen lassen sich heute nur in engem Schulterschluss zwischen Industrie und Technologie lösen. Wir bei Microsoft verstehen uns grundsätzlich als Partner und nicht als Wettbewerber der Industrie. Wir stellen unseren Kunden Plattformen und Technologien zur Verfügung, auf deren Basis sie eigene Geschäftsmodelle entwickeln können. Und wir helfen – gemeinsam mit unserem starken Partnernetzwerk – Unternehmen aller Branchen und Größen beim Aufbau technischer Kompetenzen, damit sie ihren eigenen Kunden mit digitalen Lösungen neue Mehrwerte bieten können.

Plattformen und Kooperation

So hat sich beispielsweise das Traditionsunternehmen Osram vom Glühbirnenhersteller zum Anbieter intelligenter Lichttechnologien entwickelt. Mithilfe einer offenen IoT-Plattform auf Basis von Microsoft Azure entwickelt Osram unterschiedlichste Softwareanwendungen. So können beispielsweise mittels der Lichtinfrastruktur in Gebäuden auch Lagerbestände erfasst oder das Raumklima für verderbliche Ware überwacht werden. Entwickelt wurde auch eine IoT-Lösung für moderne Bürokonzepte. Sie erfasst Raumnutzungsdaten in Echtzeit und ermöglicht damit einen effizienten Einsatz von Share-Desk Konzepten ganz ohne aufwendiges Platzsuchen für den Mitarbeiter. Eine weitere Lösung richtet sich an Landwirte. Mithilfe der Plattform können sie z.B. Tageszeiten und Lichtverhältnisse simulieren um den Innen-Anbau von Pflanzen zu optimieren.

Leuchtturmprojekte

Besonders viele zukunftsweisende Partnerschaften entstehen derzeit im Bereich Automobilindustrie. Die deutschen Hersteller sind weltweit weit vorne, wenn es um Patente von vernetzten und autonomen Autos geht. Doch die Komplexität moderner Technologien ist mittlerweile so groß, dass sie von keinem Unternehmen allein gestemmt werden kann. Stichwort: digitale Mobilitätsdienste, ein Markt mit gewaltigem Potential. Als Technologiepartner liefert Microsoft führenden Automobilherstellern die Grundlage für die Entwicklung skalierbarer und vernetzter Mobilitätsdienste, die jeweils zur Marke und den Bedürfnissen der Kunden passen. So unterstützen wir beispielsweise VW beim Aufbau eines Entwicklungszentrums für die Automotive Cloud. Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist die Initiative ‚Open Manufacturing Platform‘ gemeinsam mit BMW. Sie soll auf Basis einer offenen Technologieplattform die Entwicklung von IoT- und Smart-Factory-Lösungen vorantreiben, die von der OMP-Community gemeinsam genutzt werden können. Hierfür werden wir die OMP-Community kontinuierlich erweitern und gemeinsam mit der BWM-Group auch branchenfremde Hersteller und Zulieferer ermutigen, sich der Initiative anzuschließen.

Zeit der Allianzen

Denn wir sind davon überzeugt, dass die Zeit der Alleingänge endgültig vorbei ist. Damit die digitale Transformation in Deutschland zur echten Erfolgsstory wird, brauchen wir allerdings nicht nur die enge Partnerschaft von Industrie und Technologie, sondern auch eine Politik, die die richtigen Prioritäten setzt und verlässliche Rahmenbedingungen schafft. Kurz wir brauchen eine breite Allianz des digitalen Fortschritts.







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