Produktionssysteme für die Pflanzenzucht

Orchideen klonen in Großserie

Viel Spezialwissen wird bei der Firma Hark weitergabesicher in IT-Systemen konserviert. (Bild: Fritz Hark Orchideen GmbH & Co. KG)
Viel Spezialwissen wird bei der Firma Hark weitergabesicher in IT-Systemen konserviert. (Bild: Fritz Hark Orchideen GmbH & Co. KG)

Zum 55-seitigen Lastenheft

Basierend auf diesen Erkenntnissen sowie weiteren Analysen lautete die Empfehlung eines Beraters aus der Maschinenbaubranche mit Produktionsexpertise, ein ERP-System einzuführen, vermutlich direkt in Kombination mit einer MES-Software. Nach dem Entschluss der Geschäftsführung, dieser Empfehlung zu folgen, wurde ein um Kommentare ergänztes standardisiertes Lastenheft erstellt mit dessen Hilfe in einem mehrstufigen Prozess zahlreiche mögliche Kombinationen aus ERP-Softwareproduktion, MES-Lösungen und Systemhäusern zu deren Einführung geprüft wurde. Der Erkenntnisgewinn aus diesen Gesprächen über mögliche Wege, die Anforderungen zu erfüllen, schrieben die Mitarbeiter von Hark schließlich ein 55-seitiges Lastenheft, inklusive Detailbeschreibungen zu kritischen Use Cases. Ausgewählt wurde schließlich die ERP-Software Microsoft Dynamics NAV, ohne zusätzliches MES, da die Funktionalität des ERP-Systems für die Produktionssteuerung bereits zufriedenstellend war.

Umstellung auf Wochenplan

Die Einführung und Anpassungsprogrammierung waren trotz sorgfältiger Auswahlprozesse und viel Frontloading schwierig. Dennoch konnte die Produktionssteuerung mit einer überschaubaren Anzahl an Change Requests realisiert und die quartalsweise Planung auf einen Wochenplan umgestellt werden. Die Produktionssteuerung der Sorten wird schrittweise vom alten ins neue System überführt. Weitere Verbesserungen der Auftragsnachverfolgung werden angestrebt, da die Standardfunktionen teilweise noch nicht optimal auf die Produktion von biologischen Produkten abgestimmt sind. Ein großer Vorteil der neuen ERP-Lösung ist, dass sie im Unternehmen die Einführung neuer Produkte und Variantenentwicklung mit veränderter Prozessfolge überhaupt erst ermöglicht, da die vorher verwendete OPM-Software nur einen festen, standardisierten Arbeitsplan abbildete.

Vereinfachte Wertstromkarte für die Orchideenklonung in großen Stückzahlen (Bild: Hochschule Rhein-Waal)
Vereinfachte Wertstromkarte für die Orchideenklonung in großen Stückzahlen (Bild: Hochschule Rhein-Waal)

Geheimwissen abgeschottet

Eine weitere Besonderheit der PPS-Lösung ist die Überführung des impliziten Wissens der Mitarbeiter über die Bestandsregulierung der Klonstämme in einen Algorithmus, der dieses Wissen abbildet und das Stammmanagement automatisiert. Dies konnte nur in einem iterativen, in Sprints gesteuerten Prozess aufgebaut werden und ist nun personenunabhängig konserviert. Um den Algorithmus geheim zu halten, wurde eine Schnittstelle zwischen dem ERP-System und einem von der Firma Hark selbst entwickelten Softwaretool mit dem Algorithmus erstellt. Im Zusammenspiel dieser Werkzeuge übergibt das ERP-System terminierte quantifizierte Bedarfe an unfertigen Jungpflanzen (WIP) und die Daten zu den aktuellen Stammbeständen an den proprietären Stamm-Algorithmus VariantSplit, aus denen dieser dann die Produktionslosgrößen für die Weiterverarbeitung der exakten Klongenerationen vorgibt und dann als stammbezogene Produktionsbedarfe an das ERP-System übergibt. Dieser Algorithmus hat bereits die PPS maßgeblich vereinfacht und automatisiert, wird jedoch mithilfe von Datenanalysen stetig weiter entwickelt, um das Wachstumsverhalten der Pflanzen noch genauer modellieren zu können. Der Algorithmus ermöglicht auch Modellrechnungen zur Vorwärtsterminierung, wenn Kunden nach dem frühestmöglichen Liefertermin einer Menge oder der lieferbaren Menge für einen gewünschten Liefertermin anfragen.

Weiterentwicklung und neue Prozesse

Die Einführung der neuen PPS mit ERP-System und MES-Funktionen in einer nicht ERP-erfahrenden Branche mit anspruchsvoller Anpassungsprogrammierung war ein Kraftakt für das überschaubare Projektteam, welches in turbulenten Geschäftszeiten gleich zwei für sie gänzlich neue und kaum für die Branche erprobte IT-Werkzeuge einführen, mitkonzipieren und testen mussten. Dennoch sind die Geschäftsführung und die Produktionssteuerer von dem Nutzen der Lösung überzeugt. Weil im Laufe des Projektes immer wieder neue aufkommende Wünsche der Anspruchsgruppen nach Funktionen und Use Cases zurückgestellt werden mussten, wird auch in der Zukunft weiter an der Entwicklung neuer Routinen und der synchronen Verbesserung der Geschäftsprozesse und der dafür nutzbarbaren IT-Werkzeuge gearbeitet werden. Dies geschieht bei der Integration eines neuen Kunden- und Lieferantenportals und sowie der Neudefinition der Prozesse von der Endprüfung der Pflanzen bis zur Auslieferung der der Pflanzen in firmeneigenen Kühl-LKW.