Lessons Learned der digitalen Transformation

Murrplastik auf dem Weg zur digitalen Fabrik

Digitalisierung nur aus technologischer Sicht zu betrachten ist zu wenig, sagt der Autor. Die kaufmännischen Themen sollten mindestens gleichrangig behandelt werden – wie bei dem Kunststoffspezialisten und Automobil-Zulieferer Murrplastik Produktionstechnik.

 (Bild: LOG_X Verlag GmbH)
(Bild: LOG_X Verlag GmbH)

Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Vor allem der Mittelstand kann nicht losgelöst vom wirtschaftlichen Kontext agieren. Die Unternehmen müssen stets die Rentabilität, die Liquidität sowie die Beschaffung finanzieller Mittel im Blick behalten. Vor allem der letzte Punkt, der Zugang zu Fremdkapital durch die Banken, wird immer weiter erschwert. Nicht zuletzt deshalb sollte sich der Mittelstand mit der Idee vertraut machen, die Kosten der Digitalisierung aus eigenen Mitteln zu tragen. Dabei sollte man nicht zu klein denken. Mittelständische Unternehmen sollten für die Digitalisierung ein Budget bis zur Höhe eines Jahresgewinns bereitstellen, um auch Luft für Unvorhergesehenes zu haben. Diesen Anhaltswert hat Murrplastik Produktionstechnik aus seinen Projekterfahrungen abgeleitet.

Standardlösungen eher kritisch

Die Digitalisierung muss immer auf das Geschäftsmodell und die Prozesse des Unternehmens zugeschnitten sein, um die Anforderungen der Kunden effektiver und effizienter zu erfüllen. Deshalb sind Standardlösungen oder monolithische Systeme aus einer Hand eher kritisch zu beurteilen. Stattdessen sollten Unternehmen von Anfang an in Richtung eines flexiblen digitalen Eco-Systems denken, das aus unterschiedlichen Lösungen für die Anwendungen besteht. Hier gibt es mittlerweile sehr gute Ansätze, die die Anforderungen des Mittelstandes an zukunftsfähige IT punktgenau erfüllen. Die Lösungen funktionieren hauptsächlich cloudbasiert und nach dem Prinzip Software as a Service. Somit werden die Anwendungen gemietet und monatlich bezahlt. Mit einem digitalen Ökosystem wird es möglich, die zukünftige IT nach den Erfordernissen unterschiedlicher Geschäftsmodelle zu gestalten. Und man kann bei der Einführung der Systeme schrittweise vorgehen. Dieses Verfahren wurde auch bei Murrplastik Produktionstechnik angewandt. Das Unternehmen in Oppenweiler produziert mechatronische Teile für unterschiedliche Branchen, etwa die Automobilindustrie. 2020 und 2021 durchlief der Betrieb eine Restrukturierung und kehrte nach schwierigen Jahren zurück auf die Erfolgsspur. Die digitale Transformation steht im Zusammenhang mit der Neupositionierung des Unternehmens.

Teufel steckt im Detail

Auch bei flexiblen, cloudbasierten Systemen kommt irgendwann der Tag, an dem das alte System abgeschaltet und die neue IT hochgefahren wird. Bei der Informationstechnik steckt der Teufel buchstäblich im Detail. Alte Systeme haben die Eigenschaft, dass sie historisch gewachsen, dementsprechend verschachtelt und heterogen sind. Und eben alt. Alte Rechner mit veralteten Betriebssystemen, nicht aktuelle Wartungspläne, fehlende Dokumentation, Sicherheitslücken durch nicht aufgespielte Updates, marode Kabel und Verbindungen? Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern. Tatsächlich haben die Experten von Hanselmann bei der Umstellung der IT in der zukünftigen Referenzfabrik Dinge erlebt, die sie so nicht für möglich gehalten hatten. Diese zu überwinden war mit erheblichen Lerneffekten verbunden.

Arbeiten an eng vernetzten Systemen sollten mit größtmöglicher Sorgfalt vorbereitet werden. Denn gerade in hochentwickelten Systemverbünden können auftretende Probleme kaskadieren. (Bild: LOG_X Verlag GmbH)
Arbeiten an eng vernetzten Systemen sollten mit größtmöglicher Sorgfalt vorbereitet werden. Denn gerade in hochentwickelten Systemverbünden können auftretende Probleme kaskadieren. (Bild: LOG_X Verlag GmbH)

What can happen, will happen

Eine erste Lektion bestand darin, dass man bei der Analyse der Ausgangssituation gar nicht sorgfältig genug sein kann. ‚What can happen, will happen‘ – wenn Murphy’s Law irgendwo gilt, dann bei der Umstellung der IT. Ein Absturz zieht den nächsten, ein Handlungsbedarf den anderen nach sich – die Folge eng vernetzter Systeme. Ein Systemabsturz durch kollabierende IT-Systeme ist für jedes Unternehmen kritisch. Besonders prekär ist es jedoch für eine Fabriken der automobilen Lieferkette. Die bisherige Technik mag alt gewesen sein, aber sie hat funktioniert, die Versorgung der Kunden war gesichert. Zumindest bis zum Tag der Umstellung. Dann gingen buchstäblich die Lichter aus. Größte Sorgen bereitete eine Anlage, an der hybride Teile gefertigt wurden, die direkt in die Montage des Kunden gingen. Auch hier bleibt der Auftraggeber das Maß der Dinge. Da die Liefertreue unter allen Umständen gesichert sein muss, entschlossen sich die Projektbeteiligten, die Anlage informationstechnisch zu kapseln und zunächst als alte Insel im neuen System weiter zu betreiben. Das mag nicht der reinen Lehre der Digitalen Transformation entsprechen, ist aber der betrieblichen Wirklichkeit geschuldet. Pragmatisch arbeiten, den Kunden schützen – das ist die zweite Lektion.

Flexibilität zählt

Die dritte Lektion lautet, dass sich Anwender trotz bester Vorbereitung auf alle Eventualitäten einstellen müssen. Für das Projekt bei Murrplastik wurde bereits im Vorfeld der Umstellung eine Task-Force aus IT-Spezialisten der Unternehmensgruppe formiert. Diese Task Force wurde auch gebraucht, denn sie war buchstäblich Tage und Nächte damit beschäftigt, die fallenden Dominosteine zu halten, das System zu stabilisieren und das neue System anzufahren. Der Erfolg des Projektes ist dem Engagement des Teams zu verdanken. Und der flexiblen Strategie, die nicht mit der Brechstange kommt, um zu erzwingen, was nicht zu erzwingen ist. Diese Flexibilität zählt am Ende. Man kann sich bei der Einführung nach den Gegebenheiten richten, ohne die Richtung der Transformation aus den Augen zu verlieren. Hier hat sich ein Zielbild der digitalen Landschaft bewährt. Möglicherweise führen mehrere Pfade zum Ziel, das Ziel aber bleibt die digitale Fabrik. Das ist die vierte Lektion. Natürlich geht es um digitale Technologie. Aber es geht vor allem um die unternehmerischen und kaufmännischen Belange. Sie sind Grundlage und Rahmen der Entwicklung. Anders gesagt: Wirtschaft und Technik gehen bei der digitalen Transformation Hand in Hand.