Jörg Jung von Infor:

„Alles andere ist keine Cloud“

Jörg Jung leitet beim ERP-Hersteller Infor seit mehr als zwei Jahren als verantwortlicher Geschäftsführer die Regionen Zentral- und Osteuropa. In diesem Zeitraum konnte der Softwareanbieter sein Geschäft fast verdoppeln, merkte Jung im Gespräch mit der IT&Production an. Vor allem der Absatz mit Cloud-Lösungen scheint zu brummen: In den letzten zwei Jahren sei der Umsatz mit den Multi-Tenant-Lösungen weltweit um den Faktor zehn gestiegen.

 (Bild: Infor (Deutschland) GmbH)
(Bild: Infor (Deutschland) GmbH)

Seit etwa zwei Jahren sind Sie einer der verantwortlichen Geschäftsführer bei Infor. Wie unser Vorgespräch ergab, läuft es nicht schlecht.

Jörg Jung: Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre unser Softwaregeschäft fast verdoppelt. Unseren globalen Anspruch, deutlich schneller als der Markt zu wachsen, haben wir in unserer Region übertroffen. Weltweit ist Infor heute der drittgrößte Softwareanbieter. Das ganze ist stark durch das Cloud-Geschäft getrieben, das wir in zwei Jahren um den Faktor zehn vergrößern konnten – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber im Kern wollen die Unternehmen aus dem Korsett heraus, das ihnen ihre vorhandene IT angelegt hat. Gerade in dem Segment zwischen 500 Millionen und fünf Milliarden US-Dollar Umsatz treffen wir auf immer mehr solcher Unternehmen.

Was ist damit gemeint, wenn Infor von Cloud Computing spricht: Public Cloud, Hybrid Cloud oder ein Mixbetrieb?

Jung: Cloud Computing kann per Definition nur Multi Tenant und damit eine Public Cloud sein. Alles andere ist keine Cloud, auch wenn es von vielen Unternehmen so genannt wird. Single Tenant, Private Cloud und Hosting Manage Service – das ist alles On-Premise-Software und sie wird auch so installiert. Sie ist schon ab dem Go-live alt und nicht skalierbar. Für jede Innovation müssen erst einmal Upgrades aufgespielt werden.

Wie wichtig ist der Umsatz in der Fertigungsindustrie für Infor?

Jung: Die Fertigungsindustrie ist unsere wichtigste Branche, im Automotive-Umfeld sind wir sicherlich am größten und auch am erfolgreichsten. Auch im Maschinenbau und in der Prozessindustrie stehen wir gut da. Natürlich sind wir auch in den Bereichen Distribution, Handel, Public Sector und Hospitality unterwegs. Aber Infor steht vor allem ganz klassisch für diskrete Fertigung und die Prozessindustrien.

Infor hat kürzlich den Cloud-BI-Anbieter Birst erworben, obwohl es bereits eine Business-Intelligence-Lösung im Portfolio gibt.

Jung: Es war eine strategische Akquisition. Infor BI wurde oft mit unserer Enterprise-Performance-Management-Lösung kombiniert. Der Fokus lag eher auf Prozessen wie Budgetierung, Planung, Performance Management, Cash Management und Konsolidierung – die passende Software für das Büro des Chief Financial Officer. Birst bringt uns hingegen Business-Intelligence-Werkzeuge, die weit über klassisches Reporting auf der Basis von ERP-Daten hinausgehen. Hier geht es um Fragen, die sich nur mit Daten aus unterschiedlichen Systemen beantworten lassen: Wie effizient ist mein Prozess oder wie repariere ich möglichst effizient eine Maschine? Was einfach klingt, ist in Wahrheit hochkomplex und hat mit traditionellem Reporting kaum etwas zu tun. Mit Birst können Sie separate Prozessschritte aus unabhängig voneinander operierenden Systemen hervorragend zu einem Prozess zusammenbringen.

Ist das eine neue Herausforderung für Firmen?

Jung: Die Unternehmen haben heute viele Daten aus unterschiedlichen Systemen zur Verfügung. Sie können nur wenig damit anfangen, da die Daten über die unterschiedlichen Systeme hinweg nicht zusammengebracht werden. Das brauchen sie aber um etwa zu bewerten, warum der eine Kunde profitabel ist, der andere hingegen nicht. Die Unternehmen merken zudem, dass die Herstellung eines Produkts alleine nicht mehr reicht. Die Firmen setzen sich intensiv mit dem Servicegedanken auseinander. Die Grenzen, die isolierte Einzelsysteme solchen neuen datenbasierten Geschäftsmodellen setzen, werden immer weniger toleriert. Manager brauchen Dashboards, von dem aus sie Informationen aus jeder Applikation abrufen können, ohne sich Gedanken über die Software selbst machen zu müssen. Mit einem BI-System aus der Cloud ist das zu realisieren. Auf der nächsten Stufe der Business Intelligence könnten mithilfe von künstlicher Intelligenz selbstlernende Systeme entstehen, die proaktiv Vorschläge machen und dabei etwa Wechselwirkungen zwischen dem Absatz, der Produktqualität und Personalentscheidungen erkennen.

Wie weit sind wir von solchen Szenarien entfernt?

Jung: Unsere Kunden können schon heute tief in ihre Systeme hineindrillen, etwa um konkreten Handlungsbedarf zu erkennen. Vom vollumfänglichen Einsatz künstlicher Intelligenz sind wir noch ein Stück weit entfernt. Branchenweit werden gerade Use Cases erprobt. Diese dienen aber häufig eher noch als Messe-Showcase.

Vielen Dank für das Gespräch. (ppr)


Jörg Jung ist bei Infor als Geschäftsführer und Executive Vice President, General Manager EMEA Central & South tätig. Sein Ziel ist, bestehende Kunden bei der digitalen Transformation technologisch bestmöglich zu unterstützen und den Marktanteil von Infor weiter zu steigern. Nach dem Studium von Betriebswirtschaftslehre und Internationalem Management in Deutschland und Schweden hatte Jung unter anderem hochrangige Positionen bei SAP und T-Systems inne und konnte als Geschäftsführer von Unit4 für Wachstum im DACH-Raum sorgen, bevor er zu Infor kam.