Fallstricke der Prozessdigitalisierung
Am realen Prozess orientieren
In Zeiten der Digitalisierung wollen sich viele Unternehmen neu aufstellen – neue Geschäftsmodelle sind das erklärte Ziel. Anstatt sich auf die Optimierung der horizontalen Wertschöpfungskette zu konzentrieren, gehen Unternehmen bei ihren Strategieüberlegungen oftmals einen Schritt zu viel.
In Diskussionen über die Auswirkungen der Digitalisierung auf bestehende Geschäftsmodelle wird immer klarer, dass nur der Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette mit der durchgängigen Vernetzung der Kernprozesse untereinander einen nachhaltigen Lösungsansatz bietet. Dazu gehört die Vernetzung mit den Mitarbeitern und Kunden. Das seit Anfang der 1990er Jahre bekannte Organisationsgestaltungs-Paradigma ‚Prozessorientierung‘ erhält durch diese Entwicklung neue Bedeutung. In vielen wissenschaftlichen Aufsätzen werden die beiden amerikanischen Professoren Michael Hammer und James Champy als Entwickler der Prozessorientierung genannt. Ihr Konzept wird jedoch häufig als realitätsfern bezeichnet, da Unternehmen, die die Prozessorganisation einführen wollten, in der Regel gescheitert sind. Der Hauptgrund dafür ist, dass die prozessorientierte Führungskultur dabei eine Rolle gespielt hat und die Mitarbeiter schlicht nicht mitgenommen worden sind. Dass die beiden Professoren aber im Grunde nur die zuvor in der MIT-Studie beschriebenen prozessorientierten Prinzipien des Toyota-Prinzips auf amerikanische Verhältnisse übertragen haben, wird dabei nicht weiter diskutiert. Dieser Beitrag soll dazu beitragen, dass ein Umdenken erfolgt, bei dem langfristig die Ablösung der Organigramme zugunsten der Prozessorganisation mit der Swimlane-BPMN 2.0-Prozessdarstellung als neue Ordnungsstruktur im Fokus steht.
Wertschöpfung analysieren
Um neue Geschäftsmodelle zu kreieren, sollte zunächst die eigene Wertschöpfungskette analysiert werden, da so der komplette Prozess detailliert abgebildet werden kann. Sachlich und zeitlich logisch werden die einzelnen Prozessschritte mit ihren Regeln und Aufgaben genannt und weitere Prozessparameter wie Zeiten, Kosten, Risiken, Kompetenzen, Belastungen optional zugeordnet. Insbesondere wird dabei auf eine klare Schnittstellenbeschreibung Wert gelegt. Diese Analyse bildet die Grundlage für die Einführung einer prozessorientierten Organisation. Um die funktionsorientierten Organisationsstrukturen aufzubrechen, ist es erforderlich, über ein prozessorientiertes Organisations- und Führungssystem die notwendigen Fakten für alle Beteiligten zu schaffen. Dafür eignet sich das MITO-Modell als Bezugs- und Ordnungsrahmen. Mit seinen fünf Modellsegmenten beinhaltet es auch das unternehmensspezifische Prozessmodell. Weiter bildet es den in vielen Normen und Regelwerken geforderten ‚Prozessorientierten Ansatz‘ in Form eines Regelkreises mit fünf Schritten ab. Der Thin[gk]athon, veranstaltet vom Smart Systems Hub, vereint kollaborative Intelligenz und Industrie-Expertise, um in einem dreitägigen Hackathon innovative Lösungsansätze für komplexe Fragestellungen zu generieren. ‣ weiterlesen
Innovationstreiber Thin[gk]athon: Kollaborative Intelligenz trifft auf Industrie-Expertise
MITO-Führungssystem
Um den prozessorientierten Ansatz umzusetzen, ist ein MITO-Führungssystem erforderlich. Dieses stellt dem Management Führungsinstrumente bereit, um die Mitarbeiter so zu führen, dass die Unternehmensziele erreicht werden. Erforderlich ist dafür die Anwendung des Business Process Managements (BPM) als zentrales Führungsinstrument, das eine ganzheitliche Prozessgestaltung in Bezug auf die optimale Verknüpfung der fünf Gestaltungsdimensionen Management (Führung und Leitung), Mitarbeiter und Partner, Prozessorganisation, Prozessdigitalisierung und Kundenservice sicherstellt. BPM gilt für alle Geschäftsprozesse im Unternehmen.
Alle Anforderungen im Blick
Bei der ganzheitlichen Prozessgestaltung müssen sämtliche Anforderungen – beispielsweise ökonomisch und ökolgisch – berücksichtigt werden. Aber nicht nur der technologische Digitalisierungsaspekt ist von dem ganzheitlichen Prozessgestaltungsansatz betroffen, sondern auch die Mitarbeiterqualifizierung, insbesondere dann, wenn es darum geht, die Prozesse selbstbestimmt zu optimieren. Dabei bietet der digitale Methoden-Baukasten namens MITO-Methoden-Tool Unterstützung. Darin sind verschiedene Methoden miteinander in einem übergeordneten Problemlösungskreislauf verknüpft, die für viele Aufgabenstellungen, wie z.B. Risikoanalysen, Belastungsanalysen, Kostenanalysen, Fehleranalysen, Energieanalysen usw. dem Anwender in digitalisierter Form zur Verfügung stehen. Die Anwendung dieser Methoden durch die Mitarbeiter muss mit einer Änderung der Führungskultur hin zu einem partizipativen Führungsstil auf Augenhöhe verbunden sein. Auch dafür ist der Wandel vom funktionsorientierten zum prozessorientierten Ordnungssystem notwendig.
Die Welten verbinden
Wie bereits ausgeführt, wird die Digitalisierung der Geschäftsprozesse durch derzeitige IT-Trends beschleunigt – beispielsweise durch den Einsatz von Cloud-Technologien zusammen mit der Anwendung mobiler Endgeräte (Smartphone, Tablet-PC) sowie Datenechtzeitauswertung (Big Data) zur Prozessteuerung und -optimierung. Die Herausforderung für die Unternehmen besteht darin, bei der Prozessdigitalisierung die internen klassischen IT-Applikationen mit den internetbasierten IT-Informationssystemen so zu vernetzen, dass die reale Wertschöpfungskette vollständig durchdrungen wird.
Realer Prozess als Bezugspunkt
Den Bezugspunkt für die Digitalisierung bildet immer der vorher modellierte und dokumentierte reale end-to-end-Businessprozess, weil dort die Geschäftsregeln für die Ausführung der definierten Aktivitäten festgelegt sind. Auch die Konzeption von traditionellen IT-Applikationen wie ERP oder CRM-Systemen richtet sich an diesen Geschäftsprozessen aus, weil dort die zu erfassenden Dokumente und Daten für die Weiterleitung oder Verarbeitung der digitalen Informationen innerhalb der Prozessdurchführung strukturiert dokumentiert sind. Eine wichtige Rolle spielt beim Cloud Computing die Hard- und Software-Virtualisierung, das heißt die Erzeugung von nicht physikalischen Dingen, wie virtuellen IT-Betriebsumgebungen. Die Vorteile der Cloudnutzung liegen beispielsweise in der flexiblen Anpassung des IT-Bedarfes, ohne das eigene Hardware zum Einsatz kommt. Die in der Cloud erfassten Daten aus den einzelnen Applikationen ermöglichen Echtzeitreporting (Big Data), das für eine agile Prozesssteuerung und -optimierung benötigt wird. Gleichzeitig werden durch diese Datenflut ganz neue Geschäfts- oder Nutzungsmodelle möglich.
Keine neuen ‚Königreiche‘
Der Markt wird von der Digitalisierung getrieben. Dies erfordert von den Verantwortlichen neue Strategien für ihre Unternehmen zu entwickeln. Doch wollen sich Firmen neu ausrichten, wiederholen sich häufig alte Fehler. Anstatt sich auf die Optimierung der horizontalen Wertschöpfungskette zu konzentrieren, beginnen die Strategieüberlegungen mit der Bildung neuer, diesmal gestrafter ‚Königreiche‘. Dadurch wird das Silodenken zementiert. Eine neue durchgängige Führungskultur, welche die Mitarbeiter mit einbezieht, kann nicht entstehen. In funktionsorientierten Strukturen können Manager nicht kundenorientiert agieren, weil die Prozesse darauf nicht ausgerichtet sind. Das Organigramm verhindert durch die vertikalen und horizontalen Schnittstellen eine Fokussierung auf die Wertschöpfungskette. Der Erfolg kann damit nicht eintreten.