Konfigurieren statt Programmieren

ERP-System per Low-Code anpassen

Viele ERP-Lösungen wurden einst von Spezialisten entwickelt und danach nur noch angepasst, erweitert und mit Updates versorgt. Doch steigende Digitalisierungsanforderungen, schnellere Produkteinführungen sowie der Fachkräftemangel schrauben die Anforderungen in die Höhe. Könnte Low-Code-Softwareentwicklung die Lösung sein?

Beim Low-Code-Ansatz baut ein ERPBerater gemeinsam mit dem Kunden das ERP-System zusammen. (Bild: Citizen Developer)
Beim Low-Code-Ansatz baut ein ERPBerater gemeinsam mit dem Kunden das ERP-System zusammen. (Bild: Citizen Developer)

Viele Ansätze der ERP-Hersteller stoßen an Grenzen. Sie entwickelten ursprünglich Standardsoftware für möglichst viele Branchen. Eine tiefere Anpassung ist nur über Sonderprogrammierung durch Entwicklerteams der Hersteller möglich. Heute erwarten Anwender zunehmend von ihrer ERP-Lösung, dass sie flexibel und schnell anpassbar ist. Wie die Firmen ebenfalls agieren, in denen die Nutzer arbeiten. Die Low-Code-Entwicklung zielt darauf ab, diese Anforderung zu erfüllen. Dabei bezieht sich das “low” nicht auf die Qualität des finalen Programmcodes, sondern auf das Fachwissen, das für die Entwicklung benötigt wird. Im Low-Code-Development werden Applikationen mithilfe einer grafischen Benutzeroberfläche aus fertigen Bausteinen zusammengesteckt. Über Pull-Down-Menüs und per Drag&Drop können auf einfache Weise Systeme aufgebaut werden. Business-Applikationen wie ERP-Systeme werden nach einer Art Baukastenprinzip mit wenig Programmieraufwand zu einer maßgeschneiderten Lösung konfiguriert. Low-Code ist als logische Weiterentwicklung der Applikationsentwicklung zu verstehen, sozusagen als nächste Evolutionsstufe.

Self Service flächendeckend

Darüber hinaus wird bei Low-Code-Development die Entwicklung einer Software-Applikation aus der Entwicklungsabteilung heraus in die Hände von IT- und Prozess-Beratern gelegt. Da Programmierkenntnisse kaum notwendig sind, können mit den Unternehmensprozessen vertraute Personen die Arbeit übernehmen, um die Software vor Ort und gemeinsam mit dem Anwender an dessen Bedürfnisse anzupassen. Die Zeiten, in denen projektfremde Entwickler das Standardsystem so verbiegen, dass sich Anpassungswünsche umsetzen lassen, könnten bald vorbei sein.

Beispiel Fleischwirtschaft

Wie Unternehmen in die Low-Code-Entwicklung einsteigen können, illustriert das folgende Beispiel aus der Fleischindustrie. In der Branche waren die Anforderungen an die Unternehmen wohl nie größer. Behörden und Konsumenten stellen hohe Ansprüche an die Einhaltung von Lebensmittelsicherheit, Herkunftssicherung und Rückverfolgung sowie an die Tiergesundheit und das Tierwohl. Eine ERP-Lösung sollte dazu die Wertschöpfungskette von der Viehvermarktung über Schlachtung, Zerlegung, Produktion bis zu der Ladentheke und zum Versand über den Onlineshop abbilden können. Die Unternehmen der Branche verfügen über teilweise sehr alte ERP-Lösungen, die immer wieder angepasst werden mussten. Die CMPP in Ramstein ist bis heute das einzige Fleischverarbeitungswerk der US-amerikanischen Defense Commissary Agency (DeCA), das unter der Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums geführt wird. Von dort werden täglich etliche Tonnen Rind- und Schweinefleisch für 18 Armee- und Luftwaffenaustausch-Standorte in Übersee sowie 270 Einkaufszentren des US-Militärs geschnitten, verpackt und versendet.

Alte IT und Geräte

Die Fabrik in Ramstein konnte nach vielen Jahren des Betriebs die hohen Erwartungen im Hinblick auf die benötigten Funktionalitäten und die hohen IT-Sicherheitsanforderungen des US-Militärs nicht mehr zuverlässig erfüllen. Aus diesem Grund suchte die DeCA im Jahr 2017 eine ERP-Software, die neben den hohen Sicherheitsstandards auch alle Unternehmensprozesse abdeckt – möglichst ohne Zusatzprogrammierung. Herausforderungen in puncto Digitalisierung und Industrie 4.0 sollten erfüllt werden, Anpassungen ohne Aufwand jederzeit möglich sein, um bei Marktveränderungen schnell reagieren zu können. Nach Abschluss des Ausschreibungsverfahrens erhielt das Aachener Softwarehaus Gebra-IT den Zuschlag als Generalvertragspartner. Das Unternehmen installierte nicht nur eine ERP-Lösung, basierend auf der eigenentwickelten Low-Code Business Application Plattform. Es lieferte zudem sämtliche (Industrie-)Maschinen, Server, Software und so weiter. Auch die CMPP wurde durch das Bausteinsystem in die Lage versetzt, die Unternehmensprozesse nach und nach abzubilden. Eine der Anforderungen der DeCA war es, Bestellerfassungen über den Webshop abzuwickeln und dabei Sonderbestellungen und -wünsche der Endkunden eingeben zu können. Die Planung der Produktion und Verpackung musste anhand von Kundenaufträgen und Lagerbeständen durchführbar sein. Der Wareneingang, die Inventur sowie die Kommissionierung mussten über Handheld-Computer mit integrierten Barcodescannern erfolgen. Diese Anforderungen wurden in kurzer Zeit realisiert. Dabei wurden vorhandene Inselsysteme, wie manuell gepflegte Excel-Listen, durch integrierte Lösungen innerhalb der Software vollständig abgelöst.

Integration in das Militärnetzwerk

Es erfolgte eine Integration des Systems inklusive des bereitgestellten Hochverfügbarkeits-Serversystems und des Webshops in das Militärnetzwerk unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen der US-Army. Die Anforderung, eine Serverlandschaft so zu konfigurieren, dass diese von außen in das US-Army-Netzwerk eingebracht werden darf und dort betrieben wird, ist immens und durch hoch qualifizierte Spezialisten zu leisten. Das Baustein-System der ERP-Suite fungiert als neue Schaltzentrale bei CMPP. Die Umsetzung wurde in der geforderten Zeit, im vereinbarten Kostenrahmen und im gesamten Leistungsumfang geliefert. Das Management greift in Echtzeit auf Auswertungen zu, wo früher Dokumente verarbeitet, kontrolliert und per Mail/Ausdruck verteilt werden mussten. Das führte wiederum zu einer deutlichen Senkung der Fehlerquote im Verarbeitungsprozess.