Bild: August Weckermann KG

Mit guten Daten digitalisiert

Die Einführung des Systems am verlängerten Pfingstwochenende 2015 wurde akribisch vorbereitet. Ein Schwerpunkt war dabei neben dem Abbild der Prozesse im System die Anlage von Stammdaten, Arbeitsplänen und Fertigungsaufträgen. Nur die 4000 Prüfmittel aus der alten CAQ-Prüfmittelverwaltung wurden übernommen. „Wir haben die Umstellung genutzt, um unsere Datenbasis in Qualität und Umfang auf den neuesten Stand zu bringen, eine unerlässliche Voraussetzung auch für künftige Digitalisierungsprojekte“, sagt David Duttlinger. Installiert wurde nahezu die gesamte Gewatec-Lösung mit den Modulen GPPS (PPS), Kapplan (Kapzitätsplanung/Leitstandsystem), Grips (CAQ), Dokumentenverwaltung, Produktionsmittel-Management (PMS), die CNC-Programmübertragung (DNC) und das BDE/MDE-Modul Provis, inklusive der von Gewatec hergestellten MDE/BDE-Funkterminals. Die 130 Datenerfassungsterminals sind mit der sogenannten Prozessampel ausgestattet. Sie zeigt dem Werker an der Maschine mittels vier Leuchten in den Ampelfarben zum einen die Leistungsfähigkeit seiner Anlage über den OEE (Gesamtanlagen-Effektivität), dann die Qualität der Produkte über den cpk-Wert sowie die Aufforderung zur SPC-Messung und zum Werkzeugwechsel. Mit diesen Informationen in Echtzeit schließt der Werker den Regelkreis zwischen Planungs- und Ausführungsebene und kann früh Maßnahmen ergreifen, am besten bevor die ersten Ausschussteile produziert werden. Über das mit der Maschine verbundene MDE/BDE-Terminal werden automatisch Stückzahlen erfasst, kann der Werker Aufträge an-/abmelden, die Gründe eingeben, wenn eine Maschine steht oder wird das zu der Charge gültige CNC-Programm per Knopfdruck geladen beziehungsweise wieder in der Gewatec-Datenbank im Arbeitsplan abgespeichert. Die Auswertungen laufen im MDE/BDE-Modul Provis im Hintergrund. Auf dem Leitstandrechner zeigen die grafisch angeordneten Maschinen unter anderem den Betriebsstatus und den aktuellen Fertigungsstand mit Daten wie die Stückzeiten und Fertigungszeit, Reststückzahlen oder Störgründe. Mit einer Auswertung der Stillstandzeiten und Störgründe lässt sich heute die Leistungsfähigkeit speziell auch der konventionellen, kurvengesteuerten Maschinen genau beurteilen, was vorher eher nach Gefühl geschah. Im Einsatz sind 80 Drehmaschinen, davon die Hälfte CNC, 80-Spezialmaschinen zum Diamantieren und elf Bearbeitungszentren.

Die Umlaufbestände halbiert

Mit der Online-Erfassung von MDE/BDE- und CAQ-Daten wurde eine hohe Transparenz und Feinheit in der Fertigungssteuerung erreicht. „Durch die genauere Planung und Steuerung der Fertigung haben wir es im ersten Jahr geschafft, in den bearbeitenden Abteilungen nach der Dreherei die Umlaufbestände und damit den Platz und das gebundene Kapital zu halbieren“, sagt der Juniorchef, „wir können heute am Leitstand die Aufträge entsprechend dem Liefertermin genau einlasten, eine Pull-Fertigung. Früher wurden die Aufträge eher in die Fertigung gepusht.“ Man könne heute bei Umorganisationen eines Kunden am Telefon verbindliche Termine zusagen. Viele der kleinen Automatisierungen sind heute für die Nutzer selbstverständlich: zum Beispiel auf Knopfdruck bei der Auftragsfreigabe alle Unterlagen eines Auftrags bereit zu haben. Viele Ordnerablagen oder Karteischränke verstauben nun und es kommt auch nicht mehr vor, das ein einzelner Auftag einfach verschwunden ist. Für die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Unternehmen spricht, dass einige spezielle Anforderungen bei August Weckermann mittlerweile zum Standard des ERP-Systems zählen, etwa eine Schnittstelle zum Hochregallager mit 40000 Lagerplätzen. Bestellt wird jetzt an einem Tag bis elf Uhr und die Teile sind am nächsten bis zwölf Uhr beim Kunden. Die Entnahme oder Einlagerung wird im ERP-System ausgelöst und die Lagerlösung generiert automatisch den Kommissionierauftrag. Durch diese Verbindung zur Lagersteuerung von Kardex habe sich die Entnahmezeit halbiert und das Fehlerniveau im Logistikbereich um 95 Prozent reduziert.

Materialumbuchung als I4.0-Prozess

Ein weiteres Resultat der Zusammenarbeit war der automatisierte Buchungsvorgang einer kompletten Palette per Foto mit dem Tablet-PC. Die Idee war, eine Palette mit mehreren Auftragskörben an einem Arbeitsplatz komplett an- oder abzubuchen oder den Bearbeitungszustand umzubuchen von ‚halbfertig‘ auf ‚fertig‘ und nicht alle einzelnen Aufträge per Hand ummelden zu müssen An jedem Auftragskorb ist eine Laufkarte angebracht mit einem QR-Code, der Charge und Anzahl der Teile beinhaltet. Mit einem Android-Tablet, auf dem eine von Gewatec eigens entwickelte App läuft, wird ein Foto von der Palette erstellt und die ausgewählte Umbuchung etwa von Abteilung A auf Abteilung B aller Laufkarten erfolgt automatisch. Das Besondere an der App ist, dass sie beliebig viele QR-Codes auf einem Foto identifizieren kann. „Mit dieser Tablet-Lösung, die für mich eine echte I4.0-Anwendung darstellt, sparen wir bei den Materialumbuchungen im Jahr rund 800 Stunden Arbeitszeit“, sagt der Juniorchef. Der Foto-Ansatz mit dem Tablet wird auch in anderen Bereichen eingesetzt werden. Der Lieferschein für die Außerhausfertigung bei Subunternehmen, wie Galvanikfirmen, wird bereits über Foto per Knopfdruck erstellt. Angedachte weitere Lösungen sind eine Anzeige der Wertschöpfung oder bei einem Qualitätsproblem wird per Tablet gleich eine Sperrreklamation im System angelegt. „Die Prozesse, die wir aufgestellt haben, finden auch bei unseren Kunden Anerkennung, sodass einer der größten eine Einordnung als C-Lieferant hochgestuft hat auf A-Lieferant“, schildert David Duttlinger und er ist sich sicher: „Die Einführung des ERP-Systems und die damit verbundene Digitalisierung hat uns Stand heute mindestens eine Steigerung der Produktivität von zehn Prozent eingebracht.“


Diamantieren neu entdeckt

Die Anforderungen von Hansgrohe brachten den Seniorchef Karl Duttlinger Anfang der 90er Jahre auf diese Technologie. Hansgrohe gab in der Nähe von Eisenbach eine eigene Fertigung auf und August Weckermann übernahm kurzerhand das gesamte Teilespektrum. Das waren konventionell polierte Teile, bei denen Hansgrohe einen Ausschuss von 30 Prozent gehabt hatte – der mit dem gleichen Fertigungsprozess auch bei August Weckermann anfiel. Dann erinnerte sich Karl Duttlinger zusammen mit einem alten Meister an diamantierte Teile für die Uhrenindustrie in den 50er Jahren. Nach einem dreiviertel Jahr des Experimentierens wurde der Diamantierprozess für das erste Teil wieder beherrscht. Dabei war der Ausschuss wesentlich geringer und die Oberflächengüte (Ra-Wert von 0,01) war der herkömmlich polierten Oberflächen überlegen. So wurde Stück für Stück der hochglanzpolierten Teile umgestellt und das Knowhow ausgebaut. Heute werden sogar Teile bis zu einer Größe von 120 auf 80 Zentimeter diamantiert.