Materialstammdatenpflege im Maschinenbau

Mit sauberen Daten in die Prozessoptimierung starten

Parallel zur SAP-Einführung begann Hermann Schwelling Maschinenbau bereits 2007 mit der Klassifizierung von 175.000 Materialstämmen. Seitdem die Daten eine solide Grundlage bilden, entwickelten die Spezialisten zusammen mit ihrem IT-Partner Simus Systems zahlreiche Automatisierungslösungen um die Materialstämme.

Ballenpresse: Mit einer derartigen Maschine begann 1971 die Erfolgsgeschichte von HSM . (Bild: simus systems GmbH)
Ballenpresse: Mit einer derartigen Maschine begann 1971 die Erfolgsgeschichte von HSM . (Bild: simus systems GmbH)

Vor über 45 Jahren wurde die Hermann Schwelling Maschinenbau, kurz HSM, in Frickingen am Bodensee gegründet. Dahinter stand die Idee, das Volumen von Wertstoffen zu reduzieren, um sie effektiver in den Recycling-Kreislauf zurückzuführen. Seither entwickelt das Familienunternehmen rund um den Gründer Schwelling Ballenpressen mit heute bis zu 150 Tonnen Presskraft. Gleichzeitig hat die Firma Schredder für Papier und Datenträger wie CDs, Kreditkarten und Festplatten entwickelt, die als Aktenvernichter bis zur Sicherheitsstufe P-7 für Geheimdienste reichen. Circa 900 Mitarbeiter und über 100 Service- und Vertriebsstützpunkte bilden heute ein Netzwerk, das tausende Kunden auf der ganzen Welt bedient. Um das Recyclen und Komprimieren von Daten ging es auch, als das Unternehmen 2007 das ERP-System von SAP einführte: „Ein Dreivierteljahr vor dem Livestart sollten alle vorhandenen Materialstämme klassifiziert werden, um sie geordnet in die neue Unternehmenssoftware übernehmen zu können“, erinnert sich Hubert Kötzinger, Gesamtleiter Technischer Bereich (CTO) bei HSM. „Vor uns lagen sechs Mannjahre Arbeit, die wir nebenher nicht leisten konnten.“ Mit Simus Classmate des IT-Unternehmens Simus Systems konnte er der Geschäftsleitung eine Lösung anbieten, die den Aufwand auf ein Sechstel reduzierte. Während des SAP-Einführungsprojekts wurden parallel die Software-Module Classmate CAD und Classmate Finder an den CAD-Arbeitsplätzen mit Solid Works implementiert, die eine automatische Klassifizierung anhand der 3D-Geometrien und weiteren Informationen erlauben. In gemeinsamen Workshops wurden die vorhandenen Daten analysiert, eine neue Klassenstruktur entwickelt und schließlich alle Materialstämme eingeordnet. „Rechtzeitig zum Livestart konnte die ausgefüllte Klassenstruktur in Simus Classmate mit SAP synchronisiert werden“, sagt Hubert Kötzinger. „Manche Materialstämme waren noch den falschen Klassen zugeordnet, aber das Gesamtergebnis war ein hervorragender Anfang.“

Texte automatisch erzeugen

Fortgeführt wurde die Zusammenarbeit in einem Projekt zur automatischen Erstellung von Einkaufsbestelltexten. Dahinter stand die Idee, aus definierten Merkmalen einer Klasse in Simus Classmate automatisch die Einkaufsbestelltexte für Materialien zu generieren. Technik und Strategischer Einkauf legten in einem Workshop für die relevanten Klassen die anhand der Merkmale erforderlichen Textmuster fest, der Softwarehersteller entwickelte die passenden Regeln. Sobald die neuen Texte mindestens den Informationsgehalt der vorhandenen erreicht hatten, wurden die Texte durch Setzen eines Kenners in SAP aktualisiert. So entfiel der Aufwand zur Pflege der Einkaufsbestelltexte für die beteiligten Abteilungen – und die Konstrukteure pflegen die Klassifikation mit höherer Motivation.

Rückverfolgung wird wichtiger

Maschinenbauer wie HSM arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen ihrer Produktlinien. Doch wie erhält man einen Überblick, welche Produkte von einer konkreten Veränderung betroffen sind? Wie findet man umgekehrt heraus, welche technischen Neuerungen in ein bestimmtes Produkt eingegangen sind? „Mit SAP konnten wir diese Fragen nicht direkt beantworten“, sagt Kötzinger. „Doch eine Rückverfolgbarkeit ist heute aus vielen Gründen unerlässlich, von der Qualitätssicherung über die Ersatzteilversorgung bis zum Service.“ Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister fand er eine Lösung: Die Gültigkeit von Stücklisten wird über SAP-Änderungsstammsätze gesteuert. Da SAP hier keine komfortable Lösung zur Analyse der Änderungsstammsätze und der betroffenen Stücklisten bietet, wurde in Classmate ein Ergebnisspeicher für Änderungsstammsätze eingerichtet und die Stücklisten den Materialstämmen zugeordnet, wodurch solche Verwendungsnachweise und Stücklistenauflösungen möglich wurden.

Automatisieren in Etappen

Es folgten Erweiterungsprojekte, die eine tiefere Integration der eingesetzten Software bewirkten. So wurde die Datenbank der Engineering-Software über Classmate an das SAP-ERP angebunden, die das Anlegen von Bauteilen unterstützt. Ebenso wurden eine Normteile-Bibliothek integriert sowie die Generierung von Zollbenennungen und die Pflege der Zolltarif-Nummern automatisiert. Classmate bot auch eine Lösung dafür, Fertigprodukte mit typenschildrelevanten Daten anzureichern.

Materialstamm-Anlageprozess

Ein Beispiel dafür liefert das kürzlich abgeschlossene Projekt eines durchgehenden Materialstamm-Anlageprozesses. Jede Fachabteilung des Unternehmens – von der Technik bis zum Marketing – muss Material anlegen und pflegen können. Dabei durchläuft jedes Material bis zur vollständigen Definition verschiedene definierte Bearbeitungsschritte. So wird ein Zeichnungsteil in der Technik definiert und mit Statuswechsel an die Arbeitsvorbereitung weitergereicht. Dort wird die Beschaffungsart festgelegt, bei Kaufteilen ergänzt nun beispielsweise der Einkauf weitere Sichten. Bis zu sieben Abteilungen können beteiligt sein, bis ein Material vollständig angelegt ist. „Um Fehler abzustellen, hätten wir das Berechtigungskonzept des ERP-Systems bis auf Feldebene herunter neu definieren müssen – was einen erheblichen Aufwand verursacht.“

Workflows definiert

Wieder entwickelten die beiden Firmen eine Lösung. Diesmal sollte Classmate Finder als Frontend für den Pflegeprozess im SAP-System genutzt werden, eine inzwischen an 100 Arbeitsplätzen installierte Anwendung. Dazu wurde diese mit Werksdaten aus den verschiedenen SAP-Materialsichten angereichert. Für jede Materialart wurden Workflows angelegt, welche das Material durch den spezifischen Anlageprozess führen. Jeweils nach Statuswechsel wird der Link des zu pflegenden Materialstamms in die nächste Arbeitsmappe verschoben, wodurch der Workflow durch Zuordnung der Arbeitsmappen entsteht. Nimmt also die Arbeitsvorbereitung ein Material ihrer Arbeitsmappe in Arbeit, so wird nach Festlegung der Beschaffungsart angezeigt, welche Sichten zu pflegen sind. Durch Auswahl der Sichten werden über Regelwerke die Pflichtfelder bestimmt und je nach Materialart Standardwerte gesetzt. HSM hat damit eine Algorithmisierung und Automatisierung des Anlageprozesses erreicht.

Weitere Projekte aufgesetzt

Inzwischen arbeiten die Spezialisten bei HSM bereits an neuen Projekten. Eines betrifft die Website des Unternehmens, auf welcher nahezu alle Maschinen dargestellt werden. Aus Classmate sollen automatisch rund 200 Merkmale der rund 1.400 dort verfügbaren Verkaufsartikel befüllt werden, so dass die Website tagesaktuell den Stand der technischen Daten, aber auch der bildlichen Darstellung der Produkte wiedergibt. Für die automatische Übersetzung von Materialkurztexten werden ebenso die Vorbereitungen getroffen, wie für eine automatische Generierung von Ersatzteilkatalogen oder eine konstruktionsbegleitende Kalkulation.