Jim Heppelmann von PTC im Gespräch

„Hunderte Kunden sind in der Evaluierungs- oder Pilotphase“

Der Erwerb von Onshape und Frustum, die Partnerschaften mit Microsoft und Rockwell – PTC wirkt aktuell ganz schön umtriebig. Der CEO des Engineering-Softwareanbieters Jim Heppelmann schildert, welche Strategie hinter diesen Schachzügen steht.

James (Jim) Heppelmann, President und Chief Executive Officer (CEO) von PTC. (Bild: Parametric Technology GmbH)
James (Jim) Heppelmann, President und Chief Executive Officer (CEO) von PTC. (Bild: Parametric Technology GmbH)

PTC hat für rund 470 Millionen US-Dollar Onshape und dessen cloudbasiertes CAD-System erworben. Warum?

Jim Heppelmann: Der Kauf von Onshape verdeutlicht den hohen Stellenwert, den PTC der Zukunft von CAD und PLM bemisst. Die großflächige Einführung von Software as a Service durch die Fertigungsindustrie steht noch aus. PTC erwartet jedoch, dass es bei SaaS-CAD einen Wendepunkt geben wird, so wie es bei Windows-basiertem CAD vor einer Generation nach der Einführung von Solidworks der Fall war. Wir haben die SaaS-Lösung von Onshape gekauft, weil sie perfekt für eine wachsende Anzahl von Unternehmen geeignet ist, die CAD nutzen und von den Vorzügen von SaaS-Tools profitieren möchten. Für PTC ist dieser Kauf in zweierlei Hinsicht wegweisend: Einmal ergänzt Onshape das PTC-Produktportfolio um eine Produktinnovations-Plattform, die Bestandskunden zusätzliche Optionen bietet, falls sie in Zukunft auf eine SaaS-Anwendung umsteigen wollen. Zum anderen stößt damit auch ein Team von in der Entwicklung solcher Produkte erfahrenen Branchenexperten zur PTC-Führung. Wir werden weiterhin parallel in Creo und Onshape investieren.

Welche Schnittstellen zwischen dem PTC-Portfolio und Onshape sind geplant?

Heppelmann: Wir werden Möglichkeiten schaffen, die Technologie zwischen den verschiedenen Plattformen wechselseitig nutzbar zu machen. Ein gutes Beispiel ist Frustums Technologie für generatives Design, die wir ebenfalls kürzlich erworben haben. Die Verfügbarkeit von cloudbasierten generativen Designwerkzeugen wird die Optimierung von Produktdesigns erheblich beschleunigen, über verschiedene Parameter der Produktentwicklung hinweg. Das sind Designtools der nächsten Generation, die Produktentwicklungs-Teams in die Lage versetzen, gleichzeitig mehrere Iterationen heranzuziehen, um Gewicht, Stärke, Form, Material und Kosten zu optimieren. Wir beabsichtigen, diese wichtige Technologie sowohl in die Creo- als auch in die Onshape-Plattformen zu integrieren.

Im klassischen Engineering-Lager kam schon beim Erwerb von ThingWorx und Vuforia die Frage auf, ob PTC seine Windchill- und Creo-Anwender nicht vernachlässigen werde. Jetzt bekommen die Lösungen sozusagen Konkurrenz im eigenen Haus. Mit welchen Folgen?

Heppelmann: Unser Windchill- und Creo-Geschäft haben wir zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt. Das gesamte PTC-Portfolio greift nahtlos ineinander, ermöglicht unter anderem den digitalen Zwilling und echtes Lifecycle-Management. Die IIoT- und AR-Plattformen von PTC – ThingWorx und Vuforia – sowie die Plattformen Creo für CAD und Windchill für PLM helfen Unternehmen, Dinge für eine digital vernetzte Welt zu entwerfen, zu fertigen, zu betreiben und zu warten. Das Portfolio deckt das gesamte Spektrum ab. Es zeigt das Produkt im fabrikneuen Zustand und ermöglicht unseren Kunden ein lückenloses und einwandfreies Lifecycle-Management. Wenn sie dann vor Ort sind, benötigen sie eine Möglichkeit, die umfangreichen Informationen, die ein digitaler Zwilling zur Verfügung stellt, zu erfassen und in Bezug zu dem Produkt zu setzen, das sie warten oder optimieren. Diesen wertvollen digitalen Kontext stellt wiederum unsere AR-Plattform bereit.

Apropos Vuforia. So spannend diese Technologie auch ist: Wann und womit lässt sich damit nennenswerter Umsatz erwirtschaften?

Heppelmann: Dieser Bereich entwickelt sich gut, schließlich ist AR das am schnellsten wachsende Geschäftssegment von PTC. Die Welle des digitalen Wandels erfasst im Moment die gesamte Industriewelt. Das versetzt Unternehmen in die Lage, ihre Produkte und Dienstleistungen besser an die Kundenbedürfnisse anzupassen und gleichzeitig ihre Prozesse in Entwicklung, Fertigung, Vertrieb und Wartung zu optimieren. Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass PTC das einzige Unternehmen am Markt ist, dass das gesamte Spektrum des digitalen Wandels abdeckt und über eine Reihe von CAD-, PLM-, IoT-, KI- und AR-Anwendungen verfügt. Das prädestiniert uns in einzigartiger Weise dafür, unsere Kunden im Prozess des digitalen Wandels und beim Erreichen ihrer diesbezüglichen Ziele zu unterstützen.

Welchen Effekt auf sein AR-/VR-Geschäft verspricht sich PTC durch die kürzlich intensivierte Partnerschaft mit Microsoft?

Heppelmann: Einen ganz erheblichen. Erinnern Sie sich: Vergangenes Jahr präsentierte ich Vuforia beim MWC gemeinsam mit Alex Kipman von Microsoft. Es war unsere Lösung, die auf dem Display von Microsofts neuer HoloLens II gezeigt wurde. Wir arbeiten nach wie vor eng mit Microsoft zusammen. Die ersten Zahlen des aktuellen Quartals, die uns seit kurzem vorliegen, zeigen einen starken Start ins neue Jahr. Der annualisierte Auftragswert übertrifft die Erwartungen bei weitem. Und die Nachfrage geht zunehmend über die intelligent vernetzten Anwendungen in Fabriken und unsere AR-Lösungen hinaus, die mehr als ein Drittel des Auftragsvolumens für unsere Microsoft-Kooperationen im ersten Quartal ausmachen. Unser Erfolg bei Johnson Controls, einem weltweit führenden Anbieter von Gebäudeleittechnik, ist ein guter Beleg für die Schlagkraft unserer Allianz mit Microsoft. Es stellte sich heraus, dass PTC, Microsoft und Accenture unabhängig voneinander und aus jeweils verschiedenen Blickwinkeln die Bemühungen des Unternehmens um den digitalen Wandel unterstützten. Aber wie immer verderben zu viele Köche den Brei, vor allem, wenn sie nebeneinander her oder aneinander vorbei arbeiten. Das barg das Risiko, den Transformationsprozess eher zu verlangsamen und den Gesamterfolg zu gefährden. Also taten sich PTC, Microsoft und Accenture zusammen und traten mit einer einheitlichen Strategie für die Smart Factory-Initiativen des Unternehmens an die Chefetage heran. Zusammen gelang es uns, einen Deal über eine vollständig cloudbasierte Lösung abzuschließen. Dabei stellt Accenture ThingWorx von PTC auf Microsoft Azure bereit.

Mit der Rockwell-Partnerschaft dürfte es für PTC in der Breite deutlich einfacher sein, IT-seitig bis auf die Sensorebene in Werkhallen durchzudringen. Werden Unternehmen PTC-Lösungen dort künftig häufiger einsetzen? Rockwell-Software auf ThingWorx-Basis gibt es ja bereits.

Heppelmann: Mit Sicherheit. Und wir sehen bereits eine erhebliche Zugkraft. Hunderte von Industriekunden haben bereits angefangen, unsere Factory Talk Innovation Suite zu implementieren. Die Nachfrage wird so schnell nicht versiegen, weitere hunderte Kunden sind aktuell in der Evaluierungs- oder Pilotphase. Das Rockwell-Kooperationsteam schließt kontinuierlich neue Deals in einem breiten Querschnitt vertikaler Märkte und in 15 verschiedenen geografischen Regionen ab. Das zeigt sowohl die umfassende Expertise im Industriebereich als auch die globale Reichweite, die Rockwell Automation in unsere Partnerschaft einbringt.

Das Portfolio von PTC wächst. Welche Rolle spielt ihr Ökosystem dabei?

Heppelmann: Unser Ökosystem gewinnt für das gesamte Portfolio aus mehreren Gründen stetig an Bedeutung. Erstens erschließt die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern mit einer Größe und Marktreichweite, die PTC nicht in allen Bereichen hat, Lösungen, Märkte und Kundenkreise. Zweitens eröffnen solche Partnerschaften PTC den Zugang zu neuen und hier auch kleineren Marktsegmenten oder Schwellenländermärkten etwa in Lateinamerika oder Osteuropa, in denen wir bislang noch nicht präsent sind. Drittens gehen inzwischen 30 Prozent der jährlich wiederkehrenden Einnahmen von PTC auf das Konto von Partnern. Viertens spielen unsere Partner auch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Dienstleistungen und Lösungen, die wiederum unseren Kunden helfen, erstklassige Ergebnisse zu erzielen, insbesondere in den Bereichen IoT und AR. (ppr)