Interview mit H. Heckhorn und M. Grunau von Cenit

„Die Akzeptanz endlos laufender Projekte ist vorbei“

Das Softwarehaus Cenit hat im vergangenen Jahr eine Systemarchitektur entwickelt, die den digitalen Faden über die Unternehmens-Software von SAP und die 3D-Experience-Plattform von Dassault Systèmes spinnt. Der technische Ansatz ist jedoch nur ein Teil dieser Digitalisierungsstrategie, die das Product Lifecycle Management rationalisieren soll. Was noch dazu gehört, erläutern Horst Heckhorn und Martin Grunau.

Horst Heckhorn (Senior Vice President SAP Solutions) und Martin Grunau (Senior Vice President Dassault Systèmes Lösungen & COO Keonys) von Cenit. (Bild: Cenit AG)
Horst Heckhorn (Senior Vice President SAP Solutions) und Martin Grunau (Senior Vice President Dassault Systèmes Lösungen & COO Keonys) von Cenit. (Bild: Cenit AG)

Erklären Sie das bitte genauer? Welche Zielsetzung verfolgt Ihr Ansatz und an wen richtet er sich?

Martin Grunau: Wir setzen an zwei Dimensionen für produzierende Unterhemen an: dem Produkt-entstehungs- bzw. Innovationsprozess einerseits und den eher operationellen Geschäfts-Prozessen auf der anderen Seite. Unser Ziel dabei ist es, diese Prozesse entlang des gesamten Produktentstehungszyklus – bis zum Service inklusive Kopplung zurück – zu optimieren und digital miteinander zu integrieren. Tut ein Unternehmen dies nicht, entstehen im Zeitverlauf Daten-Silos, Redundanzen, informationsbedingte Diskontinuitäten in Entscheidungsprozessen – bis hin zu einer Verlangsamung des gesamten Produktentstehungsprozesses.

Horst Heckhorn: Der Ansatz ist sicher nicht neu. Wir richten aber das Augenmerk darauf, dass der eigentliche Wertschöpfungs- oder PLM-Prozess, der den Weg von der Produktidee bis in den Service beschreibt und der ERP-Prozess, das heißt die komplette Auftragsabwicklung inklusive Steuerung, Logistik etc., von Anfang an als ein Prozess gedacht werden und gelebt werden müssen. Mit den Software-Plattformen von SAP für das Operative und von Dassault Systèmes für das Innovationsmanagement haben wir auch technologisch eine exzellente Basis, diesem Anspruch gerecht zu werden. Die neue Software-Architektur gibt uns zum ersten Mal die Möglichkeit, sehr weitgehende Prozess- und Datenintegrationen mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand herzustellen.

Grunau: Dafür ist jedoch eine Daten- und Geschäftsprozess-Integration unabdingbar. Unsere Überzeugung ist – die übrigens auch in der Praxis bestätigt wird – dass bloße Daten-Integrationen nicht greifen. Sie können nur dann wertschöpfend sein, wenn die Daten-Integrationen über Geschäftsprozesse gesteuert werden können.

Ist erfolgreiche Digitalisierung also ein ‚Selbstläufer‘, wenn doch Technologie und Prozesswissen bereits existieren?

Heckhorn: Die größte Herausforderung ist, wie bei allen Digitalisierungsprojekten, der Faktor Mensch. Oft müssen wir zunächst die Menschen mitnehmen, überzeugen und aus Ihrer persönlichen Komfortzone bringen. Die Herausforderung und der Schlüssel zum Erfolg bestehen darin, tradierte Haltungen und Denkweisen zu verändern.

Welchen digitalen Reifegrad braucht es, um Ihren Ansatz umzusetzen?

Grunau: Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was ist eigentlich digital reif? Wir verstehen darunter das Commitment eines Unternehmens, das Thema Digitalisierung in der Priorität so hoch zu adressieren, dass die notwendigen Strukturen, Entscheidungen, Veränderungen und Budgets bereit stehen, um digitale Transformationen umzusetzen. Das heißt konkret: digitale Reife benötigt Mittel, die nur mit einer Führungsmannschaft (C-Level) zu erreichen ist, die aktiv dieses Thema verfolgt.

Heckhorn: Ich stimme Martin zu. Entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung eines Unternehmens ist nicht nur die bestehende digitale Technologiereife. Diese bestimmt den Ausgangspunkt und die technologische Lücke, die zu schließen ist. Mindestens genauso wichtig ist die ‚kulturelle‘ Reife. Wenn die Unternehmensführung nicht Bestandteil und Sponsor einer offenen Denkweise ‚Out of the box‘ ist, dann kann ein Unternehmen – salopp gesagt – viel Geld investieren, um schlechte Prozesse digital zu betonieren.

Reichen Bereitschaft und Reife für die Digitalisierung aus, den Ansatz zu verfolgen, oder muss eine technologische Basis da sein?

Heckhorn: Wir machen den Erfolg unseres Ansatzes nicht abhängig von dem IT-Ausgangszustand – schon gar nicht in einer Welt, in der heute immer mehr die Applikation ‚aus der Steckdose‘ kommt. Denn mit Cloud-Anwendungen kann man Technologien in kürzester Zeit nutzbar machen.

Grunau: Genau, Unternehmen brauchen keine spezifische IT-Infrastruktur, um unseren PLM-Ansatz zu implementieren, bzw. damit ihr PLM zu rationalisieren. Durch unseren Lösungsansatz verfolgen wir genau diese technologische Unabhängigkeit, in dem wir z.B. den Kunden ermöglichen, entweder on-premises, in der Cloud oder auf eine hybride IT Architektur aufzusetzen. Aber die 98 bedeutenderen Prozent sind jene Herausforderungen, die wir vorhin erwähnten.

Sie erwähnten die Daten- und Geschäftsprozessintegration. Welche Anwendungsfälle kann man sich dazu vorstellen? Und wo liegt der Mehrwert?

Heckhorn: Nehmen wir den digitalen Zwilling: Damit es diesen geben kann, braucht man seinen realen Bruder. Wann gibt es aber den realen Bruder? Relativ spät im Prozess – im Prototypenbau oder sogar erst in der Produktion. Der Einsatz moderner Technologien verlagert viele Prozesse in die virtuelle Welt – Frontloading wird damit vom Wunsch zur Wirklichkeit. Simulationen, What-if-Szenarien, Logistikplanungen etc. werden zunehmend auf dem virtuellen Produkt aufgesetzt und müssen verlustfrei auf das reale Produkt übertragen werden. Dazu bedarf es konsistenter Datenströme und gut organisierter Prozessabläufe. Sobald das reale Produkt existiert, ist die kontinuierliche Synchronität der analogen und digitalen Zwillinge Voraussetzung für die sinnvolle weitere Nutzung der Simulationsanwendungen. Deswegen lenken wir den Fokus bereits in der virtuellen Produktentstehung auf die prozessgetriebene Kommunikation mit dem digitalen Unternehmens-Backbone. Die Synchronität der digitalen und realen Zwillinge erfordert permanente Kommunikation zwischen den Innovations- und Operations-Plattformen im Unternehmen.

Grunau: Zusätzlich zu den klassischen betriebswirtschaftlichen Zielsetzungen erschließt der digitale Zwilling im Produkt-Lebenszyklus Potentiale bzgl. Flexibilität, Kreativität, Qualität und Nachhaltigkeit.

Wie sieht ein mögliche Umsetzung aus?

Heckhorn: Um die strategischen und operativen Herausforderungen zu beantworten, haben wir eine zweidimensionale Beratungsmethodik entwickelt. Einerseits ein sogenanntes Digital Process Assessment (DPA) als Top-down-Ansatz: Wir betrachten mit dem Top-Management des Kunden die Unternehmensziele, das Geschäftsmodell, vorhandene strategischen Initiativen etc. und übersetzen die Ziele in die Digitalisierungsstrategie. Gleichzeitig betrachten wir mit den Experten im Unternehmen in unserem Bottom-up-Ansatz Customer Method Assessment (CMA) die genutzten Methoden und Werkzeuge in der virtuellen Produktentstehung und erarbeiten Vorschläge zur Optimierung. Aus der Verzahnung der DPA- und CMA-Ergebnisse erarbeiten wir im Anschluss einen Phasenplan, in dem die Digitalisierung so genutzt wird, dass sie die Unternehmensziele operativ in den Prozessen, Methoden und Werkzeugen verankert.

Grunau: In der Umsetzung des Phasenplans bieten wir mit unseren ‚Ready-to‘-Paketen Best Practice Lösungen an, die eine schnelle und kostengünstige Unterstützung zentraler Use Cases ermöglichen, die wir aufgrund unserer Erfahrung als ‚Common Sense‘ identifiziert haben. Die Pakete schaffen die Basis für die produktive Nutzung der integrierten Lösungen und ermöglichen den Erfahrungsaufbau bei den Endanwendern. Trotz aller Erfahrung können wir in den Best Practice Paketen nicht alles abbilden, deshalb gibt es fast immer einen unternehmensspezifischen Anteil, den wir durch Customizing hinzufügen.

Wann machen sich für Unternehmen erste Erfolge bemerkbar?

Heckhorn: Bereits früh im Projekt. Wir machen mit unserem Ready-to-Ansatz Anwendungen schnell verfügbar. Dies natürlich auf der Basis der Ergebnisse der Assessments. Zentral ist zudem, dass wir gemeinsam eine Erfahrungswelt mit neuen Arbeitsweisen aufbauen, um nicht nur die Akzeptanz der Anwender zu fördern sondern den Kreativprozess in Gang zu bringen. Letztendlich kommen oft die besten Digitalisierungsideen von denjenigen, die tagtäglich mit den Prozessen und Methoden arbeiten. Denn die Zeiten der Akzeptanz endlos laufender Projekte ohne konkrete Anwendung sind lange vorbei.

Warum nun die Plattformen von SAP und Dassault Systèmes?

Heckhorn: Weil wir als Partner von SAP und Dassault Systèmes für unsere Kunden die Synergien nutzbar machen wollen, die aus der Integration der beiden Plattform entstehen. Unsere Partnerschaft basiert nicht zuletzt auf der Überzeugung, dass dies die besten Lösungen in den jeweiligen Segmenten sind – dem Innovationsbereich, also der Produktentstehung, und dem ERP-Bereich.

Grunau: Und der Markt gibt uns Recht: Im vierten Quartal 2021 beispielsweise haben sich drei große Aerospace-Unternehmen aus Europa und den USA dazu entschieden, mit uns gemeinsam den Transformations-Weg End-to-End zu gehen, das heißt mittels Integration der beiden Plattformen von Dassault Systèmes und SAP.







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