Digital Twin-Projekte aufsetzen

Auf den Prozess kommt es an

Ein digitaler Zwilling einer Maschine oder einer ganzen Fertigungslinie verspricht, viele Alltagsprobleme von Fertigungsbetrieben zu lösen – oft fehlt es aber an der nötigen Transparenz. Doch nicht nur dies kann Digital Twin-Projekten im Weg stehen. Auch die Herangehensweise muss passen.

 (Bild: ©industrieblick/stock.adobe.com)
(Bild: ©industrieblick/stock.adobe.com)

Alltagsprobleme in Produktionsbetrieben sind eine geringe Auslastung der Maschinen, Anlagen und Mitarbeiter, zu hohe Stückkosten durch gestiegene Ressourcen-, Material- und Lohnkosten, Stillstände aufgrund von Intransparenz in den Abläufen sowie ineffiziente Abläufe durch verteilte und inkonsistente Informationsbestände. Durch Transparenz von und Zugangspunkten zu Informations- und Datenbeständen können Engpässe, Ausfälle und freie Kapazitäten schneller erkannt, die Auslastung verbessert und damit die Stückkosten reduziert werden. Auch dabei hilft ein digitaler Zwilling.

Rami 4.0

Ein zentrales Element der Industrie 4.0 ist die von der Plattform Industrie 4.0 definierte und im Rami4.0 (Referenzarchitekturmodell) spezifizierte I4.0-Komponente. Sie besteht aus einem physischen Asset und einer Verwaltungsschale. Die Verwaltungsschale definiert alle Merkmale des physischen Assets und bietet damit einen Schnittstellenvertrag zwischen allen Assets einer Industrie 4.0-Umgebung. Die Aggregation aller Verwaltungsschalen kann als digitales Abbild dieses Systems betrachtet werden: Die Verwaltungsschalen von Maschinenkomponenten wie Sensoren oder Schrittmotoren werden in der Verwaltungsschale der Maschine zusammengeführt, die aller Maschinen in der Verwaltungsschale der Fertigungslinie und so weiter.

Digitaler Zwilling gleich Verwaltungsschale?

Die Begriffe digitaler Zwilling und Verwaltungsschale werden zu Recht oft synonym verwendet. Denn ein digitaler Zwilling ist ein vollständig digitales Abbild einer Maschine, einer Fertigungslinie oder einer gesamten Anlage über alle Lebensphasen hinweg. Die einzelnen Zustände dieser Maschinen und Anlagen sind digital erfasst und mit allen relevanten Informationen aus den umliegenden Systemen zu einem durchgängig konsistenten Zustandsbild zusammengesetzt. Die Verwaltungsschale stellt dafür das technische Fundament bereit.

Autor Stefan Hennig ist überAutor Stefan Hennig ist überzeugt, dass sich der Aufbau eines digitalen Zwillings an den Wertschöpfungs- und Geschäftsprozessen orientieren muss. (Bild: SQL Projekt)zeugt, dass sich der Aufbau eines digitalen Zwillings an den Wertschöpfungs- und Geschäftsprozessen orientieren muss. (Bild: SQL Projekt)
Autor Stefan Hennig ist überzeugt, dass sich der Aufbau eines digitalen Zwillings an den Wertschöpfungs- und Geschäftsprozessen orientieren muss. (Bild: SQL Projekt)

Datendrehscheibe als Grundlage

Eine zentrale Datendrehscheibe bildet eine Grundlage für die Umsetzung digitaler Zwillinge. Mittels verschiedener Adapter werden die Daten aus dem Shopfloor (Maschinen, IoT-fähiger Messgeräte oder MES) mit den Informationen aus dem Topfloor (ERP, Webshops oder Dokumenten-Management) zusammengeführt und historisiert. Auf diese Weise entsteht ein Zustandsbild, das alle Lebensphasen der Maschinen und Anlagen einbezieht. Im Mittelpunkt steht dabei die I4.0-Verwaltungsschale. Die entsprechenden Modelle hält die Datendrehscheibe in einer inneren Datenbasis. Über einen zentralen Endpunkt können alle Informationen ‚erfragt‘ und Dashboards, Reports oder Alarmsysteme gespeist werden.

Am Prozess orientieren

Die Einführung eines digitalen Zwillings muss sich aber an den Wertschöpfungs- und Geschäftsprozessen eines Unternehmens orientieren. Folgende Kernfragen sollten daher beim Aufbau beantwortet werden:

  • •  Welche Informationen tragen zur Wertschöpfung bei?
  • •  Wie ordnen sich diese Informationen in die Geschäftsprozesse ein und welchen Mehrwert liefern sie?
  • •  Welche neuen Geschäftsprozesse sind auf Basis dieser Informationen denkbar und wie bringt dies das bestehende Geschäftsmodell weiter?
  • •  Welche neuen Geschäftsmodelle sind jetzt denkbar?

Welches Vorgehensmodell?

Bei Digital Twin-Projekten kommt es auf die Methodik an, die der Entwicklung, Einführung und der dauerhaften Verbesserung digitaler Zwillinge zugrunde liegt. Ein Vorgehensmodell ist das sogenannte ‚Agile Integration Framework‘, das sich Elementen der agilen Software-Entwicklung bedient. In der Positionsbestimmung wird der aktuelle Engpass in den Wertschöpfungsprozessen herausgestellt und ein Wunschzustand definiert, der mit strategischen Handlungsoptionen untersetzt wird. Um diesen Engpass herum wird ein Team aus Experten zusammengestellt, die in einem Navigationsworkshop den Engpass aus den Perspektiven Strategie, Markt und Systeme & Prozesse beleuchtet. Im Ergebnis wird ein Prozess definiert, der mithilfe eines digitalen Zwillings den Engpass im darauffolgenden Umsetzungssprint löst. Das regelmäßige Durchlaufen dieses Zyklus‘ soll sicherstellen, dass der digitale Zwilling an den Geschäfts- und Wertschöpfungsprozessen ausgerichtet wird.