Extended Reality für Drinnen und Draußen

Was leistet aktuelle XR-Hardware?

Bei Extended Reality-Anwendungen hängen die Hardware-Anforderungen massiv vom Use Case ab. Für die Reife der Technologie spricht, dass der Markt längst Angebote für verschiedene Szenarien bereithält. Doch gerade mit Blick auf die Hardwarepreise sollten Unternehmen genau wissen, welche Beschränkungen die Modelle aufweisen.

(Bild: ©Florian Pannetier/stock.adobe.com)
(Bild: ©Florian Pannetier/stock.adobe.com)

Zwar haben Hersteller wie Microsoft, Rokid oder RealWear bereits industriereife XR-Lösungen entwickelt, diese unterscheiden sich jedoch in teils entscheidenden Leistungsdaten und Parametern. Bei der Auswahl der passenden Extended Reality-Hardware (XR) für einen konkreten Anwendungsbereich spielen situationsabhängige Umweltfaktoren – wie Hitze, Lärm oder Staub – sowie technische und infrastrukturelle Voraussetzungen eine entscheidende Rolle. In der folgenden Potenzialanalyse wird die Praxistauglichkeit von drei XR-Hardware-Systemen näher beleuchtet. Dazu werden ihre Leistungsdaten in den Kontext von Use Cases gesetzt, die bei der Errichtung und Inbetriebnahme einer Produktionsanlage eine Rolle spielen. Die drei untersuchten Hardware-Systeme sind die Rokid X-Craft, die Microsoft HoloLens 2 und die RealWear Navigator 500. Die Kriterien für die Beurteilung dieser XR-Systeme beruhen auf Erfahrungen, die im vom BMBF geförderten Projekt Visaar gesammelt wurden.

Use Case 1 Gebäudebau mit Rokid X-Craft

Bei der Errichtung einer teilautomatisierten Produktionshalle sind Arbeiter diversen Gefahren ausgesetzt, denen XR-Systeme standhalten müssen, um einsetzbar zu sein. Da sich die Arbeitsbedingungen, wie die Witterung draußen, schlagartig ändern können, sollte eine XR-Lösung in diesem Szenario flexibel auf radikale Umweltveränderungen reagieren können. Für diesen Anwendungsfall eignet sich die X-Craft. Explizit entwickelt für die Anwendung in komplexen und riskanten Arbeitsbereichen ist die X-Craft sturzfest, explosionssicher und mit gängigem Sicherheitsequipment kompatibel. Das System kann per Knopf gesteuert und somit auch mit Handschuhen bedient werden. Einen Vorteil im Außenbereich bietet das semi-transparente Display. Die hohe Leuchtdichte (bis zu 1.600 Nits) in Kombination mit einer dunklen Oberfläche ermöglichen einen hohen Kontrast, der den Einsatz auch in besonders hellen Arbeitsumgebungen erleichtert. Dieses Kontrastverhältnis kann den Nutzer allerdings auch ablenken, da die Helligkeit der virtuellen Inhalte das Sichtfeld stark einschränkt. Mit einer Akkulaufzeit von bis zu acht Stunden, SIM-Karten-Slot und 5G-Fähigkeit kann die X-Craft autark genutzt werden. Aufgrund des uneinheitlichen User Interfaces ist die Bedienung des Systems allerdings umständlich und wenig intuitiv. Ein weiterer Nachteil der X-Craft ist das variable Visier, da sich dieses durch ruckartige Kopfbewegungen wieder herunterklappen kann. Ebenfalls fehlt der Brille Sensorik zur Tiefenwahrnehmung, wodurch die Gestensteuerung nur mit ausgestreckten Armen funktioniert. Bei langer Nutzdauer kann das Gewicht (600g) der X-Craft zu einem verringerten Tragekomfort führen.

Use Case 2 Produktionsstraße planen mit Microsoft HoloLens 2

Ist das Gebäude fertiggestellt und eine Netzinfrastruktur implementiert, kann die Produktionsstraße geplant werden. XR-Anwendungen können die Effizienz solcher Planungsprozesse durch die Darstellung von virtuellen Inhalten wie 3D-Modellen, digitalen Zwillingen sowie räumlicher Vermessung der Produktionshalle wesentlich erhöhen. Da weder die X-Craft noch die Navigator 500 zur Darstellung von 3D-Modellen fähig sind, empfiehlt sich in diesem Anwendungsszenario die HoloLens 2, die über verschiedene Sensoren zur Erfassung von Hand- und Kopfbewegungen sowie Augentracking oder Iriserkennung (zum Systemlogin) verfügt. Integrierte Tiefensensoren ermöglichen außerdem eine Verortung von 3D-Objekten im realen Raum. Allerdings gehen diese Features mit einem hohen Ressourcenverbrauch einher, aus dem eine kurze Akkulaufzeit von maximal drei Stunden resultiert. Da die HoloLens 2 lediglich staubgeschützt ist und das semi-transparente Display in Außenbereichen aufgrund des schwachen Kontrastverhältnisses sehr schlecht funktioniert, eignet sich die HoloLens 2 eher zum Einsatz im Innenbereich – zum Beispiel im Reinraum. Für den effektiven Einsatz der HoloLens 2 sind Nutzer auf eine intakte Netzinfrastruktur angewiesen. Es wird eine stabile WLAN-Verbindung benötigt, um mit externen IIoT-Systemen oder Cloud-Plattformen interagieren zu können. Darüber hinaus ist die HoloLens 2 nativ nicht mit gewöhnlichen Sicherheitshelmen kompatibel. Hier muss auf das System Trimble XR10 zurückgegriffen werden, welches als Kombination aus Hard-Helm und HoloLens 2 allerdings noch nicht auf dem deutschen Markt verfügbar ist.

Bild: August-Wilhelm Scheer Institut
Bild: August-Wilhelm Scheer Institut

Use Case 3 Inbetriebnahme mit der RealWear Navigator 500

Auch während des Maschinenbetriebs ergeben sich Anwendungsfelder von XR. Durch das Bereitstellen von Informationen wie Schaltplänen und Anleitungen, oder über audiovisuelle Kommunikation mit Experten können XR-Anwendungen als Assistenzsysteme für die Inbetriebnahme und Wartung von Maschinen eingesetzt werden. Allerdings erfordern diese Tätigkeiten häufig ein freies Sichtfeld. Im Gegensatz zu den Vergleichsmodellen besitzt die Navigator 500 kein semi-transparentes Display, sondern einen Viewer der sich individuell anpassen und beliebig im Bereich des Auges positionieren lässt. Ein entscheidender Vorteil dieses kleinen Displays ist das weitgehend freie Sichtfeld. Nutzer können somit situationsabhängig entscheiden, ob sie Informationen über das Display beziehen möchten. Weniger erfahrene Anwender können die Positionierung des Viewers als komplex wahrnehmen, da sich das Display entlang verschiedener Achsen verstellen lässt. Ist der Viewer nicht korrekt ausgerichtet, werden Inhalte unscharf oder außerhalb des Sichtfelds visualisiert. Für komplizierte Störfälle oder langwierige Inbetriebnahme-Prozesse soll die Akkulaufzeit von bis zu acht Stunden die Funktionsfähigkeit der Navigator 500 absichern. Zusätzlich ist das Austauschen des Akkus im laufenden Betrieb möglich. Ähnlich wie die X-Craft ist die Navigator 500 aufgrund des integrierten SIM-Karten-Slots auch ohne lokale Netzwerkverbindung nutzbar. Allerdings unterstützt das XR-System von RealWear nur 4G(LTE)-Verbindungen und kann somit weniger große Datenmengen versenden als die X-Craft.

Hardware setzt Grenzen

Trotz des Potentials von Extended Reality für die Industrie legt die Hardware den praktischen Anwendungsfällen noch Beschränkungen auf. Da die stetige Weiterentwicklung der Technologien, in Bezug auf Brillenformfaktor, Field-Of-View oder intuitivere Handhabung, unter anderem mit einem besseren Preis-Leistungsverhältnis einhergeht, dürfte XR für Industrieunternehmen zunehmend attraktiver werden. Durch Analyseservices, basierend auf Big-Data- und Machine-Learning-Verfahren, werden XR-Systeme Informationen künftig noch effizienter aufbereiten, um eine tragende Rolle in modernen Produktionsprozessen zu übernehmen.