Interview mit Nicolas Hess, CEO Europe bei Roboyo

„Den menschlichen Einfallsreichtum vervielfachen“

Robotic Process Automation (RPA) verspricht die Automatisierung wiederkehrender datengetriebener Aufgaben. Diese werden dabei von Softwarerobotern übernommen. Darüber, welche Potenziale sich in der RPA-Technologie verbergen und wo der Weg in Sachen Hyperautomation hinführen könnte, hat die IT&Production mit Nicolas Hess, CEO Europe und Co-Founder von Roboyo, gesprochen.

(Bild: Roboyo GmbH)
(Bild: @Joschija Bauer)

Laut Gartner verzeichnet der Markt für Robotic Process Automation zweistellige Wachstumsraten. Ist der Hype gerechtfertigt – oder anders gefragt: Was kann RPA und was kann es nicht?

Nicolas Hess: RPA ist eine innovative Technologie, die strukturierte Geschäftsprozesse automatisiert und oft als Einstieg in die intelligente Automatisierung genutzt wird. Der ‘Softwareroboter’ arbeitet wie ein Mitarbeiter, interagiert mit den Benutzeroberflächen bestehender Anwendungen und führt strukturierte Arbeitsprozesse automatisch aus. Typischerweise wird diese Technologie für manuelle Prozesse eingesetzt, die stark repetitiv sind und auf einem Regelwerk basieren. Solange es sich dabei um klassische ‘Wenn, dann’-Entscheidungen handelt, ist RPA unschlagbar. Sobald etwas nicht in den vorgegebenen Rahmen passt, scheitert die Software, weil ihr die Intelligenzkomponente dazu fehlt. RPA lernt nicht und kann auch keine menschlichen Entscheidungen imitieren. Unserer Erfahrung nach gibt es jedoch in jeder Branche und jeder Geschäftsfunktion Prozesse, die sich perfekt für die Automatisierung mit RPA eignen.

Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Nachfrage nach RPA-Lösungen?

Hess: Im Zuge der Pandemie hat sich das Thema intelligente Automatisierung von einer Option zu einer Bedingung für Disruption, Wettbewerbsvorteile oder sogar das Überleben gewandelt. Wir konnten sehen, dass Unternehmen mehr IT- und Geschäftsprozessautomatisierung benötigten, da sie gezwungen waren, ihre digitalen Transformationspläne für eine Welt nach Covid-19 schneller voranzutreiben. Die Digitalisierung hat einen großen Sprung gemacht und wurde in vielen Unternehmen plötzlich zur Chefsache. In diesem Zusammenhang führte die Automatisierung nicht nur zu Prozesskosteneinsparungen, sondern wurde auch zu einem Werkzeug zur Sicherung des Betriebs, um krisenresistent zu werden.

Für welche Prozesse lohnt sich der Einsatz – speziell bei produzierenden Unternehmen?

Hess: Unsere Erfahrung ist, dass produzierende Unternehmen in der Regel im Backoffice noch viel händisch arbeiten und daher Prozesse im Finanz- und Rechnungswesen sowie im Personalwesen typischerweise gute Ansatzpunkte sind. Je nach Fortschrittlichkeit und Größe des Fertigungsunternehmens sind diese Prozesse bereits eingespielt und werden zentral über ein GBS- oder SSC-Modell gesteuert.

Gute Ansatzpunkte für den Einstieg in die Automation sind

  • Kreditoren-Buchhaltung – insbesondere die Komponente der Rechnungsbearbeitung
  • Datensatz-zu-Bericht-Prozesse – unternehmensinterne Abgleiche, unternehmensinterne Forderungen, Journalbuchungen
  • Stammdatenmanagement – insbesondere die Verwaltung von Lieferantendaten, da Fertigungsunternehmen dafür bekannt sind, eine große Lieferantenlandschaft zu haben, die immer wieder Stammdatenaktualisierungen erfordert.
  • Automatisierung von Beschaffungsanfragen – da Kunden oft einem sehr zeitaufwändigen Beschaffungsanfragenprozess ausgesetzt sind, der durch die händische Bearbeitung in einem Webportal, Excel und SAP bedingt ist.

Welche Vorteile erwarten Unternehmen von Robotic Process Automation?

Hess: Kurz gefasst: RPA arbeitet schneller, bis zu 24 Stunden am Tag, macht keine Fehler, senkt die Kosten und dokumentiert die Arbeit lückenlos. Viele Unternehmen profitieren durch schlankere Prozesse, besseres Reporting, höhere Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit und haben sich durch den Einsatz von RPA einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

Gibt es Vorbehalte gegenüber den Technologien (RPA, ML, AI)? Wenn ja, welche sind das?

Hess: In manchen Köpfen ist die Prozessautomatisierung mit der Angst vor Arbeitsplatzverlusten verbunden. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Viele Leute sind auch der Meinung, dass die Automatisierung eines Prozesses immer mit einem hohen Zeit- und Budgetaufwand verbunden ist. Es bestehen manchmal noch Zweifel, dass die Automatisierung nicht immer einen Mehrwert bringt und wird als zu großes Risiko für das Unternehmen gesehen.

Wie sollten Unternehmen bei der Planung der Implementierung einer entsprechenden Lösung vorgehen?

Hess: Bei der Planung sollten sich Unternehmen frühzeitig mit Automatisierungsexperten beraten, um die Implementierung reibungslos zu gestalten. Wichtig ist es, alle Prozesse, die im Unternehmen stattfinden unter die Lupe zu nehmen, zu dokumentieren und zu bewerten. Dabei sollten auch erfahrene Mitarbeiter befragt und eingebunden werden. Zu einem guten Change Management gehört, dass die Belegschaft früh eingebunden und der nächste Schritt der digitalen Transformation nicht nur als Projekt, sondern als nachhaltige Transformation der Unternehmenskultur angesehen wird. Auf Basis der gemeinsamen Potenzialanalyse kann dann eine Strategie entwickelt werden. Es besteht die Möglichkeit, das gesamte Thema auszulagern oder im Unternehmen selbst abzubilden. ‘Automation-as-a-Service’ wird als innovatives und agiles Modell ohne Vorabinvestitionen immer beliebter.

Wo könnte die Reise hingehen –Stichwort Hyperautomation?

Hess: Die einfache Antwort lautet: Überallhin. Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes sagte voraus, dass bis 2030 die Technologie den Menschen befreien würde. Er hat sich geirrt. Es wird schon früher passieren. Der Übergang zu einer hyperautomatisierten Welt ist unvermeidlich und wird jeden Aspekt unseres Lebens beeinflussen – privat und beruflich. Es wird Zeiten geben, in denen die Hyperautomatisierung eine Aufgabe übernimmt, die ein Mensch erledigen könnte. Aber häufiger wird sie die vielen Jobs erledigen, die Menschen nicht machen wollen – die monotonen, sich wiederholenden, seelisch belastenden oder, anders ausgedrückt, die Roboterjobs. In vielerlei Hinsicht war Keynes’ Vorhersage richtig. Doch obwohl Roboter immer mehr Aufgaben übernehmen werden, werden sie den Menschen nicht ersetzen können. Hyperautomatisierung wird den menschlichen Einfallsreichtum ergänzen und vervielfachen. Die Liste ist hierbei endlos, das Potenzial ist unendlich. (mst)







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