Kommentar von Marc Schieder, CIO von Dracoon

Schicksalsjahr für die Eurocloud Gaia-X

Im Projekt Gaia-X sollen Datenräume entstehen, die europäischen Datenschutz-Standards entsprechen und die unabhängig von den großen Hyperscalern sind. Für Marc Schieder, CIO von Dracoon, entscheidet sich in diesem Jahr, ob das Vorhaben Erfolg haben wird. Denn die Non-Proft-Organisation Gaia-X Association muss die Zusammenarbeit mit den außereuropäischen Internetkonzernen gestalten, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen. Ein Balanceakt.

Marc Schieder ist Chief Information (Security) Officer bei Dracoon. (Bild: Dracoon GmbH)
Marc Schieder ist Chief Information (Security) Officer bei Dracoon. (Bild: Dracoon GmbH)

Die nächsten Monate werden richtungsweisend sein für das Projekt Gaia-X, in der Vergangenheit auch oft als Europacloud bezeichnet. Ziel der ursprünglich von Deutschland und Frankreich gestarteten Initiative ist bekanntermaßen die Schaffung einer leistungsfähigen und gleichzeitig sicheren Dateninfrastruktur für Europa.

Ein Grund für das Aufkommen der Idee ist auch die Motivation, die Datensouveränität europäischer Nutzer und Unternehmen zu stärken und sich unabhängiger von US-Hyperscalern zu machen – gerade in Hinblick auf den nicht mit einer DSGVO-Konformität zu vereinbarenden Cloud Act.

Forderungen nach Unabhängigkeit

Dass diese Abhängigkeit von amerikanischen, aber auch anderen außereuropäischen Anbietern innerhalb der Branche ein großes Thema ist, bestätigte vor kurzem eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes Civey im Auftrag des ECO-Verbands der Internetwirtschaft. Die befragten IT-Spezialsten schätzten hier ihr eigenes Unternehmen in vielen Bereichen als zu abhängig von Lösungen außerhalb Europas ein – im Bereich Software-as-a-Service waren es fast 27 Prozent, bei Platform-as-a-Service etwa 25 Prozent.

Ein Sprecher der ‚Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland‘, einer von ECO mitgegründeten Vereinigung, gab im Zusammenhang der Studie an, nur 4 Prozent aller weltweit verfügbaren Daten würden in der EU gehostet. Um jedoch Unabhängigkeit zu fördern, wünschen sich mit 52 Prozent die Mehrheit der 500 befragten IT-Fachkräfte offene Standards für besseren Datenaustausch. Laut etwa 46 Prozent fehlen diese oder sie sollten ausgebaut werden, damit Betriebe digital souveräner handeln können. Weiterhin wünschen sich knapp 23 Prozent mehr europäische IT-Anbieter am Markt. Den Rückhalt innerhalb der IT-Branche hat Gaia-X laut ECO also sicher.

Wer stellt die Dienste bereit?

Doch wie geht es jetzt konkret weiter? Nachdem im Sommer 2020 mit der Gaia-X Association eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Brüssel gegründet wurde, steht nun die strategische und ideelle Ausrichtung im Vordergrund. Eine zentrale Frage ist, welche Rolle beispielsweise Hyperscaler aus den USA und andere Technologieunternehmen außerhalb Europas bei der Umsetzung und Mitgestaltung des Projekts spielen werden. Schließlich sind Cloud-Konzerne wie Amazon, Google und Microsoft mit involviert. Doch wer konkret Infrastrukturdienste für das Projekt bereitstellen wird, werde sich wohl noch entscheiden und obliegt laut Hubert Tardieu, Interim CEO der nach belgischem Recht gegründeten Association den Vorstandsmitgliedern.

Ein wichtiger Punkt für Gaia-X ist die Schaffung gemeinsamer Datenräume zum Informationsaustausch. Eine Möglichkeit ist hier die Nutzung der semantischen Strukturen, die das IDSA (International Data Space Association), eine Initiative des Fraunhofer Instituts, bereits erschaffen hat. Weitere Konzepte werden bis März von Vertretern in sieben Wirtschaftsbereichen erarbeitet. Bei Unternehmen, die sich dem Projekt anschließen, soll der Fokus verstärkt auf Expertise im Bereich IT-Sicherheit liegen. Bis zum Ende dieses Jahres ist die Schaffung von 24 nationalen Hubs für die Initiative geplant – diese müssen nicht unbedingt in der EU liegen.

Datensouveränität als ambitioniertes Ziel

Es scheint, als ob Gaia-X Form annimmt – das Projekt ist auf dem besten Weg sein Ziel zu erreichen und die nächste Generation einer Dateninfrastruktur aus Europa aktiv zu gestalten sowie Datensouveränität für europäische Nutzer und Unternehmen zu garantieren. Das Ziel ist ambitioniert und die Idee innovativ. Nicht umsonst sprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei der offiziellen Vorstellung im letzten Jahr von einem Moonshot, einer Mondmission. Doch die Entwicklungen der letzten Monate stimmen optimistisch. Jetzt gilt es, den ursprünglichen Grundsätzen treu zu bleiben und Europas Vorreiterrolle in Sachen Datenschutz weltweit zu festigen.

Schicksalsjahr für Gaia-X

Die Tatsache, dass etwa Tech-Konzerne aus den USA und China beteiligt sind, ist erst einmal unproblematisch, solange keine neuen Abhängigkeiten entstehen. Im Gegenteil ist es erfreulich, wenn Unternehmen außerhalb von Europa die Dringlichkeit von IT-Sicherheit und Datenschutz erkennen und dem Wunsch der Konsumenten und Betriebe hier nachgehen. Solange das Projekt seine Grundprinzipien nicht außer Augen lässt und die Kooperation internationaler Hersteller dem Datenschutz dient, wird 2021 ein Erfolgsjahr für GAIA-X – und die Art und Weise, wie Daten in Europa verarbeitet, gespeichert und ausgetauscht werden, wird sich für immer verändern.

Über den Autor

Marc Schieder ist Chief Information (Security) Officer bei Dracoon, einem Spezialisten rund um Datenspeicherlösungen. Schieder absolvierte einen dualen Studiengang in den Bereichen Informatik und Kommunikationsdesign und verfügt über mehr als 15 Jahre internationale Berufserfahrung als selbstständiger Unternehmer, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender in den Bereichen individuelle Softwareentwicklung, Software-as-a-Service, Cloud Computing und Telekommunikation.





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