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IoT-Anwendungen für jedes Unternehmen

Digitale Prozesslücke an einem Tag geschlossen

Als ein Unternehmen bei einem Digitalprojekt auf eine Maschine stieß, die sich zwar technisch, aber nicht wirtschaftlich sinnvoll in das Zielsystem integrieren ließ, installierte es kurzerhand Kamera und Minirechner. Diese Lösung fotografiert nach Bedarf das HMI und verarbeitet das Bild zu den benötigten Systeminformationen.

Das Münchener Startup Company42 adressiert mit ihrer Retrofit-Lösung Box42 die Industrie. (Bild: Company42 GmbH)

Das Münchener Startup Company42 adressiert mit ihrer Retrofit-Lösung Box42 die Industrie. (Bild: Company42 GmbH)

Daten bilden die Grundlage für jede Form der Digitalisierung und Automatisierung von Wertschöpfungsketten. Das Angebot an Lösungen zur Datenakquise ist dabei mannigfaltig und reicht vom Nachrüsten mit vernetzter Sensorik bis hin zum Austausch des Maschinenparks. Ob der hohen technischen Reife heute sind die Möglichkeiten beinahe unbegrenzt und vollständig datengetriebene Geschäftsmodelle scheinen nur ein Integrationsprojekt weit entfernt. Trotz dem technologischen Fortschritt sehen sich Unternehmen häufig mit den gleichen Problemen konfrontiert: Digitalisierung im industriellen Kontext ist komplex, oft langsam und invasiv. Sie stört eingeschwunge Prozessabläufe und ist letztendlich teuer in der Integration. Gerade im Feld der Maschinendatenerfassung setzen Nachrüstlösungen bei bestehenden Anlagen signifikante Eingriffe in die Integrität von Assets und Prozessabläufen sowie den Einsatz von Experten voraus, um Retrofit-Sensorik zu verbauen. In der Konsequenz bedeutet das Standzeiten und ein Up-Front-Invest, sodass selbst einfache Digitalisierungsprojekte so kostenintensiv werden, dass ein einfacher erster Schritt in Richtung digitaler Prozesse nahezu unmöglich ist.

Die Digitalisierung einer Industriewaage

Vor etwas über einem Jahr war das Unternehmen Company42 damit betraut, den Wareneingang eines der weltweit größten Material Handling Unternehmen in der Edelstahlbranche zu erneuern und von einem komplett papiergestützten Prozess in einen vollständig digitalisierten zu überführen. Eine eigens dafür entwickelte mobile Applikation half den Mitarbeitern, Dokumentation und Tracking vom Papier auf Smartphones und Tablets zu verlagern.

Per App wird die Dokumentation vom Papier auf Smartphone oder Tablet verlagert. (Bild: Company42 GmbH)

Per App wird die Dokumentation
vom Papier auf Smartphone oder Tablet verlagert. (Bild: Company42 GmbH)

Fotografieren statt abtippen

Im Zentrum der Wertekette stand aber das genaue Vermessen bzw. das Verwiegen des Materials. Maschinen – in diesem Fall Waagen – lieferten also einen der wichtigsten Datenpunkte innerhalb der Prozesskette. Ein vollständig digitaler Prozess müsste natürlich auch diese Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine abbilden und den Medienbruch des manuellen Abtippens von Daten zu vermeiden. Was technisch an dieser Stelle kein Problem gewesen wäre, war unternehmerisch gesehen unsinnig. Der Waagen-Hersteller bot zwar ein Nachfolgemodell mit eingebauter Konnektivität an, doch der Austausch der Anzeigeeinheit war mit einem Kostenpunkt und einer Vorlaufzeit für einen Installationstermin verbunden, welche das gesamte Projekt budgetär und zeitlich unattraktiv gemacht hätten. Proprietäre Schnittstellen sowie der anbieterseitige Zwang zur Anbindung der Lösung an die OEM-eigene Cloud markierten dann das endgültige Aus für diese Integrationsoption. Eine Nachrüstung in Eigenregie gestaltete sich als ebenso unpraktikabel, da der damit verbundene tiefe Eingriff in die physische Integrität der Waage zum Verlust von Produktzertifizierungen, bis hin zur Eichung, geführt hätte. Abhilfe schuf letztendlich eine Kamera. Das Prinzip ist einfach: Eine Kamera wird in kurzem Abstand vor der Anzeige der Waage angebracht und fotografiert das Display zum gewünschten Zeitpunkt ab. Ein angeschlossener Miniaturrechner verarbeitet das Bild des angezeigten Gewichts mit Hilfe neuronaler Netze zu einem digitalen Datensatz, das Bild wird anschließend nicht mehr benötigt und sofort gelöscht. Über eine offene REST-Schnittstelle kann dieser Prozess ausgelöst und das Datum an das gewünschte Zielsystem übertragen werden. Die Installations- und Konfigurationszeit beträgt nur wenige Minuten, die Einbindung in die eigene Systemlandschaft wenige Stunden.

Einbindung in den digitalen Workflow

Was im ersten Moment unorthodox und nicht intuitiv anmutet, nämlich das maschinelle visuelle Auslesen von HMIs anstelle der Rohdaten der Messgeräte selbst, bedeutete für den Anwendungsfall des Unternehmens aber die Digitalisierung und Einbindung einer Maschine in den neuen digitalen Workflow binnen eines Arbeitstages und ohne die Maschine anfassen zu müssen – zu Kosten im kleinen dreistelligen Eurobereich.

Einzellösungen werden zur Commodity

IoT-Technologien, die helfen Daten aufzunehmen, zu verarbeiten und sinnvolle Erkenntnisse und Handlungen abzuleiten, konvergieren und werden von Einzellösungen zur Commodit. Künstliche Intelligenz wird ihrem Namen zunehmend gerechter und befreit Mitarbeiter von vielen lästigen Aufgaben. Der Paradigmenwechsel der ‚Consumerization‘ stellt auch den Anwender in der Industrie ins Zentrum der Entwicklung von IoT-Produkten. Lösungen werden also erschwinglicher – auch für Unternehmen mit kleineren Digitalisierungsbudgets. Das revolutionärere Moment könnte jedoch in der Zugänglichkeit und Inklusion liegen, die so möglich werden: Industrielle Digitalisierung wird ausprobierbar. Was für Digital Natives selbstverständlich ist – das Experimentieren mit digitalen Technologien – wird auch für Industrieunternehmen greifbar. Einfache IoT-Use Cases können im Self-Service umgesetzt werden – ohne Berater, Integratoren, Projektteams, Budgetrunden, sogar ohne bestehende IT-Infrastruktur. War völlige Vernetzung von Workflows fast nur in großen Unternehmen realistisch umsetzbar, hat sich durch die aufgezeigten Entwicklungen ein demokratisierender Prozess in Gang gesetzt. Das kann langfristig nicht nur dabei helfen, die oftmals unreflektierte Angst vor Digitalisierung zu zerstreuen, sondern stellt auch einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Fabrik der Zukunft dar.


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