Digitalgesteuerte Handgalvanik

Oberflächen prozesssicher veredeln

In seiner digitalen Transformation hat Galvanikspezialist C. Jentner ein neues Verfahren zur Oberflächenveredelung entwickelt. Dabei kann die Firma die Beschichtungsprozesse von Warenein- bis -ausgang lückenlos steuern und überwachen. Damit rückt das Unternehmen zum Dienstleister für Hochtechnologie-Segmente auf.

 (Bild: Jentner Plating Technology GmbH)
(Bild: Jentner Plating Technology GmbH)

Bei der JentnerGroup dreht sich alles um Galvanik: Während Jentner Plating Technology Geräte und Chemikalien herstellt, sind C. Jentner und Jentner IPP (International Plating Project) auf Lohngalvanik spezialisiert. Eine Besonderheit ergibt sich aus dem Zusammenspiel beider Bereiche. So befinden sich Labor, Analytik und Galvanisierungsstraßen mit zugehörigem Knowhow am gleichen Standort, um ein autarkes Agieren zu ermöglichen. Zwar beschäftigt beschäftige sich Chris Jentner bereits seit 2015 intensiv mit den Chancen der Digitalisierung, aufgrund fehlender Marktverfügbarkeiten zunächst aber hauptsächlich mit Blick auf rein hauseigene Ansätze, schildert der geschäftsführende Inhaber.

Start mit BDE-Funksteuerung

Einen ersten Schritt in die funkgestützte Prozessautomatisierung unternahm die Firma im Sommer 2019, als RFID-Technologie (Radiofrequenzidentifikation) in das eigenentwickelte System zur Betriebsdatenerfassung (BDE) integriert wurde, um zuvor händisch gesteuerte Produktionsprozesse abzulösen. So konnten die Durchlaufzeiten halbiert, der Einsatz teuren Edelmetalls um zwölf Prozent reduziert und die Liefertreue um 25 Prozent verbessert werden. Auf 18 Prozent bezifferte sich die erzielte Effizienzsteigerung aus optimierter Anlagenplanung, Auslastung und Fehlervermeidung.

Durch Erfolg motiviert

Der messbare Erfolg spornte die Verantwortlichen an, den angelegten Kurs weiterzugehen. Aufsetzend auf der BDE-Funksteuerung sollte unter der Bezeichnung IPS 5.0 (Intelligent Plating Surveillance) ein umfassenderes Verfahren den weiteren Weg in die digitale Galvanik ebnen. Das Ziel lautete, über das bloße Dokumentieren aller Abläufe hinaus ein ganzheitliches Verfahrenssystem zu etablieren, das die Veredelung der angelieferten Rohprodukte vom Wareneingang bis zur Rückführung an den Kunden steuert, unter Einbezug von KI (Künstliche Intelligenz)-Methoden lückenlos überwacht und die Ergebnisse für die Kunden jederzeit nachvollziehbar minutiös kontrolliert. Bei der Konzeption von IPS 5.0 in Eigenregie wurde Chris Jentner von seinem Prozessingenieur Marcel Scheidig unterstützt. Für die fachliche Expertise sorgten punktuell extern hinzugenommene Spezialisten für die digitale Transformation und Robotik, Software-Architekten und Web-Entwickler. Bei einem vorgelagerten Retrofit-Projekt wurden die bislang an jedem Bad vorgehaltenen Gleichrichter in zwei Schränken zusammengeführt. Der Umbau erforderte das Verlegen von je sechs Kilometern Kupferkabel und sechs Kilometern LAN-Kabel. Des Weiteren wurden in der Produktionshalle zwei separate Netzwerke aufgebaut, die das RFID-System und die SPS-Steuerung verwalten und verknüpfen.

Geschlossenes Verfahren

Seit Mitte 2020 nun befindet sich IPS 5.0 im Pilotbetrieb. Der Closed Loop beginnt schon mit Empfang der zu veredelnden Ware. Hier wird die komplette Charge einer optischen Eingangsprüfung unterzogen. Dazu wird die Rohware aus dem Tray genommen und zunächst über ein Kamerasystem geführt, das mehrere Fotos erstellt und in eine Microsoft Azure Cloud lädt. „Werden später bei der Qualitätskontrolle am Ende des Veredelungsprozesses Mängel festgestellt, lässt sich so nachvollziehen, ob sie auf Produktionsfehler oder bereits schadhaftes Rohmaterial zurückzuführen sind“, sagt Chris Jentner. Im Rahmen eines Hochschulprojekts werde aktuell daran gearbeitet, hierfür schon bald einen Cobot (Kollaborierender Roboter) einzusetzen. Dieser solle den Mitarbeitenden nicht etwa ersetzen, sondern unterstützen. Im gleichen Arbeitsgang sortiert der Cobot etwa Werkstücke präzise und positionsdokumentiert in das Warengestell. Im Auftrag hinterlegt sind alle Artikel mit ihren Beschichtungsanweisungen. Von den Bädern 1-n übernimmt IPS 5.0 daraus schrittweise und chronologisch den Workflow mit den im Stamm hinterlegten Einstellwerten. Das sind beispielsweise Verweilzeiten, Stromstärken und Spannungen oder die Schaltoptionen für Warenbewegung, Ultraschall und Pumpendurchfluss. Daraufhin durchlaufen die bestückten Gestelle den Prozess, getrackt vom RFID-System. Per Human Machine Interface-Panel (HMI) wird den Galvaniseuren vom System mitgeteilt, welche Tätigkeiten wo durchzuführen sind. Die Rückmeldung erfolgt automatisiert via RFID. Schon bald werden sie ihre Anweisungen per Push-Nachrichten auf einer Smartwatch erhalten, wie Marcel Scheidig durchblicken lässt, „mit besserer Übersicht und vorausschauenden Erinnerungen, was wann konkret zu tun ist. Über die Information, wann ein Gestell fertig prozessiert ist, bis hin zu bevorstehenden Wartungen und Ergänzungen ist der Galvaniseur somit vollumfänglich integriert.“





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