Digitalgesteuerte Handgalvanik

Oberflächen prozesssicher veredeln

Für die Arbeiten an der Infrastruktur wurden mehr als zwölf Kilometer Kabel verlegt und Komponenten per Retrofit vernetzt und teilweise zusammengeführt. (Bild: Jentner Plating Technology GmbH)
Für die Arbeiten an der Infrastruktur wurden mehr als zwölf Kilometer Kabel verlegt und Komponenten per Retrofit vernetzt und teilweise zusammengeführt. (Bild: Jentner Plating Technology GmbH)

Intelligente Qualitätskontrolle

Der komplette Durchlauf – je nach Werkstück sind das durchschnittlich fünf bis zehn Aktivbäder plus Spülungen mit Faktor 3 – wird getrackt und in vordefinierten Messintervallen mithilfe von Algorithmen überwacht. Liegen die im Prozess ermittelten Werte außerhalb vordefinierter Bereiche, führt das zu Alarmen oder Produktionssperren. Am Ende der Prozesskette wird am (Cobot-) Arbeitsplatz die Fertigware abgehängt und vor dem Zurückführen ins Tray wieder über die Kamera geführt. Bei der eingehenden Prüfung beurteilt eine KI-Lösung die Ist- mit den hinterlegten Sollwerten. Entsprechende Trainingsdaten mit annotierten galvanischen Defekten wurden zuvor im Probebetrieb sukzessive über mehrere Monate gesammelt und verfeinert. Bei ermittelten Mängeln wird die Produktion gesperrt. Bei der anschließenden Fehlersuche werden alle im Prozess gesammelten Daten inklusive der erfassten Rohwarenqualität herangezogen, um den konkreten Grund für die Fehlproduktion zu ermitteln. „Die KI muss iterativ lernen, wie Aufbauten, Kratzer oder Dellen aussehen, um sie später überhaupt als Muster erkennen zu können“, erläutert Marcel Scheidig. „Je größer die Datenbasis, desto höher der Automatisierungsgrad und genauer die Erkennung.“ Auch die finale Qualitätskontrolle wird für die Kunden über geschützte Bereiche in der Cloud bereitgestellt. Diese können ihre eigenen Wareneingangskontrollen somit immerhin teilweise einsparen.

Patent bereits angemeldet

Steuerung, Kontrolle, KI-Tracking mit Mustererkennung und Datastreaming-Analytics: Im Ergebnis erzielt IPS 5.0 eine deutlich verbesserte Qualität und macht sämtliche Prozesse von Warenein- bis -ausgang detailliert rückverfolgbar – pro Auftrag und Werkstück, aber auch auftragsunabhängig für jedes einzelne Bad. Den rund 18-monatigen Pilotbetrieb hat C. Jentner im Juli 2021 in den Echtbetrieb überführt. Inklusive Hardware und Programmieraufwand sind bis dahin Kosten in Höhe von einer Million Euro aufgelaufen – das Verfahren wurde bereits zum Patent angemeldet. „Dank IPS 5.0 wissen unsere Kunden zu jeder Zeit genau über jedes gefertigte Teil Bescheid und erhalten zudem automatisch erstellte Werksprüfzeugnisse, die eine hundertprozentig normgerechte Veredelung dokumentieren“, sagt Chris Jentner. „Die Ganzheitlichkeit des Ansatzes mit dem sehr hohen Digitalisierungsgrad macht unser Verfahren mindestens deutschlandweit im Bereich der Lohngalvanik vergleichslos.“

Die Patentanmeldung für das digitalunterstützte Galvanik-Verfahren läuft. (Bild: Jentner Plating Technology GmbH)
Die Patentanmeldung für das digitalunterstützte Galvanik-Verfahren läuft. (Bild: Jentner Plating Technology GmbH)

Neue Kundensegmente in Sicht

Damit IPS 5.0 zweckgemäß funktioniert, ist eine Anlernphase für das Einrichten und Optimieren der KI-Komponenten erforderlich. Mit dieser Rüstzeit erhöht sich auch das Anfangsinvestment für neue Produktionslinien. Auf lange Sicht jedoch und gerade bei Werkstücken, die hohe Präzision mit lückenloser Rückverfolgbarkeit erfordern, ist das Verfahren deutlich günstiger – und ohnehin sicherer. Damit er-schließt die JentnerGroup neue Zielgruppen aus dem Hochtechnologiebereich wie Medizintechnik, Luft- und Raumfahrt und Verteidigung. Neukunden haben aktuell eine besondere Möglichkeit: Derzeit entsteht am zentralen Standort in Pforzheim in einem Neubau zusätzliche Produktionsfläche in einer Größenordnung von 3.600m², das Investitionsvolumen hierfür beläuft sich auf 12 Mio. Euro. „Wer zum Start unserer neuen Produktionslinien im Herbst 2022 mit dabei sein möchte, kann seine individuellen Anforderungen schon in der Bauphase einbringen“, schildert Chris Jentner.

Projekte auf Microsoft-Stack

Bis dahin will er auch eine neue ERP-Software eingeführt haben. Auf eine On-Premise-Lösung folgt Microsoft Dynamics Business Central als Cloud-Applikation – dem Microsoft-Stack im Unternehmen folgend und der einhergehend hohen Standardisierungsrate. Geplant ist außerdem eine mathematische Fertigungsoptimierung. Hierüber lassen sich Fertigungstage in ihre Elemente wie einzelne Bäder, Aufträge, Arbeitsplätze und Mitarbeitende herunterbrechen. Dies ermöglicht zum einen, die Planung flexibler und unabhängig von Personen zu gestalten. Durch die Automatisierung sollen zum anderen die Abläufe schneller, effizienter und sicherer werden. Darüber hinaus verspricht sich Marcel Scheidig von der Fertigungsoptimierung, sprichwörtlich auf Knopfdruck Neuberechnungen bei Ausfällen von Produktionsteilen sowie Simulationen für Neuaufträge erstellen zu können.