Stefan Ulm von Akka Research zur Quantum Flagship Initiative

„Auf dem Weg in die dritte Quantenrevolution“

In der Quantum-Flagship-Initiative der Europäischen Kommission forschen Wissenschaftler und Unternehmen an der Architektur eines europäischen Ionenfallen-Quantencomputers. „Wir befinden uns auf dem Weg in die dritte Quantenrevolution“, meint dazu Stefan Ulm, Projektleiter Embedded Systems Development bei Akka. Der Physiker arbeitet mit seinem Team von Akka Research in zwei Forschungsprojekten der Initiative und meint, dass die Technologie immer näher an kommerzielle Anwendungsfälle rückt.

Forschungsteam der Leopold-Franzens Universität Innsbruck unter Leitung von Senior Scientist Thomas Monz. V.r.n.l: Dr. Philipp Schindler, Dr. Thomas Feldker, Dr. Thomas Monz, Verena Podlesnic, Ivan Pogorelov (Bild: Aqtion-Projekt)
Forschungsteam der Leopold-Franzens Universität Innsbruck unter Leitung von Senior Scientist Thomas Monz. V.r.n.l: Dr. Philipp Schindler, Dr. Thomas Feldker, Dr. Thomas Monz, Verena Podlesnic, Ivan Pogorelov (Bild: Aqtion-Projekt)

Herr Ulm, was genau ist die Quantum Flagship Initiative – und was die dritte Quantenrevolution?

Stefan Ulm: Das Flaggschiff-Projekt, welches im Jahr 2018 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen wurde, unterstützt Forschungsprojekte rund um die Entwicklung eines europäischen Quantencomputers mit einem Budget von einer Milliarde Euro. Dabei sollen innerhalb von fünf Jahren Rechner mit Leistungen von 50 bis 100Qubits entwickelt werden. Auf der Suche nach neuen Lösungen ist die Zusammenarbeit zwischen Forschern, Ingenieuren und Industrie wichtig. Unter der dritten Quantenrevolution versteht man Technologien auf Basis von Quantenmechanik in makroskopischen Systemen, die den Bereich kommerzieller Anwendungen erreichen. Dies betrifft Quanten-Sensorik, -Computer, -Simulation und -Kommunikation. Diese Gebiete werden im EU-Föderprogramm Quantum-Flagship gefördert.

Warum brauchen wir neben den bestehenden Quantencomputern von IBM oder Google noch einen weiteren Quantencomputer?

Ulm: Es gibt zwei aussichtsreiche Systeme für die Realisierung eines Quantencomputers. Zum einen erfolgt die Umsetzung mithilfe von supraleitenden Schaltkreisen, wie sie z.B. von IBM und Google eingesetzt werden. Die supraleitenden Schaltkreise weisen ein Gatter-zu-Kohärenzzeit-Verhältnis auf, also wie viele Rechenoperationen ausgeführt werden können, das 8 bis 1.000-mal kleiner ist als bei dem weiteren aussichtsreichen Ionenfallen-System. Hier erfolgt die Realisierung über gefangene atomare Ionen. Im Rahmen der Quantum-Flagship-Initiative der Europäischen Kommission arbeiten wir mit Forschern der Universität Mainz und Innsbruck an einem vollautomatisierten Ionenfallen-Quantencomputer mit Kalzium-Ionen-Ketten.

Stefan Ulm, Projektleiter Embedded Systems Development bei Akka. (Bild: Aqtion-Projekt)
Stefan Ulm, Projektleiter Embedded Systems Development bei Akka. (Bild: Aqtion-Projekt)

Akka beteiligt sich am Aqtion-Forschungsprojekt. Was ist dessen Ziel?

Ulm: Aqtion steht für Advanced Quantum Computing with Trapped Ions. Das Projekt beteiligt sich an der Suche nach neuen industriell nutzbaren Quantenanwendungen. So soll eine grundlegende skalierbare Architektur für das gesamte Quantencomputersystem entwickelt werden, um entsprechend viele Qubits kontrollieren zu können, sodass auch größere Fragestellungen gelöst werden können. Dazu müssen in allen Bereichen des Quantencomputers skalierbare Komponenten zum Einsatz kommen. Dies betrifft neben der Fallentechnologie und der Optik auch die Steuerungselektronik.

Gibt es schon erste Ergebnisse?

Ulm: Im Laboratorium der Leopold-Franzens Universität Innsbruck konnte kürzlich ein Quantenregister von 55 Ionen aufgezeichnet werden. Das ist ein großer Fortschritt – denn das bedeutet, dass der grundlegende Aufbau funktioniert. Nun arbeiten wir daran, dass die Qubits einzeln und möglichst gut gesteuert werden können.

Wie unterscheidet sich die Entwicklungsarbeit auf diesem Feld von der Konstruktion im Produktionsunternehmen?

Ulm: Für Akka ist die Arbeit an Prototypen-Projekten, die von Grund auf entwickelt werden müssen, nicht neu. So erarbeiteten wir z.B. das Projekt Link&Fly, in welchem wir theoretischen Überlegungen bis hin zu einem 1:13 flugfähigen Prototypen entwickelt haben. Wir setzen uns gerade auch in diesen Entwicklungsprojekten dafür ein, möglichst früh industrielle Standards anzuwenden, um eine bessere Marktreife am Ende der Entwicklung zu erreichen. Der größte Unterschied liegt darin, dass man in diesem Feld auch Ansätze ausprobiert, die ein hohes Risiko tragen, nicht zu funktionieren. Dies liegt daran, dass wir an der Grenze des technisch Machbaren arbeiten. Diese Risiken werden von den Produktionsunternehmen meist nicht eingegangen.

Warum könnte insbesondere die Materialforschung von Quantum Computing profitieren?

Ulm: Die Modellierung von Materialeigenschaften und chemischen Reaktionen in einem Quantencomputer könnte es ermöglichen, jahrelange Entwicklungsarbeit und Millionen an Euro zu sparen. Wenn die Auswahl bereits im Vorfeld durch präzise Berechnungen der Eigenschaften mit Hilfe eines Quantencomputers auf die richtigen Verbindungen eingeschränkt werden kann, könnte man die Menge an benötigten Materialien, die im Labor charakterisiert werden müssen, auf eine Handvoll reduzieren. Dies könnte bei der Entwicklung von stärkeren Polymeren für die Luftfahrtindustrie, von effizienteren Batteriekomponenten für Fahrzeuge und von wirkungsvolleren Materialien für Solarzellen Anwendung finden.

Was hat das Engineeringunternehmen Akka bewogen, in die Forschungsarbeit einzusteigen – und welchen Nutzen versprechen Sie sich über das Vorhaben hinaus von dem Engagement?

Ulm: Als Entwicklungsdienstleister ist Forschung und Innovation Teil unserer DNA. So arbeiten wir oftmals mit Forschungsinstitutionen und Universitäten an neuen Projekten – z.B. in unserer internen Konzernforschungsabteilung Akka Research. Ein solches Beispiel liegt auch hier vor: Der Einstieg hat sich aus der Weiterführung meiner Promotionsarbeit und Akkas ‚Passion for Technology‘-Initiative ergeben. Darauf aufbauend, haben wir unterschiedliche Projekte umgesetzt, bis hin nun zum Aqtion-Projekt. So schaffen wir von Anfang an eine enge Verbindung zwischen Forschung und industriellen Anwendungsfällen. Im vorliegenden Projekt entwickeln wir z.B. Kontrollelektronik mit sehr speziellen Leistungsmerkmalen, die wir auch zur Lösung von Aufgaben in anderen Projekten einsetzen können.

Welchen Nutzen verspricht Quantum Computing der Fertigungsindustrie – und wann?

Ulm: In speziellen Fällen, wie z.B. der Bestimmung von Energieniveaus in Lithiumverbindungen, wie sie in Batterien für Elektrofahrzeugen verwendet werden, können bereits mit den heute verfügbaren Systemen in gleicher Zeit genauere Ergebnisse erzielt werden, als dies in klassischen Computern der Fall ist. Die gesamte Quantencomputing-Gemeinschaft arbeitet nun daran, diese Fähigkeiten auf allgemeinere Probleme auszuweiten. In einigen Jahren können wir dann auch Probleme lösen, die klassische Rechner nicht mehr bewerkstelligen können. Der Nutzen erstreckt sich dann über viele Themen. Dazu gehören die Optimierung von Logistik-Prozessen, die Unterstützung des Machine-Learnings, bis hin zur Materialforschung.

Wie finden Produzenten heraus, ob sie eigene Ressourcen in das Forschungsfeld Quantenrechner investieren sollten?

Ulm: Dazu gibt es inzwischen mehrere Möglichkeiten. So können Sie entweder selbst auf kleineren Systemen, wie der IBM Quantum Experience-Cloud, Berechnungen auf einem Quantencomputer durchführen, um so eine eigene Einschätzung der Möglichkeiten zu erhalten. Die Fachliteratur zeigt inzwischen auch viele Anwendungsfälle auf, die Orientierung bieten. Oder Sie treten mit einer der Gruppen, die an der Entwicklung von Quantencomputern arbeiten, in Kontakt, um mit erfahrenen Entwicklern und Forschern ihre Problemstellungen zu diskutieren und dabei zu ermitteln, ob ihnen ein Quantencomputer bei der Lösung ihrer Fragen helfen kann. (ppr)

Quantenregister von 55 Ionen im Labor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Bild: Aqtion-Projekt)
Quantenregister von 55 Ionen im Labor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Bild: Aqtion-Projekt)