Mit Augmented Reality gegen den Fachkräftemangel

Learning by Doing in Echtzeit

Auslagern oder weiterbilden

Dabei gibt es unterschiedliche Strategien, sich dem Problem zu nähern. Ein Gedanke ist etwa, ältere Arbeitnehmer, soweit ihre Gesundheit es zulässt, länger zu beschäftigen – bis 2022 werden bereits 26 Prozent der Industriearbeiter älter als 55 Jahre sein. Zweitens können Industrieunternehmen ihren Fachkräftepool auffüllen, indem sie auf Drittanbieter zurückgreifen, also etwa Wartungsaufträge an andere Unternehmen vergeben. Die dritte Möglichkeit ist letztendlich die Qualifizierung der eigenen Mitarbeiter. Der Haken dabei: Tradierte Lehr- und Lernmethoden sind oft zeitaufwendig und ineffizient – letzteres, weil in klassischen Präsenzkursen oder mit Hilfe von Handbüchern oder E-Learning-Modulen erworbenes Wissen schnell wieder vergessen wird.

Schneller mit AR-Lösungen

An dieser Stelle setzen AR-Lösungen an. Damit lassen sich Anweisungen erstellen, mit deren Hilfe Mitarbeiter ihre Aufgaben schneller erledigen können. Mit der entsprechenden Software und dem passenden AR/MR Headset verursacht die Erstellung solcher Arbeitsanweisungen vergleichsweise wenig Aufwand. Fachleute können Abläufe Schritt für Schritt festhalten und dann als Lernressource zur Verfügung stellen. Die Anwender verwenden z.B. Head Mounted Tablets, Smartphones oder weitere spezielle AR-Wearables, um digitale Informationen mit der physischen Welt zu koppeln. Das ermöglicht die freihändige und dreidimensionale Interaktion. Das Besondere daran: die Schulung findet während der zu verrichtenden Tätigkeit statt.

Anweisungen erstellen

Durch Erstellung AR-basierter Arbeitsanweisungen im Vuforia Studio von PTC und deren Bereitstellung über Microsoft HoloLens-Brillen konnte beispielsweise der britische Konzern BAE Systems seinen Fachkräftemangel besser unter Kontrolle bekommen. Möglich wurde das durch eine Effizienzsteigerung von bis zu 30 Prozent bei der Schulung neuer Mitarbeiter und bis zu 50 Prozent bei der Montage von Akkus. GSI, ein Anbieter industrieller Agrarlösungen, wollte den Zeitaufwand für Bedienungs- und Wartungsschulungen reduzieren und meldete nach der Implementierung von Vuforia Studio eine Verkürzung der Schulungszeiten um 60 Prozent. Ein weiterer Vorteil von AR-Anwendungen liegt in der Handhabung. Mit den entsprechenden Tools können Fachleute Inhalte schnell erstellen und weiterentwickeln, selbst wenn sie keine oder nur wenig Programmiererfahrung haben. Anstatt ihr Wissen in einer Schulung oder einem Handbuch weiterzuerzählen, können sie Fachkräften in Fertigung oder Wartung direkten Zugriff auf dieses Wissen verschaffen. Auch neue Mitarbeiter können so schneller im Außendienst eingesetzt werden, das Risiko von Fehlern wird reduziert.

Entlasten und verbessern

AR-Lösungen bieten eine Hilfestellung gegen den Fachkräftemangel in der Industrie. Mit Apps zur Remote-Unterstützung werden Fachleute nicht nur während ihres aktiven Arbeitslebens entlastet. Wenn sie das Rentenalter erreichen, bleibt ihr Wissen dem Unternehmen zugänglich. Ebenso lässt sich das Potenzial vorhandener Arbeitskräfte mit Mixed-Reality-Handbüchern maximieren, ohne ihre Arbeitsbelastung zu erhöhen. Externe Mitarbeiter wiederum können vom Fachwissen erfahrenerer Kollegen profitieren und ihre Aufgaben schneller und besser erfüllen.

Die neurowissenschaftlichen Grundlagen hinter der Technik: Warum wir mit AR schneller und nachhaltiger lernen

‚Learning by Doing‘ gilt als besonders nachhaltiger Ansatz des Wissenserwerbs. Was in die Praxis umgesetzt wird, bleibt besser im Gedächtnis. Aber warum ist das so? Traditionelle Ansätze arbeiten mit Lehrbüchern, modernere mit Videos oder Lernsoftware. Aus Sicht der Lernforschung ist das ineffizient. Die Verarbeitungssysteme im präfrontalen Cortex werden dabei stark beansprucht; das von vielen schon zu Schulzeiten gefürchtete Auswendiglernen stellt hohe Anforderungen an Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Zudem ist der Lernprozess zeitlich wie örtlich vom Anwendungsfall abgekoppelt.Informationen müssen im Langzeitgedächtnis gespeichert und daraus abgerufen werden. Die für Verhaltenskompetenz zuständigen Lernsysteme im Gehirn, die beim praktischen Lernen während der Ausführung einer Aufgabe aktiv sind, werden dabei allerdings nicht angesprochen. Wird Wissen hingegen zu der Zeit und an dem Ort bereitgestellt, an dem es zum Einsatz kommt, sind auch diese Lernsysteme aktiv. Genau das leisten Augmented-Reality-basierte Lernmittel. Fachwissen steht zur Verfügung, während die Aufgabe physisch ausgeführt wird. Der Abruf zuvor erlernter Informationen entfällt, Anleitungen werden als Texte oder Grafiken über eine 3D-Brille im Blickfeld dargestellt. Das entlastet das Gedächtnis und trainiert zugleich Anwendungskompetenzen. Wissen ist schneller verfügbar, bleibt besser im Gedächtnis verankert und ist in vergleichbaren Situationen leichter abrufbar – ohne langes Nachschlagen in Handbüchern. AR ermöglicht quasi Learning by Doing in Echtzeit.