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Produktivität und Flexibilität in Zielharmonie

Kommt das Cyber-physische Matrixproduktionssystem?

In Zeiten von Krisen und Volatilität werden Lösungen gesucht, um Probleme wie Lieferengpässe und kurzfristige Änderungen besser abfedern zu können. Cyber-physische Matrixproduktionssysteme könnten die Anpassungsfähigkeit der wirtschaftlichen Produktion bei gleichzeitig hoher Produktivität steigern. Grund genug, ihre Potenziale genauer zu beleuchten.

Zeitliche Einordnung der industriellen Revolutionen und die Entwicklung der flexiblen Fertigung (Bild: Acatech - Dt. Akademie der Technikwissenschaften)

Zeitliche Einordnung der industriellen Revolutionen und die Entwicklung der flexiblen Fertigung (Bild: Acatech – Dt. Akademie der Technikwissenschaften)

Bei der Produktion am klassischen Fließband sind Anpassungen an kurzfristige Änderungen der Nachfrage kaum möglich, da das System wenig flexibel ist. Auch die Anpassung an individuelle Kundenwünsche ist selten möglich. In der Expertise zur ‚Umsetzung von Cyber-physischen Matrixproduktionssystemen‘ haben Forschende des Fraunhofer IWU und IPA (Herausgeber Forschungsbeirat Industrie 4.0 / Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) gemeinsam die Potenziale und den Status quo von Matrixproduktionssystemen herausgearbeitet. Unter anderem schlussfolgern sie, dass durch den Einsatz von Matrixproduktionssystemen in Zukunft eine wirtschaftliche und flexible Produktion möglich sein wird. Mit ihnen können Unternehmen verschiedene Produktvarianten und skalierbare Stückzahlen produzieren. Der Begriff Matrix stammt ursprünglich aus der Mathematik und beschreibt eine rechteckige Anordnung von Elementen in Zeilen und Spalten. Produktionstechniker verstehen unter einer Matrix eine schachbrettförmige Anordnung von Prozessmodulen, die frei anfahrbar, logistisch individuell beplanbar und über einen flexiblen Materialfluss verbunden sind. Matrixproduktionssysteme sind außerdem informationstechnisch vernetzt, um schnell auf Änderungen reagieren zu können. In einem Matrixproduktionssystem können im Rahmen einer Rekonfiguration neue Prozessmodule ergänzt oder entfernt werden, wenn sich etwa Stückzahlen ändern oder neue Produktvarianten hinzukommen.

Komplex, aber erfolgreich

Bisher sind Cyber-physische Matrixproduktionssysteme noch wenig verbreitet. Die Automobilindustrie, Elektronik- und Halbleiterindustrie sowie manche Zulieferer setzen Matrixproduktionssysteme bereits ein. Die Beispiele in der Studie zeigen, dass sich bei der Umstellung auf ein Matrixproduktionssystem Verbesserungen zum bestehenden Produktionssystem erreichen lassen. Die Expertise zeigt überdies, dass es bereits technologische Lösungen auf dem Markt gibt, um Matrixproduktionssysteme umzusetzen. Allerdings sind dies oft Einzellösungen, die aufwendig in ein Gesamtsystem integriert werden müssen. Die Planung eines Matrixproduktionssystems ist herausfordernd. Am Fraunhofer IPA wurden daher prozessorientierte Methoden entwickelt, um Matrixproduktionssysteme zu planen.

Von Heuristik bis KI

Die Steuerung von Cyber-physischen Matrixproduktionssystemen kann manuell oder hochautomatisiert erfolgen. Geeignet hierfür sind auch selbstlernende Steuerungssysteme, die in Echtzeit auf Veränderungen im System reagieren können. Dadurch können neben der schnellen Reaktion auf Veränderungen auch logistische Zielgrößen wie Durchlaufzeit oder Termintreue optimiert werden. Die Materialbereitstellung macht effiziente Produktionssysteme erst möglich und trägt wesentlich zum Erfolg von Matrixproduktionssystemen bei. In einem Matrixproduktionssystem wird beispielsweise nicht im Voraus festgelegt, welchen Weg ein Produkt durch die Produktion nimmt. Folglich sind auch die Materialbedarfe je Prozessmodul nicht genau bekannt. Daher entstehen am Institut gerade Planungsvorgehen, die mit Simulationen und Auswahlalgorithmen arbeiten, um die kostenoptimierte Materialbereitstellungsstrategie zu wählen.

Großes Potenzial

Matrixproduktionssysteme bieten große Chancen. Im Allgemein eignet sich der Einsatz von Matrixproduktionssystemen in nahezu allen Branchen. Grundsätzlich liegt das Potenzial von Matrixproduktionssystemen überall dort, wo eine hohe Flexibilität bei gleichzeitig hoher Produktivität benötigt wird. Mit einem Matrixproduktionssystem kann den Anforderungen des Marktes, wie etwa einer steigenden Variantenvielfalt und schlecht prognostizierbaren Kundenbedarfen, erfolgreich begegnet werden.

Strategische Unternehmensziele durch Matrixproduktion (Bild: Acatech - Dt. Akademie der Technikwissenschaften)

Strategische Unternehmensziele durch Matrixproduktion (Bild: Acatech – Dt. Akademie der Technikwissenschaften)


Thomas Bauernhansl zur Matrixproduktion

„Maschinenbauer können ihre Fähigkeiten umfassend nutzen“

Es gibt die ’software-geprägten‘ und die ‚hardware-geprägten‘ Felder. Dass ein Anbieter alle Felder und damit verbundenen Technologien zufriedenstellend ausgereift anbieten kann, sehen wir als herausfordernd an.

Professor Thomas Bauernhansl ist Mitglied des Forschungsbeirats Industrie 4.0 und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF der Universität Stuttgart. (Bild: Fraunhofer IPA)

Professor Thomas Bauernhansl ist Mitglied des Forschungsbeirats Industrie 4.0 und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF der Universität Stuttgart. (Bild: Fraunhofer IPA)

Kein Anbieter bietet Matrixproduktionssysteme ‘aus einer Hand’, heißt es in einer Acatech-Veröffentlichung. Woran fehlt es?
Es gibt die ‘software-geprägten’ und die ‘hardware-geprägten’ Felder. Dass ein Anbieter alle Felder und damit verbundenen Technologien zufriedenstellend ausgereift anbieten kann, sehen wir als herausfordernd an. Andernfalls müsste ein Anlagenbauer für Lasermaschinen sich auch mit fahrerlosen Transportsystemen, Fabrik-Energiemanagement, Auftragssteuerung und so weiter beschäftigen. Wichtiger ist es, dass wir Standards etablieren, damit modulare Lösungen verschiedener Anbieter zu einer Gesamtlösung ggf. dann auch von einem Integrator zusammengesetzt werden können und das mit geringem Implementierungsaufwand.

Was rückt jetzt auf die Agenda?
Um zum Beispiel Digitalisierungslösungen mit ihrem ganzen Potenzial zu nutzen, ist eine durchgehende Vernetzung auf Basis einer durchdachten Daten-Governance – Stichwort digitaler Schatten und digitaler Zwilling – notwendig. Hier wird zukünftig der Standard der sogenannten Verwaltungsschale enorm helfen. Das ermöglicht autonome, also KI-basierte Entscheidungen, echtzeitnahe Bereitstellung von Informationen an den Menschen und eine Optimierung des operativen Betriebs. Zudem stehen wir aus meiner Sicht vor einer Renaissance der Hardware. Wandlungsfähige Hardwaremodule als Teil Cyberphysischer Produktionssysteme sind eine sehr anspruchsvolles und innovationsträchtiges Thema. Deutsche Maschinenbauer können hier ihre Fähigkeiten umfassend nutzen und neue Anwendungsfelder erschließen. In beiden Feldern ist das kooperative Entwickeln von Standards ein wesentlicher Enabler. Außerdem muss betrachtet werden, wie wir auch KMU stärker in diese Lösungen als Anwender und Anbieter einbinden. Dies birgt Vorteile für alle Parteien.


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