Startpunkt für die werksnahe Digitalstrategie

Hybride Architekturen in der Fertigung

Wollen IT-Leiter ihr Unternehmen fit für die Cloud machen, kann das auf Werksebene für Frust sorgen. Denn häufig wurde zuletzt viel in die Implementierung eines On-Premise-MES investiert. Das soll jetzt schon wieder veraltet sein? Nein, eine hybride Architektur in der Fertigung bietet Zugang zu Cloudinnovationen und den Startpunkt für eine langfristige Strategie.

(Bild: Trebing & Himstedt Prozeßautomation)
(Bild: Trebing & Himstedt Prozeßautomation)

Wer sich in den letzten Jahren ein zentrales MES aufgebaut hat und damit viele der historisch gewachsenen Strukturen ablösen konnte, hat dafür sicherlich viel Zeit und Geld investiert und vermutlich auch Anerkennung geerntet. Dennoch entwickeln sich die Anforderungen an die Fertigung rasant weiter. Gefragt sind etwa:

  • kürzere Durchlaufzeiten,
  • weniger Ausschuss,
  • weniger Stillstände,
  • mehr Transparenz durch OEE und über Werke hinweg,
  • Nutzung von Shop-Floor-Daten für höheren Output,
  • höhere Varianz bis zur Losgröße 1,
  • Nachhaltigkeit.

Auf die Frage, wie diese Ziele in Zukunft erreicht werden sollen, spielen die führenden Beratungshäuser und Softwareanbieter dieselbe Melodie: Es geht nicht ohne Cloud!

Außerhalb des Horizonts

Aber woran liegt das? In vielen produzierenden Unternehmen wurden die Grenzen des Möglichen im Bereich der linearen Effizienzsteigerung so gut wie ausgeschöpft. An allen offensichtlichen Stellschrauben wurde bereits so lange gedreht, dass weitere Verbesserungen kaum möglich scheinen. Um die nächste Stufe der Effizienz erreichen zu können, braucht es fortgeschrittene Technologien wie Machine Learning und Analytics-Werkzeuge, die Potenzial aufdecken können, das Menschen schlicht nicht mehr erkennen. Spezialisten meinen, so eine bis zu 70 Prozent höhere Effizienz erzielen zu können. Große Anbieter von Business-Applikationen fahren die Strategie, ihre Innovationen zuerst in ihren Cloud-Produkten verfügbar zu machen. Erst im Nachhinein – wenn überhaupt – werden sie in ihrem On-Premise-Pendant implementiert. Für den vollen Funktionsumfang der großen Softwarepakete führt also kaum ein Weg an der Integration von Cloud-Technologie vorbei. Müssen deswegen alle Bestandssysteme abgelöst werden? Nein, nicht mit einer passenden und langfristig ausgerichteten Cloud-Strategie. Da ein vollständiger Cloud-Betrieb auf werksebene ohnehin meist nicht praktikabel ist, bietet sich häufig eine hybriden Architektur als Grundlage an, um die MES-Ebene um Cloud-Services zu ergänzen.

Hybride Architektur

Eine Hybrid Cloud bedeutet, dass ein Unternehmen einen Teil seiner IT-Ressourcen On-Premise, also lokal betreibt, während ein anderer Teil in der Cloud läuft. Alle Anwender von Office 365 haben demnach bereits Erfahrung mit einer hybriden Architektur. Im Bereich der Manufacturing Execution Systems heißt hybrid meist, den operativen Teil On-Premise zu belassen, aber Analyse- und Optimierungslösungen in der Cloud zu betreiben.

Einfacher Einstieg möglich

Um Experimente mit produktionskritischen System zu vermeiden, sollte an einer geeigneten Linie mit einem Proof of Concept gestartet werden. So lassen sich schnell Erfahrungen sammeln und erste Verbesserungen erzielen. Ein Ökosystem aus starken und agilen Partnern kann bei solchen Vorhaben helfen, schnelle und erfolgreiche Projekte umzusetzen. Ein gutes Beispiel ist die Anwendung, die End-of-Line-Qualitätskontrolle mit künstlicher Intelligenz zuverlässiger und effizienter zu gestalten. Dafür wurde der Produktionsablauf selbst nicht verändert, sondern lediglich der End-of-Line-Test mit Cloud-Diensten unterstützt. Der Prüfer nutzt spezialisierte Sensorik, um Vibrations- und Geräuschdaten vom Prüfplatz einzufangen und in Bilddaten umzuwandeln. Diese Daten werden zunächst vom MES empfangen und per IoT-Gateway in die Cloud hochgeladen, wo die Daten gesammelt werden (Data Lake). Ein Machine Learning Service aus der Google Cloud greift zyklisch auf diese Daten zu und trainiert damit ein Predictive-Quality-Modell. Dieses Modell wird nach jedem Trainingslauf auf eine Edge-Applikation nah am Shop Floor zur Verfügung gestellt. Einem Prüfer wird nun in Echtzeit eine Entscheidung für OK oder Nicht-OK geliefert.

Zukunftsfähige Infrastruktur

Der Vorteil der geschilderten Herangehensweise ist einmal die Geschwindigkeit, mit der die erste Linie technologisch aufgerütet und somit eine Blaupause für die weiteren Linie erstellt wurde. Des Weiteren können die Spezialisten im Unternehmen einmal erworbenes Wissen für weitere Innovationen im gesamten Unternehmen nutzen. So gesehen ist eine hybride Architektur im Werk ein ausgezeichneter Startpunkt, um erst einige Cloud Services auszurollen und auf Basis gesammelter Erfahrungsschatz eine langfristige Smart-Factory-Strategie aufzusetzen.