CO2-Fußabdruck: wissen statt schätzen

Greenwashing die Basis entziehen

Wie können oft verwässerte ESG-Berichte der Vergangenheit angehören? Während sich auf politischer Ebene in puncto nachhaltiges Wirtschaften einiges bewegt, kann insbesondere die technologische Seite einen Beitrag zu einer transparenteren Produktion leisten. Den Grundgedanken der Industrie 4.0 zu implementieren, ist dabei ein wichtiger Schritt.

 (Bild: Fraunhofer IESE)
(Bild: Fraunhofer IESE)

Kaum ist nachhaltiges Wirtschaften auf dem politischen Parkett angekommen, folgt ein Bericht über einen erneuten Greenwashing-Skandal dem nächsten. Bereits zu Beginn dieses Jahres kam eine Studie vom NewClimate Institute und Carbon Market Watch zum Ergebnis: Lediglich eines der 25 untersuchten größten Unternehmen weltweit erfüllt sein Klimaversprechen. Bei allen anderen wurde der jeweiligen Netto-Null-Zusage der Firmen eine unzureichende Integrität bescheinigt. Anstelle der Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase um 100 Prozent senken die Firmen ihren Emissionsausstoß oft nur um einen Bruchteil dessen. Woran liegt es, dass Greenwashing unzählige ESG-Berichte derart verwässert? Die Gründe dafür sind vielseitig und lassen sich im Rahmen dieses Beitrages nicht vollständig ausführen. Was aber grundsätzlich auffällt, ist die Schwierigkeit vieler Unternehmen, die von ihnen und ihren Zulieferern erzeugten Treibhausgasemissionen korrekt anzugeben.

Unrealistische Schätzungen

Das Gros der Firmen orientiert sich bei dieser Angabe am Greenhouse Gas Protocol (kurz: GHG Protocol). Dieses gliedert Treibhausgasemissionen in drei verschiedene Kategorien, die sogenannten Scopes: Nummer 1 für Direktemissionen aus Quellen, die einem Unternehmen selbst gehören; Nummer 2 für Emissionen von Anlagen, die Strom erzeugen, den ein Unternehmen nutzt; und Nummer 3 für Emissionen aus vor- und nachgelagerten Tätigkeiten innerhalb der Lieferkette. Während die Angabe der Scope-1-Emissionen vielen Unternehmen noch verhältnismäßig leicht fällt, haben sie bei Nummer 2 und 3 oft erhebliche Probleme. Ihnen fehlt die Grundlage, um die anfallenden Emissionen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg adäquat schätzen zu können. In Folge geben die Firmen mitunter völlig unrealistische Daten an, die das NewClimate Institute zurecht bemängelt.

Daten statt Schätzungen

Wie können Unternehmen ein angemessen faktenbasiertes ESG-Reporting erstellen, um sich so gar nicht erst auf den Pfad des Greenwashings zu begeben? Ziel der vierten industriellen Revolution ist, eine individuelle Produktherstellung zu den Konditionen eines Massenprodukts zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer vernetzten Produktionsumgebung, die Maschinen intelligent miteinander verbindet.

 (Bild: Fraunhofer IESE)
(Bild: Fraunhofer IESE)

Middleware BaSyx

Um das den Unternehmen verhältnismäßig kostengünstig zu ermöglichen, haben wir vom Fraunhofer IESE gemeinsam mit weiteren Partnern die Industrie-4.0-Middleware BaSyx entwickelt. Sie steht Firmen Open Source zur Verfügung und ist wie eine Art Baukasten konzipiert, aus dem sich Komponenten für Anwendungsfälle beziehen lassen. Dazu zählt auch das Prinzip der Verwaltungsschalen. Dabei handelt es sich um standardisierte digitale Zwillinge, die in einer einheitlichen Struktur aufgebaut sind. Jede Verwaltungsschale enthält Teilmodelle, die sowohl den Zustand eines realen Assets abbilden als auch bei Bedarf Live-Daten zur Verfügung stellen. Die Verwaltungsschale beinhaltet sämtliche Daten über die Eigenschaften eines Produkts sowie dessen Fertigungshistorie und kann diese mithilfe von Algorithmen verarbeiten. Zurück zur Greenwashing-Problematik: Das Prinzip der Verwaltungsschalen sieht auch das sogenannte CO2-Teilmodell vor. Dieses dokumentiert herstellerübergreifend den CO2-Fußabdruck der eigenen Produktionsschritte, aber auch den Fußabdruck von den Produktionsschritten aller Zulieferer und ermöglicht damit eine Dokumentation entlang der gesamten Lieferkette eines Produkts. Damit lässt sich nachvollziehen, wie viel CO2 bei der Herstellung eines Produkts angefallen ist. Groben Schätzfehlern, wie sie derzeit in vielen ESG-Berichten noch gang und gäbe sind, ließe sich so die Basis entziehen.

Regionale Wertschöpfung

Doch eine vernetzte Fertigungsumgebung hilft den Unternehmen nicht nur dabei, die Dokumentation ihrer Treibhausgas-Produktion transparenter zu gestalten. Auch bei den Emissionen in Folge eines hohen Energieverbrauchs trägt Industrie 4.0 zur Optimierung bei – beispielsweise erneut mithilfe der BaSyx-Middleware. Denn: Weiß ein Unternehmen mit deren Hilfe genau über den Einsatz der Maschinen und deren Stillstandzeiten Bescheid, können die Leerläufe gezielt beseitigt, Abläufe umgeplant und somit Ressourcen geschont werden. Das Stichwort ‚bewusster Ressourceneinsatz‘ führt mich schließlich zum wohl grundlegendsten Faktor, wie die vierte industrielle Revolution nachhaltiges Wirtschaften und sauberes ESG-Reporting ermöglichen kann: dem Fokus auf regionale Wertschöpfungsketten. Wie eingangs geschildert, gilt eine effiziente Herstellung von individuellen Produkten zu den Grundgedanken der Industrie 4.0.

Dienstbasierte Fertigung

Mit einer dienstbasierten Fertigung wäre grundsätzlich möglich, wieder mehr Produkte innerhalb des eigenen Landes zu wettbewerbsfähigen Konditionen herzustellen – und somit viele lange und oft umweltschädliche Transportwege entfallen zu lassen. Gerade im Hinblick auf die durch die Corona-Pandemie in vielen Branchen ausgelösten Lieferschwierigkeiten kommt diesem Kriterium nochmals eine wichtigere Bedeutung zu. Natürlich ist Industrie 4.0 kein generelles Allheilmittel gegen Greenwashing und es gilt noch viele weitere Faktoren aus der Welt zu schaffen, die den grünen Anstrich von Produkten begünstigen. Auch muss klar gesagt werden, dass individualisierte Waren nicht für jede Branche und jedes Unternehmen gleichermaßen attraktiv sind. Unabhängig davon kann die vierte industrielle Revolution aber als ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Greenwashing betrachtet werden.







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