Flexibilität statt Fließband

Technologiewende bei der Automobilproduktion?

Seit rund 100 Jahren steht die Automobilindustrie wie keine andere für die Fabrikarbeit am Fließband. Doch jetzt deutet sich eine Technologiewende an. Künftig könnten Fahrerlose Transportfahrzeuge Karosserien, Material und ganze Fahrzeuge durch die Fabrik bewegen. In mehreren Modellfabriken fahren die Automaten bereits durchs Werk.

Eine PKW-Karosse wird auf einem Vision E - FTF von DPM in eine Roboterzelle eingefahren (Bild: Mercedes-Benz AG)
Eine PKW-Karosse wird auf einem Vision E – FTF von DPM in eine Roboterzelle eingefahren (Bild: Mercedes-Benz AG)

Mehrere Automobilhersteller erproben zurzeit die Automobilproduktion der Zukunft in nagelneuen Fabrikhallen, die voll innovativer Technologie stecken. Am meisten Aufmerksamkeit erfährt wohl die Factory 56 von Mercedes-Benz in Sindelfingen, die im September 2020 eingeweiht wurde. In verschiedenen Bereichen, die Mercedes TecLines nennt, übernehmen Fahrerlose Transportsysteme (FTS) den Materialtransport. Zu den Lieferanten zählt das Unternehmen Daum + Partner Maschinenbau aus Aichstetten.

Karosserie auf Rädern

Für die intralogistischen Prozesse der Autobauer haben die Spezialisten eigens FTF-Konzepte entwickelt. Den Karosserietransport von einer Montagestation zur nächsten können die FTF vom Typ ‚Vision E‘ übernehmen, die sich schnell an andere Pkw-Modelle adaptieren lassen: Dazu muss nur die Lastaufnahme versetzt werden. So kann der Automobilhersteller flexibel auf sich verändernde Anforderungen in der Produktion reagieren, ohne die Hardware der Fördertechnik verändern zu müssen. Der Vision E transportiert bis zu drei Tonnen schwere Lasten und verfährt im Montageprozess mit typischen Geschwindigkeiten von 0,7 bis 20m pro Minute. Bei Bedarf kann er aber auch ein Tempo von bis zu 90m pro Minute erreichen.

Vormontage angebunden

Auch in der PKW-Vormontage übernehmen FTF zunehmend den Transport von größeren Baugruppen – etwa den von Integralträgern. Die Fahrzeuge können hier mit speziell dafür angefertigten Werkstückträgern ausgestattet werden, die den Werkern eine ergonomische Montage der Anbauteile erlauben. In einer der Modellfabriken sind bei der Cockpitvormontage die bisher kleinsten Unterfahrschlepper unterwegs, die DPM bislang gebaut hat. Bei Abmessungen von 1.700 x 500 x 322mm beträgt ihr Eigengewicht nur 256 Kilogramm. Der Schlepper befördert hier einen Trolley, auf dem das komplexe Cockpit befestigt ist und stationsweise im Takt- oder Fließbetrieb von Werkern komplettiert wird. Am Ende des Prozesses wird das fertige Cockpit mit Hilfe von Handlinggeräten aus der Vorrichtung entnommen und ins Fahrzeug eingesetzt.

Die Karosse wird aufgesetzt. (Bild: Mercedes-Benz AG)
Die Karosse wird aufgesetzt. (Bild: Mercedes-Benz AG)

FTF-Mischbetrieb mit Fließ- und Taktmontage

In der Praxis können die FTF im Mischbetrieb fahren, das heißt Fließ- und Taktmontage erfolgen abwechselnd. Montagearbeiten sind auch im Fließbetrieb vor dem Fahrzeug möglich. Dementsprechend lassen sich die Fahrzeuge an die Anforderungen des jeweiligen Streckenabschnitts anpassen: Sie fahren langsam im Fluss, halten für bestimmte Montagezwecke an und beschleunigen auf Schnellfahrwegen. Die Werkstücke sind sowohl bei den Vormontage-FTF als auch beim Karosserietransport von allen Seiten zugänglich. Die selbstfahrenden Transporter können für Montagearbeiten am Komplettfahrzeug auch als Plattformfahrzeuge ausgeführt werden, auf denen die Werker mitfahren können.

Ortung und Energie

Die Informationen über die aktuelle Position der FTF werden anhand von DMC-Codes und der Fahrzeuggeschwindigkeit vom Leitsystem errechnet und entsprechende Befehle an die FTF ausgegeben. Sicherheits-Laserscanner, die das Umfeld abtasten, sorgen für die Personensicherheit. Die Batterien laden während der Ruhe- und Montagezeiten über Kontaktplatten am Boden.

Zielbild Flexibilität

Die Automobilhersteller haben das Ziel deutlich flexibilisierter Fabriken ausgegeben. In diesen Konzepten dürften FTS eine zentrale Rolle einnehmen. Im Vergleich zum Fließband ist die Umstellung der Transportroboter auf andere Modelle mit deutlich weniger Aufwand verbunden. Die Umrüstung wird künftig vor allem zu einer Frage der Programmierung werden, bei fast unveränderter Hardware. Ein greifbares Beispiel für die digitale Transformation.