MES und digitaler Zwilling im Zusammenspiel

Besser planen in der Krise

In Krisenzeiten können kurzfristige Produktionsverlagerungen Gold wert sein. Doch wie lässt sich das überhaupt realisieren? Ein digitaler Zwilling kann bei der Planung unterstützen – gefüttert mit den Daten aus dem Manufacturing Execution System.

 (Bild: ©industrieblick/stock.adobe.com)
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In Zeiten kriegs- oder pandemiebedingter Produktionsausfälle und gestörter Lieferketten ist die Fähigkeit kurzfristig mit Produktionsverlagerungen reagieren zu können erfolgskritisch. Doch sind diese überhaupt kapazitiv und fertigungstechnisch möglich? Bei der Entscheidung können Manufacturing Execution Systeme und der digitale Zwilling helfen. Ein Szenario: Ein ­Unternehmen betriebt mehrere Produktionsstandorte mit vergleichbaren fertigungstechnischen Fähigkeiten. Eine Verlagerung ist somit technisch möglich. Warum reicht eine MES- oder ein APS-Software (Advanced Planning and Scheduling-System) in dieser Situation allein nicht aus? Oft arbeiten diese Systeme mit Planwerten für Bearbeitungs- und Rüstzeiten und helfen damit, wenn überhaupt, bei der kapazitiven Machbarkeitsprüfung. Eine technologische Prüfung unterstützen sie dagegen oft gar nicht oder nur rudimentär. Ein digitaler Zwilling der Fertigungssysteme kann hier einerseits die Aussagequalität der Planzeiten verbessern und darüber hinaus die technischen Eigenschaften des Fertigungssystems liefern. In Kombinaten mit dem digitalen Zwilling des herzustellenden Produkts, steigt sowohl die kapazitive als auch die fertigungstechnische Planqualität.

Drei Arten

Digitale Zwillinge repräsentieren Assets in der Produktion entlang deren gesamten Lebenszyklus. So können digitale Abbildungen von Komponenten, Produkten, Prozessen und kompletten Systemen (wie z.B. Produktionslinien und Anlagen) entstehen. Grundsätzlich lassen sich datengetriebene von steuerungs- und simulationsgetriebenen digitalen Zwillingen unterscheiden. Mithilfe datengetriebener digitaler Zwillinge können Messwerte aus der realen in die virtuelle Welt übertragen werden. Dadurch werden Merkmale einer Anlage standardisiert abgebildet und softwareseitig lesbar gemacht. Dagegen können mithilfe steuerungsgetriebener digitaler ­Zwillinge IST-Daten bewertet und auf dieser Grundlage schnell auf kritische Situationen reagiert und in die Produktion aktiv eingegriffen werden. Mit einem simulationsgetriebenen digitalen Zwilling können verschiedene Szenarien berechnet und miteinander verglichen werden. Steht eine Produktionsverlagerung an, können Unternehmen so untersuchen, wie der Produktionsprozess mit einer anderen Maschine oder Linie fortgesetzt werden kann. Darüber hinaus kann eine Simulation zeigen, welche anderen Maschinen oder Prozesse von einem Ausfall betroffen sind. Damit können Maßnahmen identifiziert werden, um die Auswirkungen auf die Produktion zu minimieren. Im Folgenden liegt der Fokus daher auf dem simulationsgetriebenen digitalen Zwilling.

Grundlage schaffen, Qualität steigern

Eine Grundlage für den digitalen Zwilling sind historische Daten aus dem Manufacturing Execution System. Sie helfen, den digitalen Zwilling aufzubauen und zu optimieren. Zwar kann das digitale Abbild auch auf Basis von Planwerten und wahrscheinlichkeitsbasierten Simulationen erstellt werden. In diesem Fall hängt die Qualität jedoch an der Güte der stochastischen Modellierung. MES-Daten verbessern dagegen die Qualität des digitalen Zwillings. Diese Qualität kann nach dem initialen Aufbau durch aktuelle MES-Daten wie etwa dem Anlagenzustand oder Prozessdaten weiter verbessert werden. Das hält den Zwilling mit der realen Welt synchron. Das MES übernimmt in diesem Fall weiterhin die kurzfristigen Steuerungsaufgaben und liefert die Daten für das digitale Abbild. Der digitale Zwilling wird wiederum für planerische Aufgaben, wie etwa Produktionsverlagerungen genutzt.

Zusammen oder eigenständig

Der digitale Zwilling muss zwar nicht zwingend ein eigenständiges IT-System sein, sondern kann auch als Teil einer MES-Software entwickelt werden. Um jedoch die Komplexität handhabbar zu halten und die Kohäsion eines MES nicht weiter zu erhöhen, empfiehlt sich eine Trennung. Beide können dann über dokumentierte Schnittstellen miteinander kommunizieren. Im Gegensatz zu einfachen Datenmodellen, die etwa dadurch charakterisiert sind, dass die Datenflüsse manuell erfolgen, werden bei digitalen Zwillingen, Daten zwischen realem und digitalem Objekt automatisiert in den Zwilling eingespielt. Dies bringt neben der Herausforderung einer sicheren und konsistenten Kommunikation, hohe Anforderungen an die ­Sicherheit, die Datenverarbeitung und den Datenerhalt des digitalen Zwillings. Damit einher geht die Notwendigkeit große Datenmengen zu verwalten und zu verarbeiten. Um Daten zielgerichtet zu aggregieren, ist ein genaues Anforderungsmanagement erforderlich.

Zusammenarbeit und Strategie

Bei der Umsetzung des digitalen Zwillings ist es wichtig, eine individuelle Lösung zu finden, die auf die spezifischen Anforderungen der Bereiche Produktion, Logistik, Qualität sowie Wartung und IT des Unternehmens zugeschnitten ist. Die Implementierung von MES und digitalem Zwilling erfordert eine enge Zusammenarbeit von allen Stakeholdern im Unternehmen mit Softwarelieferanten und IT-Dienstleistungsunternehmen sowie eine klare Strategie zur Entwicklung, Einführung, Integration und Betrieb der neuen Software. Dabei kommt es nicht nur auf technische, sondern auch auf organisatorische Aspekte wie Schulungen der Mitarbeiter und Anpassungen der Arbeitsprozesse an.