Augmented Reality im Nutz- und Sonderfahrzeugbau

Realität erweitern, Variantenvielfalt meistern

Da sich Automatisierung für Kleinserien und Unikate im Nutz- und Sonderfahrzeugbau oft nicht lohnt, fällt besonders viel Handarbeit an. Augmented Reality und dynamische Laserprojektion können Werker bei ihren Arbeitsschritten unterstützen.

Zusammenbau einer Batterie ist komplex und erfordert viel manuelle Arbeit. (Bild: ©Nischaporn/stock.adobe.com)
Zusammenbau einer Batterie ist komplex und erfordert viel manuelle Arbeit. (Bild: ©Nischaporn/stock.adobe.com)

Nutz- und Sonderfahrzeuge wie etwa Rettungsfahrzeuge, LKWs, Baumaschinen, Wohnmobile oder auch gepanzerte Limousinen werden für bestimmte Aufgaben konzipiert und oft mit besonderen Funktionen ausgestattet. Aufgrund der begrenzten Zielgruppe werden sie in kleinen Stückzahlen produziert. Auch in diesem Teil des Fahrzeugbaus geht der Trend hin zu Individualisierung und Digitalisierung. Die Konfigurationsmöglichkeiten sind aufgrund der spezialisierten Einsatzgebiete oft komplexer als bei herkömmlichen Fahrzeugen – beispielsweise enthält ein Traktor-Cockpit mehr Technologie als ein Auto.

Kleine Stückzahlen, mehr Varianten

OEMs und Lieferanten im Nutz- und Sonderfahrzeugbau müssen also bei kleinen Stückzahlen eine zunehmende Variantenvielfalt bewältigen. Anders als im Automobilbereich, wo große Mengen vom Band laufen, rechnet sich hier eine Automatisierung oft nicht. Unikate wie Rennfahrzeuge oder gepanzerte Limousinen werden daher meist von Hand montiert. Und weil sich auch der Einsatz von physischen Positionier- und Prüfschablonen oft nicht rechnet, blieb Werkern im Nutz- und Sonderfahrzeugbau oft nichts anderes übrig, als nach Zeichnung und mit Hilfsmitteln wie Abzählen oder Zollstock sowie taktilen Messmitteln wie Ständermessmaschinen zu arbeiten. Doch das ist zeitaufwendig und fehleranfällig – zumal die Variantenvielfalt die Komplexität auch für die Mitarbeiter deutlich erhöhte.

Fehlerpotenzial nimmt zu

Je mehr Varianten ein Mitarbeiter fertigen muss, desto schwerer ist es, den Überblick zu behalten. Mitarbeiter müssen zwischen verschiedenen Modellvarianten hin- und herspringen, die jeweils eigene Besonderheiten aufweisen. Ein Längsträger etwa hat nun Hunderte von Löchern, damit er allen Produktvarianten und den damit einhergehenden Positionen für Kabelhalter gerecht wird. Ähnlich verhält es sich mit der Maskierung von Löchern oder anderen Bereichen im Lackierprozess. Wenn ein Werker die Stopfen immer in dieselben fünf Löcher stecken muss, ist das Fehlerpotenzial deutlich geringer, als bei 20 Varianten für die richtige Positionierung.

Komplexe Bauformen

Eine weitere Herausforderung sind die teils ungewöhnlichen Bauformen im Nutz- und Sonderfahrzeugbau. Baufahrzeuge, Landmaschinen und Rennfahrzeuge haben oft Bauteile mit gewölbten Flächen. Je komplexer die Form, desto schwieriger wird es, Elemente exakt darauf zu positionieren. Mit einem Zollstock lassen sich hier keine präzisen Bemaßungen vornehmen. Alternativ können Werker taktile Messmittel wie Messarm oder Ständermessmaschine einsetzen, was allerdings Zeit kostet.

Qualität im Blick

Kunden haben heute oft wenig Verständnis für Mängel – schon gar nicht bei teuren Unikaten. Denn wer etwa viel Geld für eine gepanzerte Limousine ausgibt, erwartet entsprechende Qualität. Bei anderen Fahrzeugen, etwa für den Motorsport, geht es oft um die Sicherheit. Werden Serienfahrzeuge zu Rennfahrzeugen umgebaut, muss unter anderem ein Überrollkäfig montiert werden. Qualitätsmängel könnten im schlimmsten Fall fatale Folgen haben.

Unterstützung für Werker

Im Nutz- und Sonderfahrzeugbau sind Werker also mit viel Handarbeit, wachsender Komplexität und hohen Qualitätsanforderungen konfrontiert. Mit der dynamischen Laser- und Videoprojektion können Unternehmen die Herausforderungen bewältigen. Dadurch werden manuelle Arbeitsschritte vereinfacht und die Präzision optimiert. Ein Laser- oder Videoprojektor projiziert CAD-Daten lagerichtig in 3D selbst auf bewegte Werkstücke. Werker am Band sehen somit, wo welches Bauteil montiert werden muss. Der Teaching-Aufwand, um eine neue Variante freizuschalten, ist gering. Über Schnittstellen zum PLM-System sowie zur Fördertechnik können die Inhalte auch automatisiert zur Anzeige gebracht und oft auch bereits während der Montage mittels Bildverarbeitung überprüft werden. Außerdem müssen keine physischen Schablonen angefertigt und gelagert werden. Je nach Anwendungsfall kann die Technologie in die Fertigungsinfrastruktur integriert oder mobil an verschiedenen Montageplätzen eingesetzt werden.

Aus der Praxis

Fahrzeughersteller fertigen immer mehr Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb. Eine Herausforderung in der Montage ist die Batterie. Deren Zusammenbau ist komplex und erfordert viel manuelle Arbeit. Bereits ein kleiner Fehler kann die Sicherheit beeinträchtigen. Ein Nutzfahrzeughersteller plant daher, den Qualitätsanforderungen bei der Batteriemontage mit Augmented Reality zu begegnen: Zunächst werden dafür Teile der elektrisch betriebenen Fahrzeuge aus dem Band ausgeschleust. Ein Fahrerloses Transportsystem (FTS) bringt sie zu einer Montageinsel, wo die manuelle Montage stattfindet. Der zuständige Werker wird von der AR-Lösung unterstützt, welche Kabelverläufe sowie Clip- und Schraub-Positionen auf das Bauteil projiziert. Gleichzeitig dokumentiert das System, dass alle Arbeitsschritte ordnungsgemäß erledigt wurden. Nach der Montage fährt das FTS das Werkstück wieder zurück zum Band.

Komplex aber effizient

Es ist davon auszugehen, dass die Variantenvielfalt in der Fahrzeugherstellung weiter zunehmen wird. AR-Technologie kann Unternehmen unterstützen, komplexe manuelle Prozesse effizienter zu gestalten.