Ablöse für die Heuristik?

Technologiesprung in der Produktionsplanung

Künstliche Intelligenz auf Werksebene dient meist der Optimierung oder der Analyse komplexer Zusammenhänge. In der Produktionsplanung zum Beispiel können bessere Algorithmen, getragen von mehr Rechenleistung, heuristische Ansätze im Ergebnis deutlich übertreffen.

Es zeigt sich, dass die KI-basierte Vorhersage im Vergleich zu den herkömmlichen Vorgabemechanismen zur Rüstzeitoptimierung deutlich überlegen ist.  (Bild: ©Kadmy/stock.adobe.com)
Es zeigt sich, dass die KI-basierte Vorhersage im Vergleich zu den herkömmlichen Vorgabemechanismen zur Rüstzeitoptimierung deutlich überlegen ist. (Bild: ©Kadmy/stock.adobe.com)

Manufacturing Execution Systeme bieten seit langem Funktionen zur automatischen Planung von Fertigungsaufträgen an. Auf Basis von Heuristiken kann eine automatische Zuweisung von Aufträgen und deren Arbeitsgängen auf die Maschinen und Arbeitsplätze erfolgen. Heuristiken sollen mit begrenztem Wissen schnell praktikable Ergebnisse erzielen. Aufgrund der in der Vergangenheit verfügbaren Rechnerleistungen war die heuristische Planung lange Zeit die beste mathematische Herangehensweise für die automatische Planung. Die Heuristik setzt dabei im Wesentlichen auf eine Schritt-für-Schritt-Planung. Demnach wird ein Arbeitsgang nach dem anderen bestmöglich gemäß feststehender Vorgaben eingeplant. Hierbei wird nur bedingt berücksichtigt, welche Arbeitsgänge noch einzuplanen sind und wie sich die Planungsaktion des aktuellen Arbeitsgangs auf zukünftige Arbeitsgänge auswirkt. Auch werden bereits getroffene Planungsentscheidungen nur unter bestimmten Bedingungen hinterfragt oder rückgängig gemacht. Das resultierende Planungsergebnis kennzeichnet sich oftmals durch hohe Rüstaufwände, lange Durchlaufzeiten und daraus resultierend unsichere Terminvorhersagen.

KI in der Fertigung

Im Vergleich zu heuristischen Verfahren bei der automatischen Fertigungsplanung kann mit künstlicher Intelligenz eine deutlich bessere Planungsleistung erbracht werden. Durch die leistungsfähigeren Rechner heute können signifikant größere Datenmengen verarbeitet und immer bessere Algorithmen entwickelt werden. Im Gegensatz zum schrittweisen Vorgehen der Heuristik werden mittels Reinforcement Learning zahlreiche Entscheidungsmöglichkeiten geprüft, bevor eine endgültige Planungsentscheidung getroffen wird. Reinforcement Learning, was als verstärkendes Lernen übersetzt werden kann, bewertet die getroffenen Entscheidungen, hinterfragt diese und lernt daraus. Dabei prüft der Algorithmus nicht automatisch alle Möglichkeiten, sondern nur die mit den besten Ergebnissen. Mit jeder Entscheidung sammelt das System neue Informationen über die vorhandenen Daten, was Schritt für Schritt die Qualität der Planungsentscheidung verbessert. Alle ausschlaggebenden Faktoren wie Aufträge, Arbeitsplätze, Transportwege, Rüstzeiten, begrenzte Ressourcen sowie Personalverfügbarkeiten berücksichtigt das System bei der Entscheidungsfindung. So lassen sich Rüstzeiten minimieren, Durchlaufzeiten verkürzen, die Termintreue erhöhen, Personalkosten minimieren oder eine Materialverfügbarkeitsprüfung durchführen. Beim Einsatz einer solchen Lösung kann der Anwender zudem festlegen, welche Faktoren das System berücksichtigt und in welchem Maße.

Unnötigen Leerlauf vermeiden

Im Rahmen der Fertigungsplanung wird auf eine Reihe von Vorgabewerten zurückgegriffen, um eine Grundlage für die zu berücksichtigende Bearbeitungsdauer eines Vorgangs und für die Übergangszeiten zwischen zwei Vorgängen eines Auftrags zu haben. Die Rüstzeit ist eine dieser Vorgaben, die bisher meist manuell mit der Stoppuhr gemäß Refa ermittelt wird. Um die wachsende Zahl der möglichen Kombinationen aus Werkzeugen, Material, Personal und sonstigen Einflussfaktoren gerecht zu werden kann KI die Rüstzeitvorhersage unterstützen. Dazu wird auf Basis historischer Daten aus einem MES ein Modell erstellt, das alle Faktoren berücksichtigt, wie etwa die Länge der Rüstzeit bezogen auf die Kombinationen aus Artikel, Maschine, Werkzeug. Im Rahmen der Modellerstellung können die verwendeten historischen Daten auch auf ihre Eigenschaft als Einflussfaktor untersucht werden. Eine herkömmliche Rüstwechselmatrix kommt dabei schnell an ihre Grenzen, da es einfach zu viele mögliche Kombinationen gibt. Der eigentliche Clou besteht jedoch in der Verwendung des erzeugten Modells und somit in der Vorhersage der Rüstzeit. Ein Beispiel: der Arbeitsgang wird auf einer Maschine zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem bestimmten Werkzeug eingeplant. Dann werden diese und gegebenenfalls weitere Daten verwendet, um auf Basis des zuvor erstellten Modells die wahrscheinliche Rüstzeit vorherzusagen. Auch für neue Kombinationen können Rüstzeiten auf Basis von Ähnlichkeitserwägungen abgeschätzt werden. Die KI agiert dabei im Wesentlichen so, wie die manuelle Pflege erfolgen würde: ein Fachexperte schließt von vergleichbaren Artikeln, Werkzeugen etc. auf die neue Kombination. Die Prognose wird damit nicht die Genauigkeit erreichen, die bei Kenntnis aller Faktoren möglich wäre, liegt jedoch sicherlich auch nicht hinter den herkömmlichen manuellen Schätzungen zurück. Was die Rüstzeitvorhersage im Vergleich mit der herkömmlichen Methode leisten kann, wurde auf Basis von mehreren realen Produktionsszenarien untersucht. Es zeigt sich, dass die KI-basierte Vorhersage den herkömmlichen Vorgabemechanismen deutlich überlegen ist. So entfallen unnötige Pufferzeiten. Erste Analysen zeigen, dass durch den Einsatz von KI-Systemen rund 20 Prozent Kapazitäten in der Produktion frei werden. Kombiniert man nun die Rüstzeitvorhersage mit der KI-basierten automatischen Fertigungsplanung, so wird diese effizienter und auch realistischer.

Vorhersagen in der Planung nutzen

Bei der Implementierung von künstlicher Intelligenz kommt es nicht nur auf die Technologie an. Was bringt die beste Software, wenn die Anwender ihr nicht glauben? Gerade in den frühen Phasen des KI-Einsatzes ist es wichtig, nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg dahin nachvollziehbar darzustellen. Denn spätestens wenn die KI selbst Maßnahmen vorschlägt, sollte sie als wertvolle Unterstützung im Fertigungsalltag wahrgenommen werden.

 





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