Kleine Geschichte der fahrerlosen Transportsysteme

35 Jahre fahrerlos unterwegs

Bereits seit 65 Jahren bewegen Fahrzeuge Lasten ohne Piloten. Mit 35 Jahren Betriebstätigkeit feiert der Branchenpionier DS Automotion Jubiläum. Grund genug für einen Streifzug durch die Geschichte insbesondere der Linzer FTS.

Bilder: DS Automotion GmbH
Links: Eines der ersten FTS, ab 1954 gebaut als Zugmaschine für fünf Anhänger.
Rechts: Die Fahrzeuge sind heute flexibler: Diese serienmäßigen Unterfahr-Fahrzeuge sichern die JIT/JIS-Teileversorgung in einem BMW-Werk.
(Bilder: DS Automotion GmbH)

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) übernehmen immer mehr innerbetriebliche Transportaufgaben in der gewerblichen und industriellen Produktion, denn sie können flexibel auf veränderte Erfordernisse reagieren. Durch Einbeziehung der Intralogistik in die flexiblen Herstellungsprozesse ermöglichen sie den Aufbau intelligenter Fabriken nach den Grundsätzen von Industrie 4.0. Dabei sind FTS keine neue Technologie: Das erste fahrerlose Transportsystem wurde vor 65 Jahren in den USA installiert. Dabei handelte es sich um einen automatisierten Schlepper für Sammeltransporte, dessen Elektronik für die Steuerung noch mit Elektronenröhren aufgebaut war. Die Navigation erfolgte spurgeführt entlang eines stromdurchflossenen Leiters. Die Stationen erkannte das Fahrzeug an Magneten im Boden.

20 Jahre später für VW

„Unser erstes FTS realisierten wir 20 Jahre später für Volkswagen“, berichtet DI Manfred Hummenberger MBA, Geschäftsführender Gesellschafter von DS Automotion. „Die fahrerlosen Fahrzeuge wurden im Werk Brüssel als Träger für den Aufbau der Rohbau-Karosserien verwendet.“ In den 1980er Jahren waren FTS beinahe ausschließlich in der Automobilindustrie zu Hause. Viele Autohersteller strebten ein Computer Integrated Manufacturing (CIM) an. Dazu passten die Konzepte von FTS ebenso gut wie heute zur Smart Factory. Allerdings gab es DS Automotion im Jahr 1984 noch nicht. Die FTS-Hersteller waren damals Teil der staatlichen Voest Alpine AG. „Für unser erstes FTS lieferten wir nur den maschinenbaulichen Teil der Fahrzeuge und die Leitsteuerung auf Basis einer SPS“, erläutert Ing. Wolfgang Hillinger MBA, der als Geschäftsführer von DS Automotion den Bereich Vertrieb und Marketing verantwortet. „Die Steuerungen in den Fahrzeugen entwickelte und produzierte Volkswagen.“ Beim nächsten FTS-Projekt mit 120 Fahrzeugen für das Volkswagen-Werk in Emden stellte der Autobauer 1986 letztmalig die Steuerelektronik bei, bevor er sich auf seine Kernkompetenzen zurückzog. Die FTS-Installation im Volkswagenwerk Hannover war 1989 die Premiere für die von Voest Alpine Automotive als Mehrprozessorsystem entwickelte Fahrzeugsteuerung.

Links: Die erste größere FTS-Anlage von DS Automotion für eine Branche außerhalb der Automobilindustrie und zugleich das erste frei navigierende System der Firma. Die Fahrzeuge transportierten Papierrollen. (Bild: Barrett-Cravens / Savant Automation, 1958)<br /> Rechts: Hohe Tragkraft, Robustheit und die Eignung für den Einsatz im Bereich Food &amp; Beverage haben die Fahrzeuge des FTS bei der Großmühle Ireks. Sie tragen Mischbehälter für Cerealien mit bis zu drei Tonnen Nettozuladung. (Bild: DS Automotion GmbH)
Links: Die erste größere FTS-Anlage von DS Automotion für eine Branche außerhalb der Automobilindustrie und zugleich das erste frei navigierende System der Firma. Die Fahrzeuge transportierten Papierrollen. (Bild: Barrett-Cravens / Savant Automation, 1958)
Rechts: Hohe Tragkraft, Robustheit und die Eignung für den Einsatz im Bereich Food & Beverage haben die Fahrzeuge des FTS bei der Großmühle Ireks. Sie tragen Mischbehälter für Cerealien mit bis zu drei Tonnen Nettozuladung. (Bild: DS Automotion GmbH)

Siegeszug der Linie

Anfang der 1990er Jahre kam der Siegeszug der FTS im Automobilbau plötzlich zum Stillstand. Europäische Autobauer orientierten sich an der japanischen Konkurrenz, die Autos sehr kostengünstig auf einer dedizierten Linie pro Modell fertigte. Diese Form der Lean Production kommt ohne die Flexibilität von FTS-Anlagen aus. FTS-Hersteller mussten in anderen Anwendungsgebieten neue Kunden suchen. Ein Großauftrag über sechs FTS-Anlagen mit in Summe über 100 Fahrzeugen für die LKW-Kabinenmontage bei Daimler sicherte DS Automotion in dieser Umbruchphase weiterhin die mehrjährige Vollauslastung des FTS-Bereiches. Inzwischen entwickelten die Linzer Fahrzeug- und Leitsteuerungen mit der Fähigkeit zur freien Navigation ohne Spurführung. Die erste FTS-Anlage dieser Art ging an den Axel Springer Verlag in Hamburg. Das Unternehmen agierte zu dieser Zeit unter dem Dach der teilprivatisierten VA Tech AG als TMS (Transport- und Montagesysteme). „Die 25 Fahrzeuge transportieren die bis zu 1.250kg schweren Printrollen von der Tiefdruckmaschine in ein Pufferlager und dann weiter zur Heftmaschine“, erklärt Manfred Hummenberger.Bild: DS Automotion GmbH

Geburt des digitalen Zwillings

Der Ersatz des Hängefördersystems im Uniklinikum Köln durch ein frei navigierendes FTS stellte TMS 1997 vor neue Herausforderungen. Die Fahrzeuge mussten schmale Korridore nutzen und diese teilweise auch mit Menschen teilen. Das machte eine spezielle Fahrwerkskinematik und neue Sensoren für die Personensicherheit erforderlich. Die Leitsteuerung koordiniert zudem die Fahrzeuge nicht nur untereinander, sondern z.B. auch mit den Aufzügen, die diese benützen müssen. „Angesichts der zahlreichen neuen Systemmerkmale und Schnittstellen bildeten wir erstmals den digitalen Zwilling der Anlage in einer Computersimulation nach“, führt Wolfgang Hillinger aus.

Ein Blick in die Produktion von DS Automotion (Bild: DS Automotion GmbH)
Ein Blick in die Produktion von DS Automotion (Bild: DS Automotion GmbH)

In die Unabhängigkeit

Im Jahr 2001 übernahm der französische Baukonzern Vinci die TMS und gliederte den FTS-Bereich 2002 als das rechtlich eigenständige Tochterunternehmen TMS Automotion GmbH aus. Dieses bezog ein Jahr später sein nunmehriges Hauptgebäude. 2005 trennten sich die ca. 65 Mitarbeiter durch Management-Buyout vollkommen vom Mutterkonzern Vinci, zunächst noch als TMS Automotion. Zugleich erfolgte die heute noch gültige Ausrichtung auf die vier Kernbereiche Automotive, Agriculture, Hospital & Healthcare und Intralogistics. „Eine enge, freundschaftlich-kollegiale Zusammenarbeit und kurze Entscheidungswege ohne Konzerndenken prägen seitdem das eigentümergeführte mittelständische Unternehmen“, sagt Sieglinde Paulmair. Sie ist seit 1990 im Unternehmen und leitet seit dem Management-Buyout die Einkaufsabteilung. Deutlich gewachsen ist seitdem eine ihrer Kenngrößen. Das Einkaufsvolumen ist um den Faktor 4,5 auf das Niveau des damaligen Jahresumsatzes gestiegen. Seit 2008 trägt das Unternehmen den heutigen Namen DS (für Driverless Solutions) Automotion. Im selben Jahr erfolgte die Gründung der ersten Auslandstochter in Toulon. „Damals startete der französische Staat eine Krankenhaus-Investitionsoffensive“, sagt Manfred Hummenberger. „Heute sind bereits elf Spitäler in Frankreich mit FTS von DS Automotion ausgestattet und wir sehen auch für die Zukunft weiterhin großes Potenzial.“

Kein Ende der Entwicklung

Um kostengünstige Alternativen für einfachere innerbetriebliche Transportaufgaben anbieten zu können, adaptierte die Firma ab 2010 handelsübliche Hubstapler für den fahrerlosen Betrieb. Obwohl diese in großen Stückzahlen eingesetzt werden, wurde kürzlich eine erste Abkehr von dieser Praxis eingeleitet. „Serien-Stapler haben nicht nur Vorteile, vor allem sind sie weniger robust und langlebig als unsere für den harten Industriealltag geschaffenen Eigenkonstruktionen“, weiß Wolfgang Hillinger. „Deshalb bieten wir seit 2019 mit Amadeus wieder einen eigenen Hubstapler an.“ Der wurde ausschließlich für den fahrerlosen Betrieb entwickelt, sozusagen ‚born driverless‘. Im aktuellen Jahrzehnt erweiterte der FTS-Spezialist seine globale Marktpräsenz. Diese umfasst heute neben Partnern in Dänemark, Spanien, Mexiko, Singapur und der Türkei sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Brasilien und China auch eigene Niederlassungen in Deutschland, Frankreich und den USA. Im Jahr 2016 kam mit dem Modell Sally ein industrietaugliches fahrerloses Transportfahrzeug in der Gewichtsklasse bis 100kg ins Portfolio. Das Basisfahrzeug lässt sich mittels unterschiedlicher Aufbauten an verschiedene Einsatzzwecke anpassen. So kann das System Transportaufgaben erfüllen, für die es zuvor keine industrietauglichen Lösungen gab. „Als erstes Fahrzeug von DS Automotion nutzte Sally mittels SLAM-Technologie Gebäudekonturen für die Navigation“, erläutert Manfred Hummenberger. „Gleichzeitig lässt sie sich in all unsere frei navigierenden Systeme mit der Leitsteuerung DS Navios FreeGuide einbinden und in beliebiger Kombination mit anderen Fahrzeugen einsetzen.“

 (Bild: DS Automotion GmbH)
(Bild: DS Automotion GmbH)

Kooperation mit SSI Schäfer

Im Jahr 2018 tat sich das Unternehmen mit SSI Schäfer zusammen. Der deutsche Lager- und Logistiksystemanbieter integriert FTS der Linzer Firma seitdem in seine Logistiklösungen. Das wird sich auch auf das Wachstum des österreichischen FTS-Spezialisten auswirken, der aktuell mit rund 220 Mitarbeitern ca. 45 Millionen Euro Betriebsleistung erwirtschaftet.

Software zur Leitsteuerung

Seitdem die ersten Anhänger von einem FTS gezogen wurden, hat sich die Technik bedeutend weiterentwickelt. Ein Ende der Fahnenstange ist nicht in Sicht. Zur Zeit werden die Fahrzeuge von DS Automotion über die Leitsteuerung DS Navios zentral gesteuert. „Mit voller Autonomie wäre es schwierig, ausreichend schnell und zuverlässig geordnete Abläufe mit vielen Fahrzeugen und Schnittstellen zu anderen Systemen zu gewährleisten“, sagt Wolfgang Hillinger. Manfred Hummenberger ergänzt: „Natürlich beobachten wir ständig neue Technologien und integrieren sie, wenn das in der Anwendung bzw. für unsere Produkte einen echten Nutzen bringt.“ Das Unternehmen unterstützt auch aktiv Forschungsprojekte, etwa zum Gepäcktransport auf Bahnhöfen und Flughäfen oder in Fußgängerzonen. Bei alldem kann sich das Unternehmen auf die Treue langjähriger Mitarbeiter wie Christian Huemer verlassen. „Ich war von Beginn an von FTS fasziniert und immer neue Entwicklungsmöglichkeiten halten das Thema spannend“, sagt der heutige Leiter des Bereiches Engineering und Auftragsabwicklung, der seit 1989 im Unternehmen ist. „Zusätzlich kann ich mir kein förderlicheres Umfeld denken als dieses Unternehmen mit seinem beinahe freundschaftlichen sozialen Verhalten.“ Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!







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