Wireless Technology

Echtzeit-Blick in die Fertigung

Mit dem Smart Factory System stellte die Düsseldorfer Ubisense AG auf der diesjährigen Hannover Messe Industrie ein System für die ortungsgesteuerte Fertigung vor. In Kombination aus Ultrabreitband-Echtzeitortung und Software lassen sich Aufträge, Komponenten und Betriebsmittel automatisch identifizieren und verfolgen. Damit entfallen Arbeitsschritte wie Scannen oder Stempeln. Zudem können auch komplexe Prozesse wie der Einsatz kabelloser Werkzeuge erstmals anhand räumlicher Daten automatisiert gesteuert werden.



Bild: Atlas Copco

Produktionsabläufe lassen sich nur dann wirksam kontrollieren und steuern, wenn sichtbar ist, was tatsächlich in der Fertigung geschieht. Auch Manufacturing Execution-Systeme (MES) oder Enterprise Resource Planning-Lösungen (ERP) profitieren von durchgängigen Daten aus dem realen Prozess. Konkret benötigt werden sowohl sachliche als auch räumliche Informationen, denn die zentrale Frage lautet: ‚Was befindet sich in diesem Moment an welchem Ort?‘ Aus diesem Grund gewinnen in der Industrie neben automatischer Identifikation auch Ortung und Tracking an Bedeutung. Die Investitionen in Barcode, RFID, WLAN oder Bluetooth steigen seit knapp zehn Jahren kontinuierlich an. Diese Systeme wurden aber in erster Linie für die Identifikation von Objekten entwickelt und sind hinsichtlich der hinterlegten Sachdaten optimiert.

Über den Aufenthaltsort von Aufträgen, Komponenten oder Betriebsmittel geben sie nur dann Auskunft, wenn sich das fragliche Objekt gerade in der Nähe eines Readers befindet. Grundsätzlich entstehen so Momentaufnahmen, eine durchgängige Verfolgung von Objekten durch den Fertigungsprozess ist nicht möglich. Zudem muss sich der Anwender zwischen Reichweite und Genauigkeit entscheiden: Optische Systeme wie Barcode-Scanner oder Infrarotschranken sowie passives RFID arbeiten zwar sehr exakt, erfassen aber nur Objekte im Nahbereich. Aktive RFID-Systeme decken auch größere Flächen ab – eine Positionsbestimmung ist jedoch lediglich auf Raum- oder Bereichsebene möglich. Außerhalb des Erfassungsbereichs der Reader bleiben die Objekte ‚unsichtbar‘.

Hoher Aufwand im Prozessmonitoring

Ein zeitnaher und präziser Überblick zum Fertigungsgeschen erfordert zudem vielfach den Rückgriff auf eine aufwändige und unflexible Infrastruktur – etwa wenn dort, wo etwas identifiziert und verortet werden soll, auch ein Reader installiert werden muss. Änderungen an der Linie erfordern dann in der Regel auch Hardware-Umbauten. Stationsungebundene Abläufe in der Werkstattfertigung oder beim Einsatz kabelloser Betriebsmittel lassen sich kaum abbilden. Mit diesen Einschränkungen sahen sich auch die Verantwortlichen bei BMW in Regensburg, bei Airbus im französischen Toulouse und beim Etikettenhersteller Herma in Filderstadt konfrontiert: Bei BMW ging es um Schraubvorgänge, die in der Build-to-Order-Fertigung für das jeweilige Fahrzeug richtig eingestellt werden müssen. Dazu wurde die Ident-Nummer an jedem Fahrzeug manuell gescannt und dann das entsprechende Programm in der Werkzeugsteuerung geladen – ein zeitaufwändiger und fehleranfälliger Prozess.

Bei Airbus stand die Überwachung der Produktion des A380 im Fokus: Hauptkomponenten wie Tragflächen oder Rumpfteile werden in verschiedenen europäischen Werken gefertigt. Die Endmontage erfolgt zentral in Toulouse. Der Fertigungsfortschritt in den Werften wurde manuell mit unterschiedlichen Verfahren verfolgt und dokumentiert. Abweichungen im Prozess verursachten Koordinationsprobleme und führten zu Wartezeiten in der Endmontage. Die Herma GmbH im schwäbischen Filderstadt liefert neben anderen Produkten auch Haftmaterial an andere Etikettenhersteller: Über 500 Europaletten täglich gelangen aus den Produktionsbereichen in das zentrale Versandlager und werden in alle Welt verschickt. Da sich die Paletten optisch kaum unterscheiden, war ein schnelles und zuverlässiges Auffinden der Ware für die Staplerfahrer nur schwer möglich.

Ortung und Identifikation mit Ultrabreitband-Technologie

Um diesen Prozessherausforderungen zu begegnen, arbeiten die genannten Unternehmen mit der Ubisense AG zusammen. Die Firmengründer im englischen Cambridge hatten bereits im Jahr 2003 das nach eigenen Angaben erste professionell nutzbare Echtzeit-Identifikations- und Ortungssystem auf Basis von Ultrabreitband-Funktechnologie (UWB) entwickelt. Das sogenannte Real-time Location System (RTLS) arbeitet stationsunabhängig mit einer zentralen Infrastruktur, erreicht auch auf großen Flächen eine Genauigkeit von bis zu 30 Zentimetern und liefert eine durchgängige 3D-Echtzeitdarstellung kritischer Objekte und Prozesse – vergleichbar einer interaktiven Live-Übertragung aus der Fertigung. Auf Basis von Anwenderprojekten ist daraus das ‚Smart Factory System‘ entstanden, welches im Frühjahr 2013 offiziell auf dem Markt eingeführt wurde. Die funkbasierte Lösung dient dazu, jederzeit die Frage beantworten zu können, was sich in welchem Moment an welchem Ort im Fertigungsprozess befindet: Durch die UWB-Technologie können Tausende von Objekten parallel getrackt werden, das System soll auch in Industrieumgebungen mit einer Zuverlässigkeit von mehr als 99,99 Prozent arbeiten. Der Anwender benötigt lediglich drei Komponenten: Aktive, batteriebetriebene Transponder oder ‚Tags‘, Sensoren und die Applikationssoftware.

Die Tags können an beliebigen Objekten angebracht und über eine eindeutige Identifikationsnummer zum Beispiel mit Produktionsdaten verknüpft werden. Sie erzeugen Ortungssignale im Frequenzbereich zwischen sechs und 8,5 Gigahertz. Die Sensoren erfassen die Signale an zentralen Punkten der Halle und berechnen die Position der Tags mehrmals pro Sekunde. Die Software übernimmt in Echtzeit die Aufzeichnung, Verarbeitung und Visualisierung der Ortungsinformationen. Der Bezug zum Fertigungsprozess wird dabei über räumliche Zonen hergestellt, die im System je nach Anforderung hinterlegt werden: vom Gebäude über eine Arbeitszelle bis hin zum bewegten Objekt oder Fahrzeug. Anhand der Bewegung der getrackten Objekte in diesen Zonen können nun Ereignisse ausgelöst werden – auch in anderen IT-Systemen: Informationen und Warnungen, automatisierte Auftragsfreigaben und Materialbestellungen oder die Kalibrierung von Maschinen und Werkzeugen. Änderungen und Erweiterungen der Anwendung werden im System konfiguriert und erfordern keine Hardware-Umbauten. Dadurch lassen sich unterschiedliche Anwendungsfälle abbilden.