IT&Production: Welche Lösungen setzen Sie für diese Steuerungs- und Kontrollaufgaben im Fertigungsumfeld ein?
Christof Steuer: Angefangen hat alles mit einer Tracebility-Lösung auf Basis eigenentwickelter Software. Heute setzten wir SAP ME ein, was dazu geführt hat, dass sich der Gedanke ‚gedreht‘ hat: Der Begriff ‚Traceability‘ ist inzwischen in den Hintergrund gerückt, wir setzen auf aktive Prozessgestaltung. Denn wir wollen Daten nicht nur im Nachhinein nutzbar machen: Die passende Information muss dem Mitarbeiter im Voraus zur Verfügung stehen. Dazu werden bei uns Informationen anhand einer Serialnumer mitgeführt, die sich zusammen mit der Unterbaugruppe aufbaut und je nach Bearbeitung abgeändert wird. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass auch bei EBM-Papst in der Produktion spezielle Prozesse vorherrschen, die im Systemstandard so nicht abgedeckt werden. Die Software bietet uns aber die Möglichkeit, Erweiterungen oder Plug-ins auf Java-Basis zu gestalten. So lassen sich beispielsweise zusätzliche Prüfungen über sogenannte Hooks integrieren. So können neue Prozesse oder Anwendungen starten, wann immer sich eine Änderung der Serialnummer etwa durch Produktionsstart oder eine Noncomformance-Mitteilung ergibt. Obwohl ME einen fixen Kern hat, lässt sich das System auf diese Weise an unsere Anforderungen anpassen. Denn was die Prozessgestaltung angeht, muss sich die Software der Produktion anpassen, nicht umgekehrt.
IT&Production: Was bedeutet diese Ausrichtung an IT-Prozessen für die Abläufe an der Linie?
Schappes: Wir sind immer mehr überzeugt von dem Ansatz, dass das MES wie ein ‚digitaler Fluss‘ über der Fertigung hängt. Bei der Systemeinführung standen wir noch Bedenken der Mitarbeiter gegenüber, etwa im Hinblick auf die Systemverfügbarkeit. Um Produktionsausfällen entgegenzuwirken, setzen wir auf virtuelle Umgebungen, bei physischem Serverausfall können die Systeme auf anderer Hardware nahtlos weiter laufen. Inzwischen entwickelt sich durch den Einsatz der Software eine Kultur, in der Prozesssicherheit und Qualität immer mehr in den Vordergrund rücken. Im positiven Sinne ‚zwingt‘ das System die Mitarbeiter, sich an Prozesse zu halten. Unser Ziel ist ein automatisiertes Umrüsten kompletter Fertigungslinien beziehungsweise -inseln durch Anwahl eines Fertigungsauftrages. Hierdurch ist eine manuelle Programmvorgabe, etwa an SPS gesteuerte Einrichtungen, überflüssig. Die neunte Ausgabe von Rockwell Automations „State of Smart Manufacturing“ Report liefert Einblicke in Trends und Herausforderungen für Hersteller. Dazu wurden über 1.500 Fertigungsunternehmen befragt, knapp 100 der befragten Unternehmen kommen aus Deutschland. ‣ weiterlesen
KI in Fertigungsbranche vorn
IT&Production: Wie groß ist der personelle Aufwand für die Systempflege?
Steuer: In unserem IT-Team beschäftigt sich noch eine relativ kleine Mannschaft mit dem MES System. Hinzu kommen Kollegen etwa aus Verfahrensentwicklung oder SPS-Programmierung. Viele Aufgaben lassen sich auch durch Konfiguriation lösen, so dass nicht immer Programmieraufwand anfällt. Allerdings steigen mit den Möglichkeiten zur Anpassung auch die Anzahl der Projekte. Wir haben schon jetzt mehr neue Ideen, als wir umsetzen können.
IT&Production: Sie sprechen von neuen Projekten – woran arbeitet Ihr Team aktuell? Der Thin[gk]athon, veranstaltet vom Smart Systems Hub, vereint kollaborative Intelligenz und Industrie-Expertise, um in einem dreitägigen Hackathon innovative Lösungsansätze für komplexe Fragestellungen zu generieren. ‣ weiterlesen
Innovationstreiber Thin[gk]athon: Kollaborative Intelligenz trifft auf Industrie-Expertise
Reinwald: Ein zentrales Projekt besteht darin, komplette Linien und Inseln auftragsbezogen umstellen zu können. Alle Programme der Betriebsmittel, SPSen und Prüfeinheiten sollen von der produktionsnahen Verfahrensentwicklung zentral vorgegeben werden. Derzeit befindet sich ein Prototyp auf einer Station im Aufbau, auf der Teile aus mehreren Aufträgen auf Werkstückträgern parallel bearbeitet werden. Mit jedem neuen Träger auf der Montagestation rüstet sich die SPS der Station nach Nachfrage an SAP ME um, gleichzeitig wird eine Einzelseriennummer auf Basis des Arbeitsvorgangs erzeugt, etwa wenn der Verbauvorgang startet. Dennoch stehen wir ständig vor neuen Herausforderungen: Mit neuen Produkten und Anforderungen muss sich auch die Prozesslandschaft weiter entwicklen.
IT&Production: EBM-Papst kann heute auf mehrere Jahre Systemeinsatz zurückblicken – worin sehen Sie die wichtigsten Vorteile?
Schappes: Mit Blick auf Produktion und Qualitätssicherung können wir im Sinne des Kunden ein sicheres Produkt herstellen. SAP ME ist ein unterstützender Faktor um sichere Prozesse zu gestalten. Vielen Firmen fällt es schwer den Einsatz eines MES zu argumentieren beziehungsweise durch Zahlen im Vorfeld zu untermauern. Die Praxis zeigt: An jeder Ecke kann man sparen, man wird sicher, man wird schneller, man wird schlanker in der Produktion. Das Credo ist nun: ‚die richtige Information, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort‘. (mec)